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02.10.2014

Verzinsung einer zurückgezahlten Vorausleistung?

Die Gemeinde hob einen Vorausleistungsbescheid auf und erstattete die gezahlte Vorausleistung, ohne diese jedoch zu verzinsen. Hiergegen erhob der Beitragspflichtige insoweit Widerspruch.

Der Grundsatz  des § 133 Abs. 3 BauGB:

(1)   Für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, können Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn ein Bauvorhaben auf dem Grundstück genehmigt wird oder wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist und die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist.

(2)   …

(3)   Ist die Beitragspflicht sechs Jahre nach Erlass des Vorausleistungsbescheids noch nicht entstanden, kann die Vorausleistung zurückverlangt werden, wenn die Erschließungsanlage bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht benutzbar ist.

(4)   Der Rückzahlungsanspruch ist ab Erhebung der Vorausleistung mit 2 vom Hundert über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs jährlich zu verzinsen

 

Der Fall:

Die Gemeinde (die spätere Beklagte) erhob mit Bescheid vom 25.7.2002 Vorausleistungen; der Betrag wurde bezahlt. Wegen einer zwischenzeitlich erfolgten Kürzung der für die Anlage in Betracht kommenden Fördermittel sah sich die Gemeinde nicht mehr in der Lage, den geplanten Zeitrahmen für die Herstellung der Anlage einzuhalten. Weil sie erkannte, dass die im Gesetz vorgesehene Sechs-Jahresfrist, nach deren Ablauf die Vorausleistung verzinslich zurückzuzahlen ist, nicht eingehalten werden konnte, entschied sie sich zu vorzeitigen Rückzahlung der mit Bescheid vom 25.7.2002 erhobenen Vorausleistung, hob mit Bescheid vom 16.6.2008 den Vorausleistungsbescheid auf und erstattete die gezahlte Vorausleistung in Höhe von 1.987,74 €, ohne diese jedoch zu verzinsen. Hiergegen erhob der Beitragspflichtige insoweit Widerspruch, als der Betrag unverzinslich zurückgezahlt werden sollte; er verlangte zugleich eine entsprechende Zinsleistung.

Nach der Zurückweisung seines Widerspruchs erhob der Beitragspflichtige Klage zum Verwaltungsgericht, das ihm Recht gab und die Gemeinde verpflichtete, die Rückzahlung mit acht vom Hundert jährlich, beginnend mit dem Tag des Eingangs der Vorauszahlung auf dem Konto der Gemeinde und endend mit dem Eingang der Rückzahlung auf dem Konto des Beitragspflichtigen, zu verzinsen.

Die Gemeinde erhob die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung zum Oberverwaltungsgericht.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Zunächst setzt sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob der Rückzahlungsanspruch einen entsprechenden Antrag des betroffenen Beitragspflichtigen voraussetzt:

„Die Entstehung des Rückzahlungsanspruchs … setzt nicht voraus, dass der Anspruchsberechtigte einen Antrag auf Rückzahlung der Vorausleistung stellt.

Ein solches Antragserfordernis im Sinne einer anspruchsbegründenden materiellrechtlichen Anspruchsvoraussetzung ergibt sich nicht zwingend aus dem Wortlaut … Es ist zwar Raum für die vom Beklagten vertretene Auffassung, da die Begriffe „zurückverlangen“ und „kann“ inhaltlich ein Aktivwerden des Anspruchsberechtigten umschreiben; die Wortlautgrenze zwingt aber nicht dazu, dieses „zurückverlangen können“ als materielle Anspruchsvoraussetzung einzuordnen, deren Fehlen die Entstehung des Anspruchs hindert. Die Verwendung der Worte „zurückverlangen“ und „kann“ lässt in gleicher Weise Raum für die Auslegung, dass durch diese Formulierung hervorgehoben wird, dass der Rückzahlungsanspruch erst sechs Jahre nach Erhebung der Vorauszahlung zur Entstehung gelangen soll und deshalb auch erst nach Ablauf dieses Zeitraums von dem Anspruchsberechtigten geltend gemacht werden kann. Für diese Auslegung … sprechen die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift sowie systematische Gründe (wird ausgeführt).

Der Rückzahlungsanspruch soll zugleich mit seinem Entstehen fällig sein. (…). Diesem mit der Schaffung des Rückzahlungsanspruchs verfolgten Zweck, den Einrichtungsträger dazu anzuhalten, die beitragsfähige Anlage in angemessenem Zeitraum zu erstellen, würde es zuwiderlaufen, seine Entstehung von der Stellung eines Antrags abhängig zu machen.

