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16.04.2020

Y_2019-05-08_Gefangene und nicht gefangene Hinterliegergrundstücke

Der Fall:

Die Gemeinde zog den Grundstückseigentümer nach Maßgabe der Ausbaubeitragssatzung als Eigentümer der Grundstücke FlNr. 44 (Anliegergrundstück) und FlNr. 45 (Hinterliegergrundstück) für die Erneuerung der Straße jeweils zu einem Straßenausbaubeitrag heran. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Hauptsacheklage gegen den Beitragsbescheid für das Hinterliegergrundstück ab. Die Beschwerde hatte keinen Erfolg.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

  1. Vor dem 31. Dezember 2017 festgesetzte Bescheide sind weiter zu überprüfen.

    Für Beiträge und Vorauszahlungen, die – wie hier – bis zum 31. Dezember 2017 durch Bescheid festgesetzt worden sind, verbleibt es nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG bei der früheren, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage, die sich aus dem Kommunalabgabengesetz selbst (KAG a.F.) und dem auf seiner Grundlage wirksam erlassenen gemeindlichen Satzungsrecht ergibt.

  2.  Sondervorteil

    Bei der abgerechneten Straßenbaumaßnahme handelt es sich um die Erneuerung einer Ortsstraße im Sinn des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F., für welche der Antragsgegner von den Eigentümern derjenigen Grundstücke Beiträge erheben durfte (und musste), denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Ortsstraße besondere Vorteile bietet. Für den die Beitragspflicht auslösenden Sondervorteil im Sinn der genannten Vorschrift sind nach der Rechtsprechung des Senats zwei Merkmale entscheidend: zum einen die spezifische Nähe des Grundstücks zur ausgebauten Ortsstraße, wie sie bei Anliegergrundstücken und ihnen aus dem Blickwinkel einer rechtlich gesicherten Inanspruchnahmemöglichkeit grundsätzlich gleichzustellenden Hinterliegergrundstücken gegeben ist, zum anderen eine Grundstücksnutzung, auf die sich die durch den Ausbau verbesserte Möglichkeit, von der Ortsstraße Gebrauch zu machen, positiv auswirken kann (ständige Rechtsprechung; vgl. u.a. BayVGH, U.v. 25.10.2012 – 6 B 10.132; U.v. 14.4.2011 – 6 BV 08.3182 – juris Rn. 18;).

    Beide Merkmale eines Sondervorteils sind – bei summarischer Prüfung – für das streitgegenständliche Hinterliegergrundstück erfüllt. Es steht außer Frage, dass es – zumal mit Blick auf seine Bebauung – in einer beitragsrechtlich beachtlichen Weise genutzt werden kann. Es besteht aber auch eine ausreichende spezifische Nähe zur abgerechneten Straße, die eine Beitragserhebung rechtfertigt. Zwar liegt es nicht unmittelbar an der abgerechneten Hinteren Gasse an, es ist aber mit dieser über das ebenfalls im Eigentum des Antragstellers stehende Anliegergrundstück (FlNr. 44) in einer Weise verbunden, die seine Beteiligung an der Aufwandsverteilung rechtfertigt (und verlangt).

    Dabei kann dahinstehen, ob es als sog. gefangenes oder als nicht gefangenes Hinterliegergrundstück anzusehen ist (zur Bedeutung der Unterscheidung BayVGH, U.v. 25.10.2012 – 6 B 10.132 – BayVBl 2013, 211 Rn. 31 ff., Rn. 39 ff.). Denn in beiden Fällen ist die Frage, ob ihm durch den Straßenausbau ein beitragsrelevanter Sondervorteil geboten wird, zu bejahen.

  3. Hinterliegergrundstück als gefangenes Hinterliegergrundstück

    Bei einem gefangenen Hinterliegergrundstück, also einem Grundstück, das ausschließlich über die vorgelagerten Anliegergrundstücke eine Verbindung zum gemeindlichen Verkehrsnetz hat, besteht die erforderliche räumliche enge Beziehung und qualifizierte Inanspruchnahmemöglichkeit in aller Regel dann, wenn vom gefangenen Hinterliegergrundstück aus über das Anliegergrundstück eine hinreichend rechtlich gesicherte Möglichkeit zur Inanspruchnahme der ausgebauten Straße besteht oder durch den Eigentümer des Hinterliegergrundstücks aus eigener Rechtsmacht bestellt werden kann. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn – wie hier – Anlieger- und Hinterliegergrundstück im Eigentum derselben Person stehen (Eigentümeridentität). Weil das gefangene Hinterliegergrundstück hinsichtlich des Zugangs zum gemeindlichen Verkehrsnetz darauf angewiesen ist, über das vorgelagerte Anliegergrundstück die wegemäßige Erschließung zu erfahren und in diesem Sinne ausschließlich auf die ausgebaute Straße hin ausgerichtet ist, kann bei einer Eigentümeridentität in aller Regel – und so auch hier – angenommen werden, die Straße werde von ihm aus wie von dem Anliegergrundstück wegen seiner räumlich engen Beziehung intensiver beansprucht als von anderen Grundstücken aus, so dass eine Beitragserhebung gerechtfertigt ist (vgl. auch OVG MV, U.v. 5.11.2014 – 1 L 81/13 – juris Rn. 36 m.w.N.).

  4. Hinterliegergrundstück als nicht gefangenes Hinterliegergrundstück

    Ein beitragsrelevanter Sondervorteil besteht auch dann, wenn es sich, wie der Antragsteller unter Hinweis auf eine eigene Anbindung über einen „tatsächlich öffentlichen“ Flurbereinigungsweg geltend macht, um ein sog. nicht gefangenes Hinterliegergrundstück handeln sollte.

    Ein nicht gefangenes Hinterliegergrundstück unterliegt nach ständiger Rechtsprechung des Senats nur unter bestimmten Voraussetzungen der Beitragspflicht. Es müssen (irgendwelche) objektiven Anhaltspunkte vorhanden sein‚ die den Schluss erlauben‚ die abzurechnende Straße werde über das Anliegergrundstück vom Hinterliegergrundstück aus ungeachtet dessen direkter Anbindung an seine „eigene“ Straße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen werden (vgl. BayVGH‚ B.v. 3.7.2017 – 6 ZB 16.2272 – juris Rn. 23 m.w.N.). Die einheitliche Nutzung von Anlieger- und Hinterliegergrundstück in der Hand eines einzigen Eigentümers reicht als solcher Anhaltspunkt allerdings nicht aus. Denn eine einheitliche Nutzung ist ebenso wie eine Eigentümeridentität als solche neutral und lässt für sich betrachtet nicht den Schluss zu, die abzurechnende Straße werde von einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück aus über das Anliegergrundstück in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen (BayVGH, B.v. 25.2.2015 – 6 ZB 14.2045 – juris Rn. 8 m.w.N.). Als ein – objektiver – Anhaltspunkt für den Schluss auf eine nennenswerte Inanspruchnahme genügt aber grundsätzlich eine tatsächlich angelegte Zufahrt oder ein tatsächlich angelegter Zugang vom nicht gefangenen Hinterliegergrundstück über das Anliegergrundstück auf die abzurechnende Straße (vgl. BayVGH‚ U.v. 25.10.2012 – 6 B 10.132 – BayVBl 2013, 211 Rn. 40; B.v. 13.7.2015 – 6 ZB 15.585 – juris Rn. 6), deren Benutzbarkeit rechtlich hinreichend gesichert ist (BayVGH, B.v. 27.7.2017 – 6 B 17.519 – juris Rn. 24 m.w.N.). In solchen Fällen begründen die tatsächlichen Verhältnisse den Schluss auf eine (wahrscheinliche) Inanspruchnahme der abzurechnenden Straße und damit die sachliche Beitragspflicht des Hinterliegergrundstücks unabhängig davon, wie intensiv die Zufahrt oder der Zugang im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten tatsächlich genutzt wird (BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 6 ZB 17.2521 – juris Rn. 7).

    Auch nach diesen Grundsätzen unterliegt das Hinterliegergrundstück der Beitragspflicht für die Erneuerung der Ortsstraße. Wie sich aus den in den Akten befindlichen Plänen und Fotos ergibt und von Seiten des Antragstellers auch nicht bestritten wird, ist auf dem Anliegergrundstück eine – durchaus breite – Zufahrt angelegt, über die das Hinterliegergrundstück von der abzurechnende Ortsstraße aus ohne Schwierigkeiten fußläufig oder mit auch größeren Kraftfahrzeugen erreicht werden kann. Aufgrund der Eigentümeridentität ist ohne weiteres von einer hinreichenden rechtlichen Sicherung dieser Zufahrt auszugehen. Dass der Antragsteller das ursprünglich auf dem Anliegergrundstück zu Gunsten des Hinterliegergrundstücks lastende Geh- und Fahrtrecht gelöscht hat, ist beitragsrechtlich unerheblich. Die vorhandene, rechtlich hinreichend gesicherte Zufahrt über das Anliegergrundstück erlaubt als objektiver Anhaltspunkt den Schluss‚ die abgerechnete Straße wird vom Hinterliegergrundstück aus ungeachtet dessen direkter Anbindung an den Flurbereinigungsweg in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen werden. Dem steht nicht entgegen, dass, wie die Beschwerde einwendet, mit den auf dem Hinterliegergrundstück untergebrachten landwirtschaftlichen Großgeräten (Feldhäcksler, Mähdrescher und Zuckerrüben-Vollernter) eine Zufahrt über die abgerechnete Straße objektiv ausgeschlossen ist. Für den beitragsrechtlichen Sondervorteil ist eine Zufahrtsmöglichkeit mit bestimmten (Groß-) Fahrzeugen ebenso wenig erforderlich wie der subjektive Wille des in Anspruch genommenen Eigentümers, die für kleinere Fahrzeuge gebotene Möglichkeit tatsächlich zu nutzen. Denn es kommt nicht auf die aktuell bestehende Nutzung des Grundstücks an; Grundstücke sollen sich an dem Vorteilsausgleich vielmehr immer dann beteiligen, wenn und soweit ihnen durch die Inanspruchnahmemöglichkeit der ausgebauten Verkehrsanlage an sich ein nennenswerter Vorteil erwächst. Davon ist vorliegend schon deshalb auszugehen, weil jedenfalls Zufahrt zu dem auf dem Hinterliegergrundstück befindlichen Wohnhaus genommen werden kann.

 

Weiterleitende Hinweise:

Die Daten der obergerichtlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie Erläuterungen zu dieser Problematik unter Rdnr. 2163.


Unsere Tipps für die Praxis:

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