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03.12.2015

Immissionsschutzanlagen: Reichweite der Erschließungswirkung sowie Wirksamkeit der Verteilungsregelung

Der Begriff des Erschlossenseins im Sinn von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist funktionsbezogen zu verstehen. „Danach kommt es allein darauf an, bei welchen Grundstücken an einem Vollgeschoss eine Schallpegelminderung von mindestens 3 db(A) vorlieg.

Der Fall:

 

1986 wurde die B11 als Ortsumgehung der beklagten Gemeinde gebaut. Der Straßenbaulastträger errichtete mit der Straße einen Erdwall zum Schutz des in den 1960er Jahren ausgewiesenen Wohngebiets „Auf der Eben“. 2002 wies die Gemeinde das Wohngebiet „Auf der Eben II“ aus, das zwischen dem Wohngebiet „Auf der Eben“ und der B11 liegt, und baute 2007 eine Schallschutzwand auf dem bestehenden Erdwall zum Schutz dieses neu hinzugekommenen Wohngebiets. Im Jahre 2010 erhob sie von den Grundstückseigentümern in den Wohngebieten „Auf der Eben“ und „Auf der Eben II“ Erschließungsbeiträge für den Bau der Schallschutzwand. Zwei Eigentümer aus dem Wohngebiet „Auf der Eben“ und eine Eigentümerin aus dem Wohngebiet „Auf der Eben II“ erhoben Klage. In erster Instanz kam das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis, dass die im Wohngebiet „Auf der Eben“ liegenden Grundstücke – entgegen der expliziten Vorgabe in der Satzung über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Immissionsschutzanlage – nicht beitragspflichtig seien und hob die beiden Bescheide der Kläger aus dem Wohngebiet „Auf der Eben“ auf. Die Klage der Eigentümerin aus dem Wohngebiet „Auf der Eben II“ wurde abgewiesen. Ihr Argument, die Lärmschutzwand sei überdimensioniert, da die Verkehrszählung 2010 eine nur halb so große Verkehrsbelastung der B11 ergeben habe als ursprünglich prognostiziert, blieb erfolglos. Sie ging in Berufung; die anderen beiden Urteile wurden rechtskräftig.

 

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

Wann stellt eine Immissionsschutzanlage eine abrechnungsfähige Erschließungsanlage dar? – Das Prioritäts- oder Veranlasserprinzip

 

Eine Lärmschutzanlage muss, um als beitragsfähige Erschließungsanlage im Sinn des § 127 Abs. 2 Nr. 5 BauGB abrechenbar zu sein, von der Gemeinde in Erfüllung einer ihr nach § 123 Abs. 1 BauGB obliegenden Erschließungslast hergestellt worden ist. „Ob dies der Fall ist, richtet sich bei einem durch Verkehrslärm ausgelösten Konflikt zwischen einer Straße und einer benachbarten Wohnbebauung nach dem Prioritäts- oder Veranlasserprinzip. Wenn eine Straße nachträglich an ein vorhandenes Wohngebiet herangeführt wird, ist nicht die Gemeinde, sondern der Straßenbaulastträger verpflichtet, für den erforderlichen Lärmschutz zu sorgen. Soll hingegen ein Wohngebiet im Einwirkungsbereich einer bereits