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10.03.2016

Wirtschaftliche Grundstückseinheit

Muss ein Bescheid in dem Fall aufgehoben werden, obwohl feststeht, dass der Eigentümer sogar mit einem noch höheren Betrag beitragspflichtig ist? Kann nicht – wie in anderen Konstellationen – der Vorausleistungsbescheid aufrechterhalten werden und die Gemeinde eine Nacherhebung vornehmen?

 

 

Der Grundsatz:

 

Bei der Frage, inwiefern ein Grundstück von einer Erschließungsanlage erschlossen (§ 131 Abs. 1 BGB) ist, wird nach ständiger Rechtsprechung der bürgerlich-rechtliche Begriff des Grundstücks zugrunde gelegt (sog. „Buchgrundstücksbegriff“). Zu den Ausnahmekonstellationen, in denen von dieser streng formalistischen Betrachtungsweise abgewichen werden muss, gehört der Fall, der wirtschaftlichen Grundstückeinheit: Ist ein Buchgrundstück für sich betrachtet nicht baulich nutzbar, ist es jedoch zusammen mit einem benachbarten Grundstück desselben Eigentümers bebaubar, dann werden beide Grundstücke unter Abweichung vom Buchgrundstücksbegriff zusammen betrachtet.

                                     

 

Der Fall:

 

Die Gemeinde erhob eine Vorausleistung auf einen Erschließungsbeitrag für ein 100 m² großes Grundstück, das eine lange, schmale und dreieckige Form aufweist. Der Eigentümer des Grundstücks ging gerichtlich gegen den Bescheid vor und monierte die fehlerhafte Berechnung des Beitrags. Das Verwaltungsgericht und auch das Oberverwaltungsgericht gaben der Klage statt und hoben den Bescheid auf; als tragende Begründung wurde jedoch auf die fehlende Berücksichtigung der wirtschaftlichen Grundstückseinheit abgestellt. Das streitgegenständliche Grundstück sei aufgrund seiner Form und Größe nicht selbstständig bebaubar. Zusammen mit dem benachbarten Grundstück desselben Eigentümers könne es jedoch baulich genutzt werden, so dass ein Vorausleistungsbescheid für beide Grundstücke gemeinsam zu erlassen gewesen wäre. Der Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks legte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein.

 

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

Das BVerwG wies die Beschwerde zurück und bestätigte die Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts

„Gemäß § 133 Abs. 1 BauGB unterliegt ein Grundstück, das - etwa aufgrund seiner geringen Größe oder seines für eine beitragsrelevante Nutzung ungeeigneten Zuschnitts […] - nicht bebaubar oder gewerblich nutzbar ist, keiner Erschließungsbeitragspflicht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass im Erschließungsbeitragsrecht grundsätzlich der bürgerlich-rechtliche Grundstücksbegriff maßgebend ist. Ebenfalls entschieden ist, dass, wenn ein Anliegergrundstück zwar isoliert betrachtet nicht bebaubar ist, jedoch mit einem oder mehreren Grundstücken desselben Eigentümers zusammen ein geeignetes Baugrundstück darstellt, es gröblich unangemessen wäre, den bürgerlich-rechtlichen Grundstücksbegriff zugrunde zu legen. Bei einer solchen Konstellation führte das Festhalten am Buchgrundstücksbegriff zu der unter dem Blickwinkel des auf einen angemessenen Vorteilsausgleich ausgerichteten Erschließungsbeitragsrechts unerträglichen Konsequenz, dass das betreffende Grundstück überhaupt nicht mit einem Beitrag belastet werden könnte, obgleich sich für den Eigentümer das Vorliegen nicht eines, sondern mehrerer (Buch-)Grundstücke baurechtlich in keiner Weise hinderlich auswirkt. Nach der Zielsetzung des Baugesetzbuchs ist deshalb in diesen Fällen darauf abzustellen, dass diese Grundstücke insgesamt bebaubar sind. Sie müssen daher als einheitliches Grundstück angesehen werden […]. Dementsprechend wird in diesen Fällen auch die gemäß § 134 Abs. 2 BauGB auf dem Grundstück ruhende Last nicht auf die einzelnen Grundstücke aufgeteilt; vielmehr ruht diese ungeteilt auf der Grundstückseinheit […].“

 

Vorgehen bei einer Konstellation, in der mehrere Grundstückseinheiten gebildet werden könnten

In der Revision wurde zudem die Frage aufgeworfen, wie zu verfahren sei, wenn das selbstständig nicht bebaubare Grundstück nicht nur an ein Grundstück desselben Eigentümers grenzt, sondern an mehrere. Hierzu hat das BVerwG jedoch aufgrund fehlender Entscheidungserheblichkeit keine Antwort gegeben. Die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Gemeinde in dieser Konstellation ein Bestimmungsrecht des  Grundstückseigentümers hinsichtlich der Ausgestaltung der wirtschaftlichen Einheit zu beachten habe, stelle sich vorliegend nicht.

 

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung des BVerwG finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zur wirtschaftlichen Grundstückseinheit bei Rdnrn. 803 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.

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