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23.01.2016

Stichstraße: Erforderlichkeit eines Wendehammers

Die Frage nach der Erforderlichkeit eines Wendehammers wird von der Gemeinde im Rahmen der ihr zukommenden Planung entschieden; hierbei ist ihr grundsätzlich ein weiter Entscheidungsspielraum zuzubilligen.

Der Fall:

Bei der Planung einer Stichstraße stellt sich für die Gemeinde die Frage nach der Erforderlichkeit einer Wendemöglichkeit am Ende der Straße. Vor allem Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sprechen für die Anlage eines Wendehammers; dem stehen aber oftmals die Herstellungskosten und damit die Beitragsbelastung der Anlieger gegenüber. Die Frage nach der Erforderlichkeit eines Wendehammers wird von der Gemeinde im Rahmen der ihr zukommenden Planung entschieden; hierbei ist ihr grundsätzlich ein weiter Entscheidungsspielraum zuzubilligen. Die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung der Straße – mit oder ohne Wendehammer – erfordert eine gemäß § 125 BauGB rechtmäßige Herstellung. Hierzu bedarf es entweder eines Bebauungsplans (§ 125 Abs. 1 BauGB) oder einer bebauungsplanersetzenden Entscheidung des zuständigen Gemeindeorgans. In letzterem Falle dürfen die Erschließungsanlagen im Sinne von § 127 Abs. 2 BauGB nur hergestellt werden, wenn sie den in § 1 Abs. 4 – 7 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen (§ 125 Abs. 2). Die wichtigste materiell-rechtliche Bindung, in deren Rahmen sich die Gemeinde bei Ausübung ihrer Gestaltungsfreiheit halten muss, ist das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte Gebot, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.

Der aktuellen obergerichtlichen Entscheidung lag die Erhebung eines Erschließungsbeitrags für eine 135 Meter lange und fünf Meter breite Stichstraße zugrunde, die von der Gemeinde ohne einen Wendhammer geplant worden war, obwohl die Straße bei einer Verkehrsdichte von ca. 50 Fahrzeugen pro Tag nicht nur PKW-Verkehr, sondern LKW- und sogar Schwerlastverkehr aufnehmen sollte. Ein Bebauungsplan lag für die Straße nicht vor; die Gemeinde begründete ihre im Wege der bebauungsplanersetzenden Entscheidung nach § 125 Abs. 2 BauGB erfolgte Planung unter anderem mit den (Kosten-)Interessen der Anlieger und setzt Erschließungsbeiträge fest. Das erstinstanzlich befasste Verwaltungsgericht hob den Beitragsbescheid mit der Begründung auf, die Herstellung der Straße sei rechtswidrig, weil die Straßenplanung den Anforderungen des § 125 Abs. 2 BauGB nicht genüge. Die erstinstanzlich unterlegene Gemeinde beantragte die Zulassung der Berufung – ohne Erfolg.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Die Gemeinde muss die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abwägen und den Abwägungsvorgang dokumentieren:

 „Im Rahmen der ihr von § 125 Abs. 2 BauGB auferlegten Planungsentscheidung hat sich die Gemeinde an den planungsrechtlichen Anforderungen des § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB zu orientieren, wobei ihr eine planerische Gestaltungsfreiheit zur Seite steht. Die wichtigste materiell-rechtliche Bindung, in deren Rahmen sich jede planende Gemeinde bei Ausübung jener Gestaltungsfreiheit und damit auch bei der bebauungsplanersetzenden Planung einer Erschließungsanlage nach § 125 Abs. 2 BauGB halten muss, ist das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte Gebot, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dieses Gebot bezieht sich sowohl auf das Abwägen als Vorgang, insbesondere also darauf, dass überhaupt eine Abwägung stattfindet und dass bei dieser Abwägung bestimmte Interessen in Rechnung gestellt werden, als auch auf das Abwägungsergebnis, also auf das, was bei dem Abwägungsvorgang herauskommt (…). Die verwaltungsgerichtliche Prüfung, ob sich die planerische Entscheidung innerhalb der durch das Abwägungsgebot gesetzten Grenzen hält, muss davon ausgehen, dass ein Mangel im Abwägungsvorgang nur dann erheblich ist und deshalb – wie zur Nichtigkeit eines entsprechenden Bebauungsplans – zur Rechtswidrigkeit der Herstellung der Erschließungsanlage führen kann, wenn nach den Umständen des Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planungsentscheidung ohne den Mangel im Ergebnis anders ausgefallen wäre (...).

Nach diesem Maßstab teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Beschlüsse des Bauausschusses vom … und vom … den Anforderungen des § 125 Abs. 2 BauGB nicht genügen und die Herstellung der abgerechneten Straße daher rechtswidrig ist. Auch ersterer zeigt vor allem mit Blick auf die Belange des Verkehrs und die Frage der Notwendigkeit eines Wendehammers keinen Abwägungsvorgang, jedenfalls aber kein Abwägungsergebnis auf. Ein Abwägen als Vorgang setzt ein positives Handeln voraus, das als solches auch dokumentiert sein muss. Ein solcher, zwingend erforderlicher positiver Planungsakt hinsichtlich der genannten Belange lässt sich dem Beschluss auch im Wege der Auslegung nicht hinreichend deutlich entnehmen (…).

Auch der Beschluss des Bauausschusses vom … verfehlt ersichtlich die Anforderungen des § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB, ohne dass dies der Prüfung in einem Berufungsverfahren bedarf.“

 

Die planerische Gestaltungsfreiheit der Gemeinde wird überschritten, wenn die Belange des Verkehrs in unvertretbarer Weise missachtet werden. Die Notwendigkeit einer Wendeplatte ist anhand den konkreten Erfordernisse des Verkehrs und den Belangen der Verkehrssicherheit zu prüfen:

„Der Verzicht auf eine Wendeanlage steht der Rechtmäßigkeit der Herstellung und damit der Erhebung eines Erschließungsbeitrags allerdings nur dann entgegen, wenn die Beklagte im Rahmen ihrer planerischen Gestaltungsfreiheit die Belange des Verkehrs in unvertretbarer Weise missachtet hätte, d.h. wenn die gewählte Lösung im Hinblick auf die Anforderungen des Verkehrs schlechthin nicht akzeptabel wäre. Ob das der Fall ist, hängt insbesondere ab von der Breite und Länge der befahrbaren Stichstraße, der Anzahl der von ihr erschlossenen Grundstücke, dem Vorhandensein von Garagenflächen, Gehwegüberfahrten und sonstigen Flächen, die abgesehen vom Straßenraum für Wendemanöver in Anspruch genommen werden können, vor allem aber vom Charakter des jeweiligen Baugebiets sowie dem von diesem Charakter bestimmten regelmäßigen Kraftwagenverkehr in diesem Gebiet (…). Die streitige Stichstraße ist 135 m lang und verfügt über eine 5,0 m breite Fahrbahn mit beidseitigen befahrbaren Banketten von je 0,5 m Breite. Sie erschließt insgesamt neun Grundstücke, von denen ausweislich der Beschlussvorlage vier bislang unerschlossen waren. Alle neun Grundstücke werden gewerblich genutzt. Der Beschluss vom … geht von einer „Verkehrsstärke von höchstens 50 Fahrzeugen pro Stunde mit sehr wenigen Fußgängern und Radfahrern“ aus. Nach Aktenlage wird die Stichstraße (auch) von schweren Lastkraftwagen befahren.

Der Verzicht auf eine Wendemöglichkeit auf öffentlichem Straßengrund überschreitet bei dieser Fallkonstellation vor allem mit Blick auf die ganz überwiegend gewerblich ausgerichtete Verkehrsbedeutung den planerischen Gestaltungsspielraum. Entgegen der Ansicht der Beklagten kann eine Verkehrsdichte von bis zu 50 Fahrzeugen pro Stunde auf einer Stichstraße nicht als gering angesehen werden, zumal es sich dabei auch um Last-, teilweise Schwerlastverkehr handelt. Hinzu kommt, dass die Straße bei einer Länge von immerhin 135 m lediglich eine Fahrbahnbreite von 5 m aufweist. Begegnungsverkehr von Lastkraftwagen ist daher, wie im Beschluss vom 15. Februar 2011 selbst eingeräumt wird, allenfalls unter Zuhilfenahme der Bankette möglich. Die bei den Akten befindlichen Lichtbilder legen nahe, dass der – für eine gewerbliche Nutzung typische und in diesem Sinne regelmäßige – Lkw-Verkehr mangels hinreichender Breite der Straße, gezwungen ist, jedenfalls bei Begegnungsverkehr zu rangieren oder gar rückwärts aus ihr auszufahren. Ein verkehrssicheres Zurückstoßen erscheint indes kaum vorstellbar. Angesichts der damit verbundenen Gefahren, wegen des gewählten Mischprinzips namentlich auch für die übrigen Benutzer des Straßenraums, kann jedenfalls ein solches Ergebnis unter dem Blickwinkel der Belange des Verkehrs nicht mehr als akzeptabel angesehen werden (…). Die Verkehrsprobleme, die durch die beengten Verhältnisse einerseits und den nicht unerheblichen gewerblichen Kraftfahrzeugverkehr andererseits zwangsläufig hervorgerufen werden, können nicht dadurch ausgeräumt werden, dass sich am Ende der Erschließungsanlage auf Privatgrund eine befestigte Wendemöglichkeit auch für große Fahrzeuge befindet; denn diese steht schon aus Rechtsgründen nur dem Anliegerverkehr für dieses Grundstück zur Verfügung. Der Verzicht auf die – ursprünglich offenbar geplante – Wendeanlage kann auch nicht durch die Erwägung gerechtfertigt werden, dass die „einfache Art der Straßengestaltung“ in hohem Maß den (Kosten-)Interessen der Anlieger diene.“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zur Rechtmäßigkeit der Herstellung sowie die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte bei Rdnrn. 60 ff., zu den Voraussetzungen einer rechtmäßigen Herstellung ohne Bebauungsplan ab Rdnr. 77; zu den materiell-rechtlichen Anforderungen ab Rdnr. 90. Hinweise zur Erforderlichkeit eines Wendehammers finden Sie bei Rdnr. 271.


Unsere Tipps für die Praxis:

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