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06.09.2016

Zusammenspiel von beschränkter Erschließungswirkung und Erschlossensein des Hinterliegers

Die Frage lautet: handelt es sich trotz einem Buchgrundstück, ungeachtet einer formal fehlenden Trennung, planerisch eindeutig um zwei voneinander vollauf unabhängige Grundstücke?

Der Fall (leicht abgewandelt):


Der Kläger wurde mit Bescheid vom 15.02.2011 von der Gemeinde zu einem Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung der H-Allee herangezogen. Er erhebt Klage gegen den Beitragsbescheid und trägt (u.a.) vor, dass das Grundstück Fl.-Nr. X – das an der abzurechnenden Anlage und der Y-Straße anliegt – mit seiner vollen Grundstücksfläche hätte in die Verteilung einbezogen werden müssen. Es hätte nicht rechnerisch in zwei Teile geteilt werden dürfen. Dass der maßgebliche Bebauungsplan im vorderen Teil ein Gewerbegebiet und im hinteren Teil ein Sondergebiet für Groß- und Einzelhandelsbetriebe festsetze, genüge nicht. Denn die Verkehrsbeschilderung verweise von der abzurechnenden Anlage – der H-Allee – explizit auch auf den hinteren Teil des Grundstücks und die H-Allee nehme den gesamten Verkehr von der Y-Straße auf. Wenn die tatsächlichen Umstände so deutlich darauf hinwiesen, dass der hintere Teil des Grundstücks von der abzurechnenden Anlage profitiere, sei eine Ausnahme von der Vermutung der beschränkten Erschließungswirkung vorzusehen.

Nach erfolgloser Klage vor dem Verwaltungsgericht stellt der Kläger Antrag auf Zulassung der Berufung.

 

Die höchstrichterliche Entscheidung:

 

Beschränkte Erschließungswirkung

 

Ausgangspunkt: formeller (Buch-)Grundstücksbegriff 

Das OVG beginnt seine Prüfung dort, wo alle Prüfungen des Erschlossenseins beginnen: beim formellen Buchgrundstücksbegriff.

„Bei der Verteilung des Erschließungsaufwandes auf die "durch die Anlage erschlossenen Grundstücke" nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist grundsätzlich der bürgerlich-rechtliche Grundstücksbegriff maßgebend. Dieser Grundsatz gilt auch für ein […] mehrfach erschlossenes Grundstück […].“

 

Ausnahme: Beschränkte Erschließungswirkung aufgrund bauplanungsrechtlicher Vorgaben

„Von diesem Grundsatz kommen jedoch Ausnahmen in Betracht, wenn sich die von einer Anbaustraße ausgehende Erschließungswirkung eindeutig auf eine Teilfläche des Grundstücks beschränkt. Entscheidend für die Annahme einer in Bezug auf ein Buchgrundstück begrenzten Erschließungswirkung einer Erschließungsanlage in einem beplanten Gebiet ist dabei allein, dass sich aus den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans erkennbar der Eindruck aufdrängt, es handele sich bei einem Buchgrundstück ungeachtet einer formal fehlenden Trennung planerisch eindeutig um zwei voneinander vollauf unabhängige Grundstücke. Unerheblich ist hingegen in diesem Zusammenhang, ob die tatsächlichen Verhältnisse die mehr oder weniger naheliegende Schlussfolgerung der Zuordnung einer bestimmten Teilfläche eines Grundstücks zu einer bestimmten Anbaustraße und in der weiteren Folge die Annahme einer begrenzten Erschließungswirkung einer Anlage zu begründen vermögen. […]“

Entscheidend für die Frage, ob eine beschränkte Erschließungswirkung vorliegt, ist demnach allein der Bebauungsplan. Ausgehend von dieser Rechtsprechung, die mit der des BVerwG übereinstimmt, folgt das OVG den Ausführungen der ersten Instanz, da das Verwaltungsgericht die Trennung des Grundstücks allein bauplanungsrechtlich begründet hat.:

„Vorliegend ist das Verwaltungsgericht davon ausgegangen, dass der Bebauungsplan […] das Grundstück [Fl.-Nr. X] in einer Weise überplane, aus der sich eine klare Begrenzung der Erschließungswirkung ergebe. Zur Begründung hat es insbesondere die unterschiedliche Art der Nutzung (Gewerbegebiet/Sondergebiet), das Vorhandensein von Baulinien und Baugrenzen sowie die Festsetzung der für die Nutzung des Sondergebiets erforderlichen Zuwegungen und Parkflächen herangezogen. Diese im Einklang mit der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts allein auf planungsrechtlicher Grundlage erfolgende Würdigung stellt der Kläger nicht durchgreifend in Frage.“

Anschließend befasst sich das OVG mit dem Einwand des Klägers, dass tatsächliche Elemente wie Straßenbeschilderung und Verkehrsführung die Annahme, der hintere Teil des Grundstücks sei von der abzurechnenden Anlage nicht erschlossen, nicht stützten. Dazu führt es aus, dass tatsächliche Gegebenheiten bei der Frage der beschränkten Erschließungswirkung keine Rolle spielen:

„[Die klägerischen] Ausführungen, in denen er auf Verkehrsfluss und Straßenbeschilderung verweist, beschränken sich auf tatsächliche Gegebenheiten, welche nicht Gegenstand des Bebauungsplans sind und auf die es daher im Hinblick auf die beschränkte Erschließungswirkung nicht ankommt. Auch soweit sich die tatsächlichen Schilderungen mit der im Aufstellungsverfahren vorgelegten Verkehrsprognose für die Anbaustraße decken, folgt daraus […] nichts anderes. Entgegen der Auffassung des Klägers indiziert die (unstreitige) verkehrliche Bedeutung der Anbaustraße als große Ausfallstraße auch für den von dem [Grundstück Fl.-Nr. X] geführten Kfz- Verkehr nicht, dass dieses Grundstück zur Gänze oder in einem größeren Umfang einzubeziehen ist. Maßgeblich ist insoweit allein der durch die Anbaustraße dem Grundstück vermittelte Vorteil des Erschlossenseins an sich, nicht die - sich für das Grundstück nur mittelbar auswirkende - Bedeutung der Anbaustraße im innerstädtischen Straßenverkehrssystem. Nichts anderes gilt auch für die durch die Straßenschilder erfolgenden Hinweise auf die Erreichbarkeit von Grundstücken, denen eine Anschrift an der Anbaustraße zugewiesen worden ist, über [die Y-Straße].“

 

Gegenausnahme zur Ausnahme: Der hintere Teil ist nach Hinterliegergrundsätzen als erschlossen anzusehen.

Das BVerwG, dem das OVG vollumfänglich folgt, hat zu bisher dargestellter Rechtsprechung eine Gegenausnahme vorgesehen: Wenn ein Grundstück aufgrund der beschränkten Erschließungswirkung der abzurechnenden Anlage rechnerisch zu teilen ist, behandelt man es beitragsrechtlich – in ausnahmsweiser Abweichung vom Buchgrundstücksbegriff – so, als würde es aus zwei Buchgrundstücken bestehen. Unterstellt man aber das Vorliegen zweier Buchgrundstücke, muss man – konsequenterweise – für das hintere Grundstück prüfen, ob es nicht als Hinterlieger trotzdem als erschlossen zu betrachten ist. Ist das der Fall, dann entfällt die Notwendigkeit der rechnerischen Teilung des Grundstücks und die Erschließungswirkung der Straße umfasst dann – trotz der bauplanungsrechtlichen Teilung des Grundstücks – das tatsächliche gesamte Buchgrundstück.

Oder um es mit den Worten des BVerwG (im Urteil vom 3.2.1989 – 8 C 78.88 ­– jurion Rdnr. 24)  auszudrücken:

Die durch den Bebauungsplan geschaffene Vermutung der begrenzten Erschließungswirkung „kann freilich durch die tatsächlichen Umstände widerlegt werden, und sie wird jedenfalls dann widerlegt, wenn bei einer solchen Sachlage die Voraussetzungen erfüllt sind, bei deren Vorliegen das Erschlossensein des rückwärtigen Grundstücksteils selbst dann zu bejahen wäre, wenn es sich um ein selbständiges Hinterlieger(buch)grundstück desselben Eigentümers handelte. Das liegt als Konsequenz auf der Hand. Denn die Anforderungen an das Erschlossensein des rückwärtigen Teils eines an eine Anbaustraße angrenzenden Buchgrundstücks können nicht höher sein als die Anforderungen an das Erschlossensein eines Hinterliegergrundstücks, wenn dieses und das trennende Anliegergrundstück im Eigentum derselben Person stehen.“

Das OVG schloss sich dieser Rechtsprechung an, sah aber im vorliegenden Fall die Voraussetzungen des Hinterliegererschlossenseins des hinteren Teils des Grundstücks nicht als gegeben an und führt weiter aus:

 „Soweit [der Kläger] sich darauf beruft, das Bundesverwaltungsgericht habe in diesem Zusammenhang allgemein die Möglichkeit in Erwägung gezogen, die planungsrechtlich begründete Vermutung einer begrenzten Erschließungswirkung könne durch die tatsächlichen Umstände widerlegt werden, wäre eine solche Rechtsauffassung jedenfalls durch die eindeutigen Ausführungen in dem unmittelbar nachfolgenden Urteil […] sowie in seiner weiteren Rechtsprechung […] (stillschweigend) aufgegeben bzw. nicht weiterverfolgt worden.“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten höchstrichterlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen

-          zur beschränkten Erschließungswirkung in der Rdnr. 806;

-          zum Erschlossensein eines Hinterliegers in den Rdnrn. 851 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

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