Alle Treffer anzeigen
Dieses Fenster schliessen
06.09.2016

Teilstreckenausbau

Der Fall befasst sich mit der Frage, wann ein Straßenausbau beitragsfähig ist.

Der Fall:

Die Ortsstraße G., die ein Gewerbegebiet an der Staatsstraße erschließt, verläuft U- förmig und hat nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts einschließlich einer 49,30 m langen Stichstraße eine Länge von insgesamt 926,95 m. Sie war vom Beklagten in ihrem südwestlichen Teil, der im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr.  liegt, auf einer Länge von etwa 200 m in den 1960er Jahren erstmals endgültig hergestellt worden. In den Jahren 2011 bis 2013 erneuerte der Beklagte in diesem Bereich auf einer Länge von 216,64 m die Fahrbahn und die Straßenbeleuchtung. Die Teileinrichtung Gehweg, die für sich betrachtet 857,40 m lang ist, wurde auf einer Länge von 225 m erneuert.

Die Klägerin wurde als Eigentümerin des Anliegergrundstücks von dem Beklagten für die Erneuerung der Ortsstraße Gemeindewald zu einem Straßenausbaubeitrag herangezogen. Das Verwaltungsgericht hat den Bescheid des Beklagten insoweit aufgehoben, als ein höherer Straßenausbaubeitrag als 5.840,94 € festgesetzt worden war und im Übrigen die Klage abgewiesen.

Das Verwaltungsgericht hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Berufung der Klägerin hatte Erfolg.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Die – betragsmäßig beschränkte – Berufung ist zulässig und begründet. Der Beitragsbescheid ist in dem noch streitigen Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ergibt sich bereits daraus, dass es sich bei sämtlichen von dem Beklagten abgerechneten Straßenbaumaßnahmen entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht um eine beitragsfähige Erneuerung oder Verbesserung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG in Verbindung mit § 1 der Ausbaubeitragssatzung – ABS – des Beklagten vom 2. August 2007 handelt.

 

1. Voraussetzungen für die Beitragserhebung

Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG (nunmehr geltend in der Fassung vom 8.3.2016, GVBl S. 36) können die Gemeinden zur Deckung des Aufwands für die Herstellung, Anschaffung, Verbesserung oder Erneuerung ihrer öffentlichen Einrichtungen (Investitionsaufwand) Beiträge von den Grundstückseigentümern und Erbbauberechtigten erheben, denen die Möglichkeit der Inanspruchnahme dieser Einrichtungen besondere Vorteile bietet. Nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG sollen für die Verbesserung oder Erneuerung von Ortsstraßen und beschränkt-öffentlichen Wegen solche Beiträge erhoben werden, soweit nicht Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG zu erheben sind. Dem entspricht die in § 1 ABS getroffene Regelung. Sonstige Bauarbeiten an gemeindlichen Straßen, wie insbesondere Unterhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen, sind hingegen nicht über Beiträge refinanzierbar, sondern abschließend von der Gemeinde zu tragen.

Unter einer beitragsfähigen Erneuerung ist die – über eine bloße Instandsetzung hinausgehende – Ersetzung einer infolge bestimmungsgemäßer Nutzung nach Ablauf der üblichen Nutzungszeit abgenutzten Ortsstraße durch eine gleichsam „neue“ Ortsstraße von gleicher räumlicher Ausdehnung, gleicher funktioneller Aufteilung der Fläche und gleichwertiger Befestigungsart zu verstehen, also eine Maßnahme, durch die eine erneuerungsbedürftige Straße bzw. Teileinrichtung nach Ablauf der für sie üblichen Nutzungsdauer in einen Zustand versetzt wird, der mit ihrem ursprünglichen Zustand im Wesentlichen vergleichbar ist. Nach ständiger Rechtsprechung beträgt die übliche Nutzungsdauer von Straßen 20 bis 25 Jahre (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 15; B.v. 13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 11; U.v. 14.7.2010 – 6 B 08.2254 – juris Rn. 28). Eine beitragsfähige Verbesserung ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Zustand der Ortsstraße nach dem Ausbau in irgendeiner Hinsicht (insbesondere räumlicher Ausdehnung, funktionaler Aufteilung der Gesamtfläche, Art der Befestigung) von ihrem ursprünglichen Zustand im Herstellungszeitpunkt in einer Weise unterscheidet, die positiven Einfluss auf die Benutzbarkeit hat (BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 15; B.v. 13.8.2014 – 6 ZB 12.1119 – juris Rn. 13; U.v. 5.2.2007 – 6 BV 05.2153 – BayVBl 2007, 597).

        

2. Ausgangspunkt ist die einzelne Ortsstraße als öffentliche Einrichtung

Gegenstand einer solchen – über eine bloße Instandsetzung hinausgehenden und deshalb – beitragsfähigen Erneuerung oder Verbesserung ist grundsätzlich die einzelne Ortsstraße als öffentliche Einrichtung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG. Wie weit diese reicht und wo eine andere Verkehrsanlage beginnt, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter im Hinblick auf Straßenführung, Straßenbreite und -länge sowie Ausstattung mit Teileinrichtungen vermitteln (ständige Rechtsprechung; vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 12; B.v. 23.9.2009 – 6 CS 09.1753 – juris Rn. 12; B.v. 29.7.2009 – 6 ZB 07.2861 – juris Rn. 5 m.w.N.). Bezieht sich eine beitragsfähige Erneuerung demnach auf die jeweilige Einrichtung insgesamt, ist der umlagefähige Aufwand gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG – vorbehaltlich einer wirksamen Abschnittsbildung – auf sämtliche Grundstücke zu verteilen, die eine beitragsrelevante Inanspruchnahmemöglichkeit „dieser Einrichtung“ haben. Wird etwa lediglich der Gehweg auf der einen Seite einer Ortsstraße erneuert, umfasst das Abrechnungsgebiet deshalb sämtliche Anliegergrundstücke unabhängig davon, ob diese unmittelbar an die erneuerten Teile angrenzen oder davon mehr oder weniger weit entfernt liegen (vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 12; B.v. 27.9.2016 – 6 ZB 15.1979 – juris Rn. 14 m.w.N.).

        

3. Abgrenzung zwischen beitragsfreier Instandsetzung und beitragsfähiger Erneuerung

Erstreckt sich eine Baumaßnahme nicht auf die Ortsstraße (oder Teileinrichtungen) in ihrer gesamten Länge, sondern – wie im vorliegenden Fall – mangels weitergehenden Erneuerungs- oder Verbesserungsbedarfs lediglich auf eine Teilstrecke, stellt sich in besonderer Weise das Problem, wie zwischen noch beitragsfreier Instandsetzung einerseits und bereits beitragsfähiger Erneuerung oder Verbesserung andererseits abzugrenzen ist. Für diese Abgrenzung sind nämlich nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Gesichtspunkte maßgebend. In diesem Zusammenhang geht der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass eine beitragsfähige Erneuerung in der Regel nur dann angenommen werden kann, wenn die erneuerte Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straßenlänge umfasst. Denn unterhalb dieser Schwelle ist regelmäßig nur ein unerheblicher Teil betroffen, dessen Erneuerung oder Verbesserung nicht auf die gesamte Einrichtung durchschlägt (BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 16; U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 13 f.). Dieser Orientierungswert gilt nicht nur für flächenmäßige Teileinrichtungen wie Fahrbahn, Geh- und Radwege oder Grünstreifen, sondern der Sache nach auch für die Teileinrichtungen Beleuchtung und Entwässerung. Er bezieht sich auf eine „normale“ Straße und mag bei außergewöhnlich kurzen oder langen Straßen Abweichungen nach oben oder unten erfahren (BayVGH, U.v. 28.1.2010 – 6 BV – 08.3043 – juris Rn. 14). Außerdem sind von dem Grundsatz vor allem mit Blick auf Verbesserungen Ausnahmen denkbar. Von vornherein keine Aussagekraft beansprucht er hinsichtlich Bestandteilen, die sich typischerweise nicht auf die gesamte Länge einer Straße erstrecken, zum Beispiel die Errichtung einer die Straße verbessernden Stützmauer oder einer Wendeanlage (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 16, 17 ff.).

Gemessen an diesem Maßstab sind die vom Beklagten 2011 bis 2013 durchgeführten und nunmehr abgerechneten Baumaßnahmen an der Fahrbahn, der Beleuchtung und dem Gehweg der Ortsstraße Gemeindewald insgesamt nicht beitragsfähig.

        

4. Zur Straßenlänge zählen auch unselbständige Stichstraßen

Die Ortsstraße G. stellt bei der gebotenen natürlichen Betrachtungsweise trotz ihrer unterschiedlichen Entstehungszeit eine einheitliche Ortsstraße dar, die neben dem U-förmigen Hauptzug noch die Stichstraße zwischen den Grundstücken FlNrn. als unselbstständiges Anhängsel umfasst. Sie ist nach den sorgfältigen und unbestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts insgesamt 926,95 m lang, wobei auf den Hauptzug 877,65 m und auf die Stichstraße 49,30 m entfallen. Die Ausbaumaßnahmen bleiben für jede der betroffenen Teileinrichtungen in quantitativer Hinsicht – wenn auch mehr oder weniger geringfügig – hinter dem Orientierungswert von einem Viertel der gesamten Straßenlänge von 926,95 m zurück. Auch in der Gesamtschau besteht kein tragfähiger Grund, um von der genannten Regel abzuweichen und gleichwohl – zulasten der Grundstücksanlieger – eine beitragsfähige Erneuerung oder Verbesserung der Ortsstraße Gemeindewald anzunehmen.

Bezüglich der Fahrbahn umfasst der ausgebaute Teil 216,64 m und somit lediglich 23,37 % der gesamten Straßenlänge. Die Straße ist weder außergewöhnlich kurz noch außergewöhnlich lang. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und des Beklagten liegen auch mit Blick auf die Qualität der Ausbaumaßnahme (Komplettsanierung) und deren absolute Länge, den erzielten Ausbaustandard und die entstandenen Baukosten sowie den fehlenden Erneuerungsbedarf auf der Reststrecke keine Besonderheiten vor, die das Unterschreiten des Orientierungswerts kompensieren könnten.

        

5. Verhältnis der erneuerten und nicht erneuerten Flächen ist nicht maßgebend

Dem Beklagten kann auch nicht in der Annahme gefolgt werden, zur Bewertung der Beitragsfähigkeit eines Teilstreckenausbaus käme es statt auf einen bloßen Längenvergleich maßgebend auf das Verhältnis der erneuerten zu den übrigen Flächen der jeweiligen Teilstrecke an. Maßgeblich ist vielmehr das Verhältnis der ausgebauten Teilstrecke zur gesamten Straßenlänge. Abgesehen davon würde auch bei einem solchen Flächenvergleich der Orientierungswert nicht erreicht, weil die Fläche des ausgebauten Teils – unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Fahrbahnbreiten – nur 24,6 % der Gesamtfläche ausmacht und mithin ebenfalls unter dem Orientierungswert liegt. Die Tatsache, dass es sich bei der Ortsstraße G. um eine „klassische Anliegerstraße“ handelt, die ausschließlich Erschließungsfunktion für das Gewerbegebiet hat, vermag die fehlende Quantität der Ausbaumaßnahme ebenfalls nicht zu ersetzen, sondern wirkt sich lediglich auf die Eigenbeteiligung des Beklagten gemäß § 7 Abs. 2 Nr. 1 1.1 ABS aus.

Die Maßnahmen an der Straßenbeleuchtung sind ebenfalls nicht beitragsfähig. Auch für diese Teileinrichtung gilt der Orientierungswert von mindestens einem Viertel der gesamten Straßenlänge (vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 14). Nach den Angaben der Beteiligten erstrecken sich die teilweise neu aufgestellten und teilweise versetzten Straßenleuchten lediglich auf den Bereich der Fahrbahnerneuerung, also wiederum nur auf 23,37 % der gesamten Straßenlänge. Auch insoweit liegen keine Besonderheiten vor, die eine Abweichung von der Regel rechtfertigen.

        

6. Auch bei Teilanlagen (z.B. Gehweg), die nicht auf der gesamten Länge der Straße bestehen, kommt es auf die gesamte Straßenlänge an

Nicht beitragsfähig sind schließlich die Ausbauarbeiten am Gehweg, die sich auf eine Teilstrecke von 225 m beschränkt haben.

Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts und der Beteiligten kommt es nicht auf das Verhältnis zur Länge dieser Teileinrichtung (857,40 m), sondern zur gesamten Straßenlänge (926,95 m) an. Die Baumaßnahme am Gehweg hat demnach nicht 26,24 %, sondern nur 24,27 % der gesamten Straßenlänge betroffen. Denn Gegenstand einer beitragsfähigen Erneuerung oder Verbesserung ist, wie oben ausgeführt, grundsätzlich die jeweilige Ortsstraße als öffentliche Einrichtung. Ob der Ausbau einer Teilstrecke in quantitativer Hinsicht auf die gesamte Einrichtung durchschlägt und damit die Schwelle zur Beitragsfähigkeit überschreitet, bestimmt sich folglich auch für Teileinrichtungen, die sich – wie insbesondere Gehwege – typischerweise über die gesamte Länge einer Straße erstrecken, nach dem Verhältnis des ausgebauten Teils zur Straße insgesamt (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2015 – 6 BV 14.586 – juris Rn. 16; U.v. 28.1.2010 – 6 BV 08.3043 – juris Rn. 14). Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Orientierungswert von 25 % mit Blick auf die Teileinrichtung Gehweg zum Nachteil der Beitragspflichtigen abgesenkt werden sollte, wenn diese Teileinrichtung nicht über die gesamte Straßenlänge angelegt ist. Wird etwa der nur 100 m lange Gehweg an einer 500 m langen Ortsstraße vollständig, also auf 100 % seiner Länge, saniert, betrifft das gleichwohl lediglich 20 % der gesamten Straße und ist mithin in quantitativer Hinsicht ebenso wenig beitragsfähig, wie der Ausbau von einem nur 100 m langen Teilstück der Fahrbahn.

       

Weiterleitende Hinweise:

Die Daten der obergerichtlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden sie Erläuterungen zum Teilstreckenausbau unter Rdnr. 2151.


Unsere Tipps für die Praxis:

Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.

Das Passwort erhalten Sie mit der aktuellen Ergänzungslieferung. Sie finden es auf der Rückseite des Vorworts. Wenn sie Cookies auf Ihrem PC aktivieren, genügt die einmalige Eingabe des Passwortes.


Sie sind nicht Bezieher des Matloch/Wiens und möchten die Tipps für die Praxis lesen? Dann klicken Sie bitte auf Service


Bitte Ihr Passwort eingeben: