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15.10.2015

Schuldrechtliches Durchfahrtsverbot

Die tatsächlichen Zugangsverhältnisse haben ein stärkeres Gewicht als der selbstgeschaffene Rechtsschein.

Der Sachverhalt:

Die beklagte Gemeinde hat den Kläger für dessen Grundstück FlNr. 447 zu Voraus­zahlungen auf den Straßenausbaubeitrag (Art. 5 Abs. 1 Satz 3, Abs. 5 Satz 1 KAG) für die Erneuerung der Ortsdurchfahrt in Höhe von 4.657,24 € (Bescheid vom 6.2.2012 – erster Bauabschnitt in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21.6.2013) und 10.176,54 € (Bescheid vom 30.8.2013 – zweiter Bauabschnitt) herangezogen. Das Grundstück ist von der Ortsdurchfahrt durch das ebenfalls im Eigentum des Klägers stehende Anliegergrundstück FlNr. 433 getrennt und liegt selbst an einer von der Ortsdurchfahrt abzweigenden Stichstraße. Die Grundstücke befinden sich im Betriebsvermögen des Einzelunternehmens des Klägers und sind durch Pacht- und Betriebsüberlassungsvertrag an die Bauunternehmen P. GmbH verpachtet, deren Gesellschafter und Geschäftsführer der Kläger ist. Nach Zustellung des ersten Vorauszahlungsbescheids wurde der Pachtvertrag durch einen Nachtrag vom 28. Oktober 2014 ergänzt, den der Kläger sowohl als Verpächter als auch für die Pächterin unterzeichnet hat. Darin ist insbesondere ver­einbart: „Der Pächterin ist nicht gestattet, das Grundstück (Fl.Nr. 447) über das Grundstück (Fl.Nr. 433) zu befahren. Der Transport von Baumaterial hat ausschließ­lich über den angrenzenden Schul- und Radweg (Fl.Nr. 49) zu erfolgen. Die Pächte­rin ist verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen (insbesondere Absperrungen) auf eigene Kosten dafür zu sorgen, dass eine Zufahrt von Grundstück (Fl.Nr. 433) auf das Grundstück (Fl.Nr. 447) – und umgekehrt – nicht möglich ist.“

Das Verwaltungsgericht hat die Klagen gegen die Vorauszahlungsbescheide nach Durchführung eines Augenscheins für unbegründet erachtet und abgewiesen. Die gerichtliche Ortsbesichtigung und die bei den Akten befindlichen Fotos hätten ein­deutig ergeben, dass zwischen dem Vorderliegergrundstück FlNr. 443 und dem Hinterliegergrundstück FlNr. 447 sowohl eine für LKW geeignete Zufahrt im Freien als auch eine garagentorgroße Durchfahrt in der rückwärtigen Wand des Grenz­gebäudes angelegt seien. Die tatsächlich vorhandenen Durchgänge würden unge­achtet des Umstandes, dass gegenwärtig ein leicht zu beseitigender Bauzaun eine Durchfahrt verschließe, den Schluss erlauben, dass die abzurechnende Ortsdurch­fahrt über das Anliegergrundstück vom Hinterliegergrundstück aus trotz dessen weiterer Anbindung an die Stichstraße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen werde. Das rechtfertige es, das Hinterliegergrundstück zu Vorauszahlun­gen heranzuziehen. Daran ändere auch der Nachtrag zum Pachtvertrag nichts. Denn diese schuldrechtliche Vertragsgestaltung sei unter dem Blickwinkel des Miss­brauchs der Gestaltungsfreiheit gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b) KAG i.V.m. § 42 AO unbeachtlich.

Der Kläger hält den Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung entgegen, dass die Ergänzung des Pachtvertrags keinen Gestaltungs­missbrauch darstelle. Er habe die Schließung der Zufahrt vielmehr vorge­nommen, um das Unfallrisiko für die Mitarbeiter, Kunden, Bewohner des Wohn- und Geschäftshauses auf dem Vorderliegergrundstück und für die Nachbarn zu ver­ringern.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

  1. Voraussetzungen zur Veranlagung eines nicht gefangenen Hinterliegergrundstücks

Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass ein sog. nicht gefangenes Hinterliegergrund­stück, wie das des Klägers, nur dann straßenausbaubeitrags- und damit zugleich vorauszahlungs­pflichtig ist, wenn Anhaltspunkte den Schluss erlauben, die abzu­rechnende Straße werde über das Anliegergrundstück vom Hinterliegergrundstück aus ungeachtet dessen direkter Anbindung an seine „eigene“ Straße in nennens­wertem Umfang in Anspruch genommen werden (BayVGH, U.v. 25.10.2012 – 6 B 10.132 – BayVBl 2013, 211 Rn. 40 ff.; B.v. 25.2.2015 – 6 ZB 14.2045 – juris Rn. 8 f.). Die einheitliche Nutzung von Anlie­ger- und Hinterliegergrundstück als Betriebs­gelände in der Hand des Klägers als einzigem Eigentümer reicht hierzu für sich betrachtet zwar nicht aus. Als Anhalts­punkt für einen solchen Schluss genügt aber eine tatsächlich ange­legte Zufahrt oder ein tatsächlich angelegter Zugang über das Anliegergrundstück.

 

  1. Bauzaun kann vorhandene Zufahrt nicht verschließen

 

Nach den – unbestrittenen – Feststellungen des Verwaltungsgerichts sind zwei befahrbare Durchgänge zwischen Anlieger- und Hinterliegergrundstück angelegt, über die die abzurechnende Ortsdurchfahrt erreicht werden kann. Dass eine der Zufahrten beim Augenscheinstermin durch einen leicht zu beseitigenden Bauzaun verschlossen war, ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, unbe­achtlich.

 

  1. Selbst geschaffenes schuldrechtliches Hindernis unbeachtlich

 

Beitragsrechtlich ebenfalls unbeachtlich ist das Durchfahrtsverbot, das der Kläger (als verpachtender Einzelunternehmer und Geschäftsführer der pachtenden GmbH in einer Person) schuldrechtlich vereinbart hat. Es kann dahinstehen, ob es für eine Beitragspflicht überhaupt erforderlich wäre, dass auf das Hinterliegergrundstück mit Kraftfahrzeugen heraufgefahren werden kann, oder ob bereits eine durch das Verbot unberührt bleibende Betretensmöglichkeit für Fußgänger genügt. Jedenfalls kann ein solches selbstgeschaffenes rechtliches Hindernis in der vorliegenden Fallkonstellation den durch die tatsächlichen Verhältnisse begründeten Schluss auf eine (wahrscheinliche) Inanspruchnahme der abzurechnenden Straße nicht aus­schließen und das Entstehen einer Beitragspflicht – zulasten der übrigen Beitrags­pflichtigen – nicht verhindern. Denn der Kläger hat es jeder­zeit in der Hand, ob und wie lange das Durchfahrtsverbot bestehen bleibt und durch­gesetzt wird. Die tatsäch­lichen Zugangsverhältnisse haben mit anderen Worten stärke­res Gewicht als der selbstgeschaffene Rechtsschein. Unterliegt das Hinterliegergrundstück demnach der Vorauszahlungspflicht, bedarf es keines Rückgriffs auf das Institut des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO).

 Weiterleitende Hinweise:

 

Die Daten der obergerichtlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie Erläuterungen zu selbstgeschaffenen Hindernissen unter Rdnrn. 829, 2160


Unsere Tipps für die Praxis:

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