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27.05.2013

Insolvenz: Duldungsbescheid nach grober Pflichtverletzung der Gemeinde?

Zur Geltendmachung der dinglichen Haftung sind Voraussetzungen zu erfüllen; hier sind die wichtigsten aufgezählt.

 

Der Sachverhalt:

Der Antragsteller im Verfahren der hier vorgestellten gerichtlichen Entscheidung ist seit dem Jahr 2010 Miteigentümer des Grundstücks Fl.Nr. ... Er und eine weitere Person, (M.D.) haben das Grundstück von den Voreigentümern (S.B. und M.B.) rechtsgeschäftlich erworben. S.B. und M.B. waren Eigentümer dieses Grundstücks seit 2006. Mit bestandskräftigen Bescheiden vom 29. Dezember 2010 setzte die Gemeinde (Antragsgegnerin im anschließenden gerichtlichen Verfahren) gegenüber dem Voreigentümer Beiträge fest. Laut vollstreckbarem Ausstandsverzeichnis vom April 2011 war eine Forderung von 857,67 offen. Im Juni 2011 wurde über das Vermögen des Voreigentümers das Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Duldungsbescheiden jeweils vom 28. Dezember 2011 verpflichtete die Gemeinde den Antragsteller und M.D. als Eigentümer des genannten Grundstücks zur Duldung der Zwangsvollstreckung in dieses Grundstück wegen der als öffentliche Last auf dem Grundstück ruhenden Beiträge i.H.v. 857,67 €.

Hiergegen hat der Antragsteller die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen den von der Gemeinde erlassenen Duldungsbescheid beantragt. Zur Begründung macht er unter anderem geltend, an der Rechtmäßigkeit des Duldungsbescheides bestünden erhebliche Zweifel, weil die Antragsgegnerin die Verwirklichung ihres Anspruchs gegen S.B. nicht mit ausreichendem Nachdruck und nicht ohne pflichtwidrige Verzögerung und gegen M.B. überhaupt nicht betrieben habe.

Die Gemeinde als Antragsgegnerin trat dem Antrag entgegen. Es sei nicht zu beanstanden, dass sie nicht auch die Voreigentümerin M.B. zu den Beiträgen herangezogen habe, weil es grundsätzlich im Ermessen der Gemeinde stehe, von mehreren Gesamtschuldnern nur einen in Anspruch zu nehmen. Vollstreckungsmaßnahmen gegenüber S.B. seien erfolglos geblieben.

 

Das Verwaltungsgericht folgte der Argumentation des Antragstellers mit den folgenden Erwägungen: Der Erlass eines Duldungsbescheides könne ermessensfehlerhaft sein, wenn die fehlgeschlagene oder unterlassene Beitreibung der Abgabenforderung bei dem persönlichen Schuldner auf einer besonders groben Pflichtverletzung des Abgabengläubigers beruhe. Die Durchsetzung der Herstellungsbeitragsforderungen bei der persönlichen Schuldnerin M.B. habe die Antragsgegnerin nicht versucht. Auf die Aussichtslosigkeit eines solchen Vorgehens im Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheides wegen der insoweit eingetretenen Festsetzungsverjährung könne sich die Antragsgegnerin gegenüber dem Antragsteller nicht berufen, weil die unterlassene Inanspruchnahme von M.B. eine besonders grobe Pflichtverletzung darstelle. In der Rechtsprechung sei zwar anerkannt, dass der Abgabengläubiger bei Gesamtschuldnern nicht alle heranziehen müsse, sondern einen auswählen dürfe und dabei ein sehr weites Ermessen habe. Das gelte aber nur für das Verhältnis zwischen Abgabengläubiger und persönlichen Gesamtschuldnern. Das damit verbundene Risiko, nach erfolgloser Inanspruchnahme des ausgewählten Gesamtschuldners auf die anderen etwa wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nicht mehr zugreifen zu können, habe allein der Abgabegläubiger und nicht der dinglich haftende Eigentümer zu tragen. Besondere Umstände, die es rechtfertigen könnten, dass die Antragsgegnerin nicht einmal den Versuch unternommen habe, die Beitragsforderung auch gegenüber M.B. geltend zu machen, seien nicht ersichtlich.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Gemeinde als Antragsgegnerin.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

„Der ... Duldungsbescheid ist nicht ermessensfehlerhaft, weil er die auf dem Grundstück des Antragstellers ... ruhende öffentliche Last zur Vorbereitung der Zwangsvollstreckung realisiert, ohne vorher die frühere Miteigentümerin M.B. ... als persönliche Gesamtschuldnerin der Beitragsforderung herangezogen zu haben.

