Erschließungsverträge sind für die beteiligten Vertragsparteien oft von großem Vorteil: Die Gemeinde bekommt eine Straße, ohne sie bauen zu müssen und der Vertragspartner – i.d.R. der Eigentümer der zu erschließenden Grundstücke – kommt schnell und kostengünstig an erschlossene Baugrundstücke. Bei Meinungsverschiedenheiten finden die Parteien oft eine einvernehmliche Lösung. Wenn dies jedoch nicht möglich ist, dann treten oft Rechtsprobleme auf, die noch nicht höchstinstanzlich entschieden sind – wie die Frage der Verjährung in diesem Fall.
Der Fall:
Der Kläger schloss mit der Gemeinde 1997 einen schriftlichen Erschließungsvertrag, in dem er sich verpflichtete die Straße herzustellen und an die Gemeinde „abzutreten und aufzulassen“. Das Inkrafttreten des Bebauungsplans verzögerte sich, es kam zu verschiedenen Meinungsverschiedenheiten und die Gemeinde weigerte sich schließlich, die Straße abzunehmen. In einem Rechtsstreit 2003 um die Kosten für den Schmutzwasserkanal wurde u.a. die fehlende notarielle Beurkundung des Vertrags thematisiert. Im August 2011 erhob der Kläger Klage auf Zahlung von knapp 100.000 EUR wegen Rückabwicklung des formnichtigen Erschließungsvertrags. Die Gemeinde berief sich auf Verjährung.
Die höchstrichterliche Entscheidung:
Verjährung im öffentlichen Recht
Vermögensansprüche unterliegen auch im öffentlichen Recht der Verjährung. „Im Hinblick auf deren Zweck, lange Zeit nicht geltend gemachte Ansprüche im Interesse der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens dem Streit zu entziehen […], gilt dies grundsätzlich unabhängig davon, ob der öffentliche Vertragspartner des Bürgers Gläubiger oder Schuldner des Anspruchs ist.
[…] Soweit das öffentliche Recht für die Verjährung keine besondere Regelung trifft, ist anhand des Gesamtzusammenhangs der für den jeweiligen Anspruch geltenden Rechtsvorschriften und der Interessenlage zu beurteilen, welche Verjährungsregelung als die sachnächste entsprechend heranzuziehen ist […].“
Anwendung der dreijähirgen Verjärhungsfrist nach § 195, § 199 Abs. 1 BGB
Das Obergericht kommt zu dem Schluss, dass die Verjährungsfrist des § 195, § 199 Abs. 1 BGB anwendbar ist. „Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch in seiner hier einschlägigen Ausprägung als Leistungskondiktion, gerichtet auf die Rückabwicklung eines nichtigen Vertrages, ist strukturell mit dem zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB eng verwandt. Da dieser der dreijährigen Verjährung nach § 195 BGB unterliegt, ist es sachgerecht, ihr auch den entsprechenden Erstattungsanspruch zu unterwerfen. Diese Regelung stellt in Anbetracht der Kenntnisabhängigkeit des Verjährungsbeginns (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB) und der Möglichkeit einer Verjährungshemmung (§§ 203 ff. BGB) einen angemessenen Ausgleich zwischen den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens einerseits und dem Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung andererseits sicher. Ein Rückgriff auf die dreißigjährige Verjährungsfrist des § 197 Abs. 1 BGB kommt dagegen mangels Vergleichbarkeit mit den dort geregelten Ansprüchen nicht in Betracht.“
Verjährung greift auch zulasten des Bürgers
„Entgegen der Auffassung des Klägers steht einer Anwendung der Regelverjährung auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch eines Bürgers gegen den Staat auch nicht entgegen, dass sich dieser wegen des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen kann […]. Denn im öffentlichen Recht erschöpft sich der Zweck der Verjährung nicht darin, das Gesetzmäßigkeitsprinzip sicherzustellen. Wie dargelegt bezweckt sie vielmehr, einen angemessenen Ausgleich zwischen diesem Prinzip und dem ihm widerstreitenden Grundsatz der Rechtssicherheit herzustellen.“
Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall
Das Obergericht sieht in der Annahme der Vorinstanz, die Verjährung habe spätestens am Ende des Jahres 2003 zu laufen begonnen, keinen Rechtsfehler.
„Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Hinsichtlich der Kenntnis des Klägers stellt das Berufungsgericht auf den 28. Juli 2003 ab. Von jenem Tag datiert die Klageschrift in dem Rechtsstreit des Klägers gegen den Abwasserzweckverband, in dem dieser - anwaltlich vertreten - im Hinblick auf seine vertragliche Verpflichtung, bestimmte Grundflächen an die Beklagte "abzutreten und aufzulassen" […], zumindest beiläufig auf die "Problematik der Formnichtigkeit mangels notarieller Beurkundung gemäß § 313 BGB" selbst hingewiesen hat. […]“
„Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Gläubiger dann Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen, wenn er von der Leistung und den Tatsachen weiß, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt. Der Verjährungsbeginn setzt grundsätzlich nur die Kenntnis der den Anspruch begründeten Umstände voraus. Nicht erforderlich ist, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Zwar kann ausnahmsweise die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschieben. Das ist dann der Fall, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig einzuschätzen vermag. Unter solchen Umständen kann es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn fehlen. Zumutbar ist die Erhebung einer Klage aber schon dann, wenn sie erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich ist […]. Soweit dagegen der Kläger "hinreichend verlässliche Informationen" des Anspruchsinhabers […] als in jeglicher Hinsicht unerlässliche Voraussetzung des Verjährungsbeginns erachtet, übersieht er, dass sich auch die von ihm zitierte Aussage nur auf die Tatsachengrundlage des Anspruchs, aber - vorbehaltlich der Zumutbarkeit der Klageerhebung - nicht auf deren rechtliche Würdigung bezieht.
