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19.06.2014

Privatfinanzierung von Erschließungsstraßen durch die Anlieger als moderne Form der Hand- und Spanndienste?

Eine kostengünstige Variante von Unterhaltungsmaßnahmen mit entsprechenden Einverständniserklärungen und Vorausleistungen aller Anlieger.

Der Fall:

 

Verzicht auf kostenträchtigen „Vollausbau“:

Der Gemeinderat beschloss die Erneuerung der Fahrbahndecke mehrerer Straßen. Die Maßnahme solle als kostengünstige Variante mit entsprechenden Einverständniserklärungen und Vorausleistungen aller Anlieger ausgeführt werden. In der Einladung zu einer Informationsveranstaltung teilte die Gemeinde den Anliegern der Straßen mit, dass die Straßen saniert werden sollten. Die Ausführung solle einfach gestaltet werden, damit die Kosten für die Anlieger überschaubar blieben. Ein „Vollausbau“ würde ein Mehrfaches kosten und die Anlieger entsprechend höher belasten. Bei der beschlossenen Maßnahme handele es sich um eine „Unterhaltungsmaßnahme“, die nicht umlagefähig sei. Die derzeitige Rechtslage verbiete es der Gemeinde, derartige „nicht DIN-gerechte Maßnahmen“ aus dem öffentlichen Haushalt zu finanzieren. Weil die Maßnahme aber für die Anlieger erheblich günstiger wäre als der „Vollausbau“, biete die Gemeinde den Anliegern an, dass die „Unterhaltungsmaßnahme“ durchgeführt werde und die Anlieger dafür aufkommen.

 

Das Einverständnis aller Anlieger sei erforderlich:

 Die Maßnahme könne nur durchgeführt werden, wenn sich alle Anlieger dafür entschieden und ihren „Kostenbeitrag“ vor Beginn der Maßnahme einzahlten. Die Gemeinde legte den Anliegern das folgende Formular vor:

„Hiermit erkläre ich als Grundstückseigentümer/in, dass ich mit der Reparatur der Gemeindestraßen B. /E. /F. (Teilstück), in der mit Schreiben vom … erläuterten Form, einverstanden bin und den freiwilligen Reparaturbeitrag … innerhalb eines Monats, nach Mitteilung der Gemeinde über die genaue Höhe, überweisen werde.“

 

Der Beschluss der Gemeinde zu den Hand- und Spanndiensten:

„Die Anlieger erneuern auf eigene Kosten die Fahrbahndecke durch fachgerechten Auftrag einer Deckschicht von 4 bis 5 cm und wenden damit das dorfhistorische Instrument der Hand- und Spanndienste in moderner Form an. Der Auftrag wird an eine Fachfirma vergeben. Die Abwicklung - Auftragsvergabe und Abrechnung - erfolgt nach Einzahlung der analog der Straßenausbaubeitragssatzung ermittelten Grundstücksanteile auf ein „Treuhandkonto“ über einen Sprecher der Anlieger mit logistischer Unterstützung durch die Gemeinde. Die Gemeinde begleitet die Aktion auch fachtechnisch und stellt eine ordnungsgemäße technische Ausführung sicher.“

 

Die Rechtsaufsichtsbehörde beanstandete daraufhin die Beschlüsse der Gemeinde. Hiergegen ergriff die Gemeinde Rechtsmittel und erhob Klage.

Das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht wies die Klage ab: Die Beschlüsse der Gemeinde, wonach die Anlieger auf eigene Kosten die Fahrbahndecke durch fachgerechten Auftrag einer Deckschicht von 4 bis 5 cm erneuern, verletzten aufgrund von Verstößen gegen abgabenrechtliche Grundsätze das Gesetz. Es könne dahinstehen, ob die Beschlüsse auch gegen das Gebot der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung verstießen. Die Berufung zum Oberverwaltungsgericht wurde zugelassen.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Das Modell der vollständigen Privatfinanzierung der Straßenbaumaßnahme durch die Anlieger verstößt gegen gesetzliche Regelungen und die Beitragssatzung der Gemeinde. Eine von den gesetzlichen Bestimmungen des Kommunalabgabengesetzes und der Beitragssatzung abweichende Vereinbarung ist - grundsätzlich - unzulässig.

„Nach den gesetzlichen bzw. satzungsrechtlichen Bestimmungen ist eine Übernahme des vollen Aufwands - d.h. eine Mitfinanzierung des Gemeindeanteils - durch die Beitragspflichtigen nicht vorgesehen. An diese Bestimmungen ist die Klägerin - grundsätzlich - gebunden. Die in den beanstandeten Ratsbeschlüssen enthaltene Regelung, wonach die Anlieger „freiwillig“ 100 Prozent der Kosten übernehmen, stellt eine Umgehung dieser Bestimmungen dar. … Die Bindung an die Regelungen der …beitragssatzung gilt jedoch nicht nur einseitig zulasten des Bürgers, indem er sich einer Beitragserhebungspflicht gegenübersieht, sondern auch zu seinen Gunsten, indem eine Bindung der Gemeinde an die in der Satzung getroffenen Bestimmungen zum Anteil der Beitragspflichtigen am Aufwand besteht. Öffentliche Abgaben dürfen grundsätzlich nur nach Maßgabe der Gesetze erhoben werden. Dies schließt es aus, dass Abgabengläubiger und Abgabenschuldner von den gesetzlichen Regelungen abweichende Vereinbarungen treffen, sofern nicht das Gesetz dies ausnahmsweise gestattet. Der Grundsatz, dass die Abgabenerhebung nur nach Maßgabe der Gesetze und nicht abweichend von den gesetzlichen Regelungen aufgrund von Vereinbarungen zwischen Abgabengläubiger und Abgabenschuldner erfolgen kann, ist für einen Rechtsstaat so fundamental, dass seine Verletzung als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot zu betrachten ist, das Nichtigkeit zur Folge hat … Vorliegend ist keine Rechtsgrundlage ersichtlich, die … eine Vereinbarung zwischen der Klägerin und den Straßenanliegern zuließe ...“

 

Eine Ausnahme von dem Verbot, Kosten für eine Straßenbaumaßnahme durch vertragliche Vereinbarungen den Anliegern aufzuerlegen, stellt der Ablösungsvertrag dar.

„Eine Ablösungsvereinbarung ist dadurch gekennzeichnet, das die Vertragsparteien vor Entstehen der sachlichen Beitragspflichten einen im Wege der Prognose geschätzten Betrag vereinbaren, den der Schuldner „zur Ablösung“ der Beitragsschuld zu zahlen hat und der später nicht mehr in Frage gestellt werden soll … Die vorliegende „Vereinbarung“ zwischen der Klägerin und den Anliegern stellt keinen Ablösungsvertrag dar. Denn die „Ablösung“ bezieht sich nicht nur auf die - prognostizierte - Beitragspflicht der Anlieger, sondern umfasst den von der Gemeinde zu tragenden Anteil mit. Ein Ablösungsvertrag war auch erkennbar nicht gewollt; an keiner Stelle findet sich das Wort „Ablösung“ …“

 

Keine weitere Ausnahme:

„Die in der Literatur vertretene Annahme, für eine Beitragserhebung sei kein Raum, wenn eine Straßenbaumaßnahme nicht auf Kosten der Gemeinde, sondern zu 100 Prozent auf Kosten der Anlieger durchgeführt werde (vgl. Driehaus, a. a. O., § 28 Rn. 22), trifft für sich genommen nur eine Aussage zur Zulässigkeit eines Beitragsverzichts seitens der Gemeinde, begründet aber nicht positiv, dass und warum eine vollständige Privatfinanzierung abweichend von den oben genannten Grundsätzen zulässig sein sollte. Soweit man die getroffene Annahme dahingehend verstehen wollte, dass in einem Fall der 100-prozentigen Privatfinanzierung der Maßnahme durch die Anlieger keine Aufwendungen der Gemeinde entstünden, weil es sich um eine eigene Maßnahme der Anlieger handele und daher der Anwendungsbereich der Straßenausbaubeitragssatzung nicht eröffnet sei, stellt dies letztlich eine Umgehung der kommunalabgabenrechtlichen Vorschriften und einen „Zirkelschluss“ dar. Hinzu kommt, dass es sich im vorliegenden Fall nach der Konstruktion tatsächlich nicht um eine Maßnahme der Anlieger, sondern um eine Maßnahme der Gemeinde handelt, die lediglich von den Anliegern finanziert werden soll. Dafür spricht insbesondere der Beschluss des Rates der Klägerin vom 20. März 2012. Danach sind die „Zuwendungen“ seitens der Anlieger für die Reparatur der Straßen vom Rat der Klägerin angenommen worden. Würde es sich tatsächlich um eine eigene Maßnahme der Anlieger handeln, hätte es lediglich einer Weiterleitung an die Baufirmen, aber keiner Annahme der Zuwendungen bedurft.“

 

 

Unsere Hinweise:

Die vorgestellte Entscheidung wurde erheblich gekürzt. Insbesondere wurde auf die Wiedergabe von solchen Ausführungen verzichtet, die sich auf weitere landesrechtliche Besonderheiten bezogen. Die Daten der bisher nicht veröffentlichten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis.


Unsere Tipps für die Praxis:

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