Darüber hinaus sprechen systematische Gesichtspunkte dafür, dass der Rückzahlungsanspruch auch ohne Stellung eines Antrages bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen zur Entstehung gelangt. Durch die in § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB festgeschriebene Sechs-Jahres-Frist und das Abstellen auf eine (immer noch) fehlende Benutzbarkeit der Erschließungsanlage hat der Bundesgesetzgeber seinerzeit deutlich zum Ausdruck gebracht, dass diese neue Regelung an die unter der Geltung des Bundesbaugesetzes maßgebende Rechtslage anknüpfen sollte. Danach verdichtete sich die allgemeine Erschließungspflicht zu einem einklagbaren Erschließungsanspruch, wenn eine Gemeinde trotz vereinnahmter Vorausleistung die entsprechende Straße nicht innerhalb eines Zeitraums von sechs Jahren nach Abschluss des die Vorausleistung betreffenden Verwaltungsverfahrens in einen Zustand versetzt hatte, der die funktionsgerechte Nutzbarkeit der genehmigten baulichen Anlagen gewährleistet, sofern nicht die Gemeinde die Vorausleistung vor Entstehung des Anspruchs zurückerstattet hatte (BVerwG …). Mit der ab 1. Juli 1987 geltenden Neuregelung sollte nach dem Willen des Gesetzgebers im Interesse der Gemeinden das Entstehen von Erschließungsansprüchen vermieden werden; an die Stelle eines Erschließungsanspruchs, der bei der Weitergeltung des Bundesbaugesetzes und Vorliegen der weiteren Voraussetzungen entstehen würde, sollte nach Inkrafttreten des Baugesetzbuches nach Maßgabe des § 133 Abs. 3 Sätze 3 und 4 BauGB ein zu verzinsender Rückzahlungsanspruch treten (vgl. BVerwG …). Ausgehend von diesem Zweck stellt sich die Schaffung dieses gesetzlichen Rückzahlungs- und Verzinsungsanspruches nicht ausschließlich als Erweiterung der Rechtsposition des Vorausleistungsverpflichteten, sondern auch als eine Kompensation für eine mit diesem Anspruch einhergehende Begrenzung des Rechtskreises dar: Die mit der Zahlung der Vorausleistung einhergehende Erwartung, nach Ablauf von sechs Jahren - bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen - mit einer Verdichtung der allgemeinen Erschließungspflicht zu einer aktuellen und auch fälligen Pflicht rechnen zu können, ist seit Inkrafttreten des Baugesetzbuches am 1. Juli 1987 nicht mehr berechtigt (vgl. BVerwG …). Dies verdeutlicht, dass im Wesentlichen der Gesichtspunkt der unangemessenen Verzögerung der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage Anknüpfungspunkt für die Schaffung des verzinslichen Rückzahlungsanspruches war.“

 

Der Anspruch auf Verzinsung des Rückzahlungsbetrags ist zur Überzeugung des Gerichts begründet:

„Dem geltend gemachten Verzinsungsanspruch … steht nicht entgegen, dass der Beklagte den Vorausleistungsbescheid vom 25. Juli 2002 vor Ablauf der Sechs-Jahres-Frist durch den Bescheid vom 16. Juni 2008 aufgehoben hat. Der Anspruch …, der infolge der Aufhebung eines Vorausleistungsbescheides entsteht, und der Rückzahlungsanspruch … stehen selbständig nebeneinander. Sie sind hinsichtlich der Rückzahlungspflicht auf die gleiche Rechtsfolge gerichtet, knüpfen diese aber an unterschiedliche Voraussetzungen. Die Bestimmung … beinhaltet einen eigenständigen einfachgesetzlichen Rückzahlungsanspruch, der die Aufhebung eines bestandskräftigen Vorausleistungsbescheides nicht voraussetzt. Ein bestandskräftiger Vorausleistungsbescheid ist Rechtsgrund für das Behaltendürfen einer gezahlten Vorausleistung (und) begründet unabhängig davon eine neue selbständige Rückzahlungspflicht des Aufgabenträgers, der die Vorauszahlung vereinnahmt hat. Dies rechtfertigt jedoch nicht die von dem Beklagten gezogene Schlussfolgerung, dass die Entstehung des Rückzahlungsanspruchs … ausscheidet, wenn der Vorausleistungsbescheid vor Ablauf der Sechs-Jahres-Frist aufgehoben wird und ein Anspruch auf unverzinste Rückerstattung der Vorausleistung nach … i. V. m. § 37 Abs. 2 AO zur Entstehung gelangt.