Ein allgemeiner Rechtssatz, dass vorrangig der Geltendmachung der öffentlichen Last auf dem Grundstück stets oder zumindest grundsätzlich alle persönlichen Gesamtschuldner des Beitrags herangezogen werden müssten, besteht nicht. Er ergibt sich insbesondere auch nicht aus der vom Verwaltungsgericht zur Stützung seines Standpunktes herangezogenen Rechtsprechung. Das zitierte Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Februar 1994 – 23 B 91.2967, GK 1994 Rn. 189 – sagt aus, dass die Haftung nur für eine entstandene Beitragsschuld besteht und die formelle Forderung aus dem gegenüber dem (persönlichen) Beitragsschuldner ergangenen Beitragsbescheid nicht ausreicht, wobei es in jenem Falle mangels einer wirksamen Beitragssatzung schon an einer entstandenen Beitragsschuld fehlte. Gänzlich anderer Art als die vorliegende Fallgestaltung war diejenige, die dem Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. November 2010 – 5 B 207/10 – zugrunde lag. Dort war darüber zu befinden, ob die Forderung gegen den mit Bescheid herangezogenen früheren Eigentümer, auch seinen Rechtsnachfolger, oder die aktuelle Grundstückseigentümerin im Wege der Duldung der Zwangsvollstreckung durchzusetzen sei. ... Keinen Bezug zu dem hier streitigen Fall hat der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 22. Januar 2010 – 5 B 3254/09, NJW 2010, 1987, der darin keinen Ermessensfehlgebrauch erkannte, dass die dortige Gemeinde den Duldungsbescheid nicht bereits gegen den Insolvenzverwalter, sondern den nachfolgenden Eigentümer erließ. Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes hat mit Beschluss vom 12. Oktober 2007 – 1 B 340/07, NJW 2008, 250, entschieden, dass es dem Erlass eines Duldungsbescheides nicht entgegen steht, wenn das Insolvenzverfahren eröffnet ist und der Gläubiger im Insolvenzverfahren seine Forderung angemeldet hat. Schließlich ging es im Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg vom 31.8.2009 – 9 LA 419/07, NVwZ-RR 2009, 906 um die (dort bejahte) Zulässigkeit eines Duldungsbescheides, nach dem Verhalten des Abgabegläubigers im Insolvenzverfahren.

 

In den zitierten Entscheidungen ging es – außer in dem offenkundig nicht einschlägigen Fall des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs a.a.O. – durchwegs um die Frage der Grundstückshaftung durch Duldungsbescheid im Verhältnis zur Inanspruchnahme des persönlich haftenden Schuldners, seines Rechtsnachfolgers oder dessen Insolvenzmasse, nicht um eine Außerachtlassung bei der Heranziehung zur persönlichen Beitragspflicht. Hier hat der Abgabengläubiger ein weites Ermessen, in dessen Rahmen es ihm frei steht, gegen wen er den Beitragsbescheid richtet (...). Das gilt – wie das Verwaltungsgericht richtig ansetzt – nur im Verhältnis des Abgabengläubigers zu den in Betracht kommenden Abgabenschuldnern und ist daher grundsätzlich auch auf die dort zu treffende Entscheidung begrenzt. Es ging aber über deren Reichweite hinaus, jenseits des Auswahlermessens, welcher Schuldner persönlich herangezogen werden soll, ohne konkrete Rechtsgrundlage dabei auch den Blick auf den Eigentümer des die Forderung sichernden Grundstücks zu richten. Eine solche Verpflichtung ergibt sich auch nicht aus der Akzessorietät der öffentlichen Last. Sie soll die Beitragsforderung sichern und sie gebietet keine Bemühungen, bei erfolglosem Vorgehen gegen einen persönlichen Schuldner deren Realisierung durch die Verwertung des Grundstücks zu vermeiden. Etwas anderes ist bei Auseinanderfallen von Beitragsschuldner und Grundstückseigentümer dann denkbar, wenn durch die Auswahl des in Anspruch genommenen persönlichen Schuldners bei mehreren möglichen die Realisierung der öffentlichen Last unter Schonung von nicht in Anspruch genommenen, aber auch vorhandenen persönlichen Schuldnern erkennbar droht, so dass die Auswahl des Schuldners eine grobe Pflichtwidrigkeit gegenüber dem Grundstückseigentümer beinhaltete. Dass der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall derartige Vorwürfe gemacht werden könnten, ist nicht erkennbar. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass nunmehr die Antragsgegnerin auf das Grundstück des Antragstellers Zugriff nimmt.“

 

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie ausführliche Erläuterungen zu den Voraussetzungen der Geltendmachung der dinglichen Haftung und zum Erlass von Duldungsbescheiden bei Rdnr. 1213. Hier finden Sie auch wichtige Hinweise zu den Pflichten der Gemeinde gegenüber dem dinglich Haftenden sowie zum Entstehen der öffentlichen Last im Insolvenzverfahren.


Unsere Tipps für die Praxis:

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