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12.05.2014

Zinsen wegen „verfrüht“ geleisteter Abgabe ?

…ein Zinsanspruch des Abgabenpflichtigen nur dann, wenn er dem Abgabengläubiger Kapital überlassen hat, das diesem nicht zusteht. Dagegen besteht ein Zinsanspruch in den Fällen nicht, in denen er die Abgabe „verfrüht“ geleistet hat.

Der Fall:

Der auf Grund einer ungültigen Satzung ergangene Abgabenbescheid ist rechtswidrig:

Die (spätere) Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks x. Mit Bescheid vom 31.1.2001 setzte die (später beklagte) Gemeinde Abwassergebühren in Höhe von insgesamt 1.714,95 DM (= 876,84 EUR) fest. Der Betrag wurde von der Klägerin bezahlt.

Auf die nach erfolglosem Widerspruchsverfahren von der Klägerin erhobene Klage hob das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 25.3.2009 den Bescheid sowie den Widerspruchsbescheid mit der Begründung auf, der in der Abwassersatzung verwendete einheitliche Frischwassermaßstab stelle keine gültige Maßstabsregelung dar. Auch die Absicht der Beklagten, die insoweit nichtige Satzung durch eine neue wirksame Satzung zu ändern, ändere nichts an der Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheids. Maßgeblich für die Entscheidung eines Gerichts seien die Rechtsvorschriften, die sich im Zeitpunkt seiner Entscheidung für die Beurteilung des Klagebegehrens Geltung beimäßen. Ob der angefochtene Gebührenbescheid rechtswidrig und die Klägerin dadurch in ihren Rechten verletzt sei, bestimme sich deshalb nach der damaligen Satzung der Gemeinde.

Sodann erneuert die Gemeinde ihre Satzung und erlässt einen neuen Bescheid:

Am 6.10.2010 beschließt die Beklagte eine neue Abwassersatzung, mit der sie rückwirkend zum 1.1.1994 eine nach Schmutz- und Niederschlagswasser gesplittete Abwassergebühr einführt. Die Satzung wird wenige Tage später bekanntgemacht. Mit Bescheid vom 11.10.2011 setzt die Gemeinde für das Grundstück der Klägerin auf der Grundlage der neuen Abwassersatzung für das Jahr 2000 Abwassergebühren in Höhe von 711,-- EUR fest und verrechnet damit den von der Klägerin für dieses Jahr bereits gezahlten Betrag in Höhe von 876,84 EUR. Den für dieses Jahr zu viel entrichteten Betrag in Höhe von 165,84 EUR erstattet die Beklagte der Klägerin am 20.10.2011. Den gegen den Bescheid erhobenen Widerspruch weist das Landratsamt zurück. Über die hiergegen erhobene Klage ist noch nicht entschieden.

Die Grundstückeigentümerin verlangt neben der Rückzahlung eine Verzinsung des vollen Betrages:

Sie macht Prozesszinsen geltend und erhebt am 28.11.2009 beim Verwaltungsgericht Klage, nachdem sie ihren Anspruch zuvor bei der Gemeinde erfolglos geltend gemacht hatte. Die Gemeinde folgte im Verwaltungsprozess der Klageforderung teilweise, was zu einer teilweisen Erledigung des Rechtsstreits führte. Übrig bleibt aber aus Sicht der Klägerin noch eine Restforderung wegen weiterer Prozesszinsen aus einem Erstattungsbetrag von noch 700,-- EUR. Denn der Abwassergebührenbescheid vom 31.1.2001, mit dem die Beklagte Abwassergebühren in Höhe von 876,84 EUR festgesetzt habe, sei durch das seit dem 21.6.2011 rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts vom 25.03.2009 aufgehoben worden. Damit sei das Leistungsgebot auf 0,00 EUR herabgesetzt worden. Deshalb sei die durch das rechtskräftige Urteil herabgesetzte Gebühr von 876,84 EUR und nicht lediglich der Erstattungsbetrag von 165,64 EUR zu verzinsen. Daraus errechne ein Gesamtzinsanspruch in Höhe von 272,-- EUR und nicht lediglich - wie von der Beklagten anerkannt - ein Betrag von 48,-- EUR. Das Verwaltungsgericht weist die Klage ab.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil und die Berufungsbegründung:

Zur Begründung der Berufung macht sie geltend, die Höhe des zu erstattenden Betrags ergebe sich aus dem rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts vom 25.03.2009. Seit diesem Zeitpunkt habe die Beklagte einen Betrag in Höhe von 876,84 EUR ohne Rechtsgrund bei sich behalten. Im Urteil sei es auch nicht zu einer Reduzierung einer festgesetzten Abgabenschuld gekommen. Denn der ursprüngliche Festsetzungsbescheid sei rechtskräftig vollständig aufgehoben worden. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts komme es auch nicht auf den Zeitpunkt der Entstehung der abstrakten Gebührenschuld an, sondern vielmehr auf den Zeitpunkt der Entstehung der persönlichen konkreten Gebührenschuld. Da eine wirksame Festsetzung der Abwassergebühren erst wieder durch den Bescheid vom 11.10.2011 erfolgt sei, habe die Beklagte bis zu diesem Zeitpunkt den Gesamtbetrag zu Unrecht vereinnahmt und müsse dementsprechend den Gesamtbetrag verzinsen.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Ansprüche aus einem Abgabenschuldverhältnis werden nur verzinst, soweit dies gesetzlich vorgeschrieben ist (hier § 236 AO):

„Wird durch eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung oder aufgrund einer solchen Entscheidung eine festgesetzte Steuer herabgesetzt, so ist der zu erstattende Betrag vorbehaltlich des Absatzes 3 der Vorschrift, der hier unstreitig nicht einschlägig ist, vom Tag der Rechtshängigkeit an bis zum Auszahlungstag zu verzinsen (§ 236 Abs. 1 Satz 1 AO). Durch gerichtliche Entscheidung wird die Steuer herabgesetzt, wenn etwa das Finanzgericht sie nach § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO selbst niedriger festsetzt, aufgrund einer gerichtlichen Entscheidung, wenn das Finanzgericht den angefochtenen Verwaltungsakt aufhebt und das Finanzamt die Steuer nach § 100 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 FGO weisungsgemäß niedriger festsetzt, weil die Ermittlung der festzusetzenden Steuer einen nicht unerheblichen Aufwand erfordert … Der Regelungsgehalt des § 236 Abs. 1 Satz 1 AO erfasst damit die Konstellation, in der mit dem rechtskräftigen Urteil der zu beurteilende Sachverhalt endgültig und abschließend geklärt ist bzw. geregelt wird.

Die Klägerin hat bei Übertragung dieser Grundsätze auf die hier zu beurteilende Abwassergebühr für das Jahr 2000 keinen Anspruch auf weitere Prozesszinsen. Sie hat allein Anspruch auf Prozesszinsen für den von ihr zu viel entrichteten Betrag in Höhe von 165,84 EUR, den die Beklagte am 20.10.2011 erstattet hat. … Dagegen besteht für den von der Klägerin bezahlten weiteren Betrag in Höhe von 711,-- EUR zum jetzigen Zeitpunkt kein Erstattungsanspruch und damit auch kein Zinsanspruch, da die Beklagte insoweit die Abwassergebühr für das Jahr 2000 mit Bescheid vom 11.10.2011 neu festgesetzt hat. Insoweit ergibt sich auch auf Grundlage des rechtskräftigen Urteils des Verwaltungsgerichts … vom 25.3.2009 kein Erstattungsanspruch.“

 

Das rückwirkende Inkrafttreten einer neuen Satzung führt dazu, dass die Gemeinde mit Rückwirkung einen Rechtsgrund geschaffen hat, um die vereinnahmten Abgaben behalten zu dürfen. Vertrauensschutz besteht nicht:

„Für das hier zu beurteilende Abgabenschuldverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten besteht die Besonderheit, dass das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts … den maßgeblichen Sachverhalt - Abwassergebühren für das Jahr 2000 für das Grundstück xxx xx - nicht abschließend und endgültig regelt. Denn die Beklagte war auch durch das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts nicht gehindert, ihre im  Gebührenmaßstab rechtsunwirksame Abwassersatzung vom 25.8.1992 i.d.F. vom 7.11.2000 durch eine neue Satzung (hier: Abwassersatzung vom 6.10.2010) mit geändertem Maßstab rückwirkend zu ersetzen und auf dieser neuen Grundlage Abwassergebühren für das Jahr 2000 festzusetzen. Das Bundesverwaltungsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass im Abgabenrecht der Rückwirkung von Rechtssätzen das im Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 GG) verankerte Gebot des Vertrauensschutzes nicht entgegensteht, wenn der Erhebung der Abgabe ein gleichartiger Regelungsversuch vorangegangen ist und sich deshalb ein Vertrauen der Betroffenen, wegen der Unwirksamkeit der Ausgangssatzung von der Abgabenpflicht überhaupt verschont zu bleiben, nicht bilden konnte (vgl. etwa BVerwG …). Bei Benutzungsgebühren wie der hier zu beurteilenden Abwassergebühr kann der betroffene Bürger, auch wenn er die Nichtigkeit der Ausgangssatzung im Hinblick auf Mängel des Gebührenmaßstabs rügt, nicht ernsthaft erwarten, dass eine nach ihrem Wesen gebührenpflichtige Leistung ohne jede Bezahlung gewährt wird.

Der rückwirkende Erlass einer neuen Abwassersatzung durch die Beklagte und der darauf gestützte Gebührenbescheid vom 11.10.2011 führen danach dazu, dass die Beklagte mit Rückwirkung für das Jahr 2000 einen Rechtsgrund geschaffen hat, um die vereinnahmten Abwassergebühren (in Höhe von 711,-- EUR) behalten zu dürfen. Dementsprechend steht der Klägerin zum Zeitpunkt dieser Entscheidung, dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt, kein Anspruch auf Erstattung dieses Betrags und konsequenterweise auch nicht auf Erstattungszinsen zu. Denn auch im Hinblick auf den Ausspruch im rechtskräftigen Urteil des Verwaltungsgerichts … vom 25.3.2009 steht bislang nicht fest, dass in Höhe des hier streitigen Betrags von 711,-- EUR zu hohe Abwassergebühren bezahlt wurden. Ein Erstattungsanspruch der Klägerin in Höhe dieses Betrags und daraus resultierend ein Anspruch auf weitere Prozesszinsen besteht erst dann, wenn auch bezüglich der unter dem 11.10.2011 festgesetzten Abwassergebühr eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung zu Gunsten der Klägerin vorliegt. Daran fehlt es hier, da … eine Entscheidung hierüber jedoch noch nicht erfolgt ist.“

 

Keine Zinsen für „verfrüht“ geleistete Zahlungen:

„Auf Grundlage der dargestellten Auslegung sieht § 236 Abs. 1 AO einen Zinsanspruch des Abgabenpflichtigen nur dann vor, wenn er dem Abgabengläubiger (hier der beklagten Gemeinde) Kapital überlassen hat, das diesem für den zu beurteilenden Zeitraum bzw. Vorgang in der Sache nicht zusteht. Dagegen besteht ein Zinsanspruch des Abgabenpflichtigen in den Fällen nicht, in denen er die Abgabe „verfrüht“ geleistet hat, dem Abgabengläubiger der Anspruch in der Sache jedoch zusteht, weil er etwa - wie hier - nachträglich (mit Rückwirkung) eine wirksame Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Abgabe geschaffen hat.

Für diese Sichtweise spricht insbesondere, dass ein Zinsanspruch auch dann nicht bestanden hätte, wenn die Beklagte noch während des verwaltungsgerichtlichen (Erst-)Verfahrens eine rechtswirksame Gebührensatzung (etwa durch Einführung eines Gebührenmaßstabs, der eine gesplittete Abwassergebühr vorsieht) als Grundlage für den von der Klägerin angefochtenen Abgabenbescheid „nachgeschoben“ hätte und dementsprechend der „verfrüht“ ergangene ursprüngliche Abwassergebührenbescheid vom 31.01.2001 „geheilt“ worden wäre …“

„Der Umstand, dass die Klägerin die Abwassergebühren für das Jahr 2000 bereits lange vor Erlass des Bescheids vom 11.10.2011 und damit „zu früh“ bezahlt hat, begründet für sich genommen keinen Zinsanspruch. § 236 AO bestimmt für Abgaben abschließend die Voraussetzungen für das Entstehen eines Zinsanspruchs dem Grunde nach. Auf allgemeine Rechtsgrundsätze kann insoweit nicht mehr zurückgegriffen werden. Deshalb können Prozesszinsen, wenn die Voraussetzungen des § 236 AO - wie hier - nicht vorliegen, mangels eines öffentlich-rechtlichen Verzinsungstatbestands nicht beansprucht werden ...“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. Ausführungen zum Vertrauensschutz und zur Verwirkung einer Beitragserhebung finden Sie in Ihrem Matloch/Wiens bei Rdnrn. 1127 f. 


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