Die Entstehung dieses Rückerstattungsanspruches … hindert die Entstehung des … Verzinsungsanspruchs … nur dann, wenn andere Gründe als der Umstand, dass die sachliche Beitragspflicht vor Ablauf von sechs Jahren nach Erlass des Vorausleistungsbescheides nicht entstanden ist, Veranlassung für seine Aufhebung gegeben haben (vgl. BVerwG ...). Demgegenüber hindert die vorherige Aufhebung des Vorausleistungsbescheides die Entstehung des Rückzahlungs- und Verzinsungsanspruches nicht, wenn die vorherige Aufhebung allein darauf zurückzuführen ist, dass der Einrichtungsträger vor Ablauf der Sechs-Jahres-Frist sein Planungskonzept ändern muss, weil er zu der Erkenntnis gelangt ist, dass die sachliche Beitragspflicht mangels rechtzeitiger technischer Herstellung … der dem Planungskonzept entsprechenden Beendigung … nicht entstehen wird.“

Der Entstehung eines Rückzahlungsanspruches steht auch nicht entgegen, dass die Vorausleistung bereits vorher zurückgezahlt wurde. Wurde eine Vorauszahlung wie hier vor Ablauf der Sechs-Jahres-Frist bereits zur Erfüllung des infolge der Aufhebung des Vorauszahlungsbescheides … zurückgezahlt, hat dies lediglich zur Folge, dass der nach Ablauf der Sechs-Jahres-Frist entstehende Rückzahlungsanspruch … bereits im Zeitpunkt seiner Entstehung erfüllt ist …

(Es) verstieße … jedoch in ermessensfehlerhafter Weise gegen die Grundsätze von Treu und Glauben, wenn ein Vorausleistungsbescheid vor Ablauf der Sechs-Jahres-Frist nur aufgehoben wird, um der Verpflichtung zur Verzinsung … insgesamt zu entgehen. ... In solchen Fällen fällt ihr ein Formenmissbrauch zur Last mit der Folge, dass die behördliche Formenwahl nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unbeachtlich ist (vgl. BVerwG …). Auch dieser Gesichtspunkt spricht dafür, dass eine Aufhebung des Vorausleistungsbescheides vor Ablauf der Sechs-Jahres-Frist in diesen Fällen die Entstehung des verzinslichen Rückzahlungsanspruchs nicht grundsätzlich hindert.“

 

Unsere Hinweise:

Die Entscheidung ist zu einen Sachverhalt ergangen, der einen nach kommunalabgabenrechtlichen Vorschriften erhobenen Anschlussbeitrag betrifft. Nach der anzuwendenden Vorschrift ist für den Rückzahlungsanspruch – neben der Erfüllung der Frist von sechs Jahren - weitere Voraussetzung, dass die Beitragspflicht noch nicht entstanden ist.

Auf das Erschließungsbeitragsrecht ist die Entscheidung mit der Maßgabe anwendbar, dass § 133 Abs. 3 BauGB für den Rückzahlungsanspruch nicht allein darauf abstellt, dass die sachliche Beitragspflicht – wie im vorgestellten Fall - noch nicht entstanden ist, sondern für den Anspruch zusätzlich das Fehlen der Benutzbarkeit der Erschließungsanlage voraussetzt. Für das Straßenausbaubeitragsrecht kommt es auf die landesrechtliche Regelung im jeweiligen Kommunalabgabengesetz an; in Bayern ist das Art. 5 Abs. 5 Satz 3 KAG – hiernach hängt der Rückzahlungsanspruch nicht von der Benutzbarkeit der Anlage ab, sondern setzt nur voraus, dass die Beitragspflicht noch nicht entstanden ist – so wie in der vorgestellten Entscheidung. Das entspricht den gängigen Bestimmungen in den Kommunalabgabengesetzen anderer Bundesländer.

Die Daten der vorgestellten obergerichtlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. Dort finden Sie auch einen Hinweis auf die für den Zinsanspruch geltende Verjährungsfrist.

In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zu den Ansprüchen auf Rückzahlung einer erbrachten Vorausleistung bei Rdnrn. 1470 ff., zum Rückzahlungsanspruch bei verzögerter Herstellung bei Rdnr. 1474, zur Verzinsungspflicht  bei Rdnrn. 1480 f. und zur analogen Anwendbarkeit der gesetzlichen Verzinsungsregel auf vertragliche Gestaltungen bei Rdnr. 1487.


Unsere Tipps für die Praxis:

Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.

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