Im Rahmen der analogen Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ist diesen Grundsätzen zu folgen. Denn sie sind auch im Hinblick auf die im Verwaltungsprozess widerstreitenden Prinzipien der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Rechtssicherheit geeignet, die Interessen des Gläubigers und des Schuldners zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen.“
Nichtigkeit des Vertrags ist keine Tatsache
Sofern der Kläger geltend macht, „er habe die Nichtigkeit des Vertrages unbeschadet seines damaligen Hinweises auf die betreffende Problematik - und damit auch die Voraussetzungen seines Erstattungsanspruchs - seinerzeit weder gekannt noch infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt“, so kann er damit nicht durchdringen. „Die Unwirksamkeit des Vertrages gehört nicht zu den Tatsachen, die den Erstattungsanspruch begründen. Vielmehr handelt es sich insoweit um eine aus den Tatsachen zu ziehende rechtliche Schlussfolgerung, die als solche für den Verjährungsbeginn unerheblich ist.“
Klageerhebung war auch zumutbar
„An dem Stichtag […] bestand auch keine Rechtsunsicherheit solchen Ausmaßes, dass eine Erhebung der Klage unzumutbar gewesen wäre. Zwar mag für den Kläger anfangs unsicher gewesen sein, ob der Erschließungsvertrag einer notariellen Beurkundung bedurft hätte, ebenso wie berechtigte Zweifel darüber bestanden haben mögen, ob sich aus einem unangemessenen Verhältnis von Leistung und Gegenleistung ein Nichtigkeitsgrund ergab (§ 56 Abs. 1 Satz 2, § 59 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG). Die Unsicherheit mag noch dadurch verstärkt worden sein, dass sich die Beklagte als die öffentliche Vertragspartnerin des Klägers auf die Wirksamkeit des Vertrages berufen und dessen Erfüllung verlangt hatte. Unbeschadet dessen war es dem Kläger angesichts der ihm zurechenbaren Zweifel seiner damaligen Prozessbevollmächtigten an der Gültigkeit des Vertrages aber jedenfalls zumutbar, sich mit anwaltlicher Hilfe im Laufe des Jahres 2003 darüber klar zu werden, ob er seinerseits auf die Erfüllung des Vertrages bestehen oder aber dessen Nichtigkeit geltend machen wollte. Im letzteren Fall war die Erhebung einer - die Verjährung hemmenden - Klage auf Leistung des Erstattungsbetrages oder jedenfalls auf Feststellung des Erstattungsanspruchs (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB) schon damals erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos möglich. Die Auffassung des Klägers, bei Zweifeln an der Wirksamkeit eines öffentlich-rechtlichen Vertrages beginne die Verjährung für einen Erstattungsanspruch erst zu laufen, wenn die Nichtigkeit des Vertrages rechtskräftig festgestellt sei, findet dagegen im Gesetz keine Stütze.“
Berechnung der Verjährungsfrist
Die Verjährung hatte damit Ende 2003 begonnen. Die Vorinstanz ist weiter davon ausgegangen, „dass sie vor ihrem regulären Ablauf (Ende 2006) durch zwischenzeitlich aufgenommene Verhandlungen über den Anspruch gemäß § 203 BGB gehemmt war. Die Verjährungshemmung habe aber nach dem "Einschlafen der Verhandlungen" zum 1. Dezember 2004 geendet, und die von da an zu berechnende dreijährige Verjährungsfrist sei am 30. November 2007 abgelaufen. Etwaige spätere Verhandlungen hätten auf die bereits eingetretene Verjährung keinen Einfluss mehr haben können. Bedenken dagegen sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.“
Erhebung der Verjährungseinrede durch die Gemeinde als treuwidrig?
„Entgegen der Auffassung des Klägers steht der Verjährungseinrede der Beklagten auch nicht der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegen. Die Erhebung der Einrede kann treuwidrig sein, wenn der Schuldner den Gläubiger veranlasst hat, von Maßnahmen abzusehen, die den Verjährungseintritt verhindern. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Gläubiger aufgrund eines bestimmten Verhaltens des Schuldners annehmen durfte, dieser werde sich auf die Verjährung nicht berufen […].“
Die Vorinstanz hatte derartige Umstände nicht festgestellt, was nicht zu beanstanden ist. Derartige Umstände „sind im Übrigen auch nicht ersichtlich. Soweit sich der Kläger auf ein treuwidriges Verhalten der Beklagten bei Vertragsabschluss beruft, mag dieses die Nichtigkeit des Vertrages und damit einen Erstattungsanspruch des Klägers begründen, der dann aber innerhalb der Verjährungsfrist hätte geltend gemacht werden müssen. Der Umstand allein, dass sich die Beklagte dem Kläger gegenüber auf die Gültigkeit des Vertrages berufen hat, lässt eine rechtzeitige Klageerhebung nicht als unzumutbar und die Verjährungseinrede nicht als treuwidrig erscheinen.“
Unsere Hinweise:
Die Daten der vorgestellten höchstrichterlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zur Verjährung von Ansprüchen im Zusammenhang mit Erschließungsverträgen in den Rdnrn. 1647 f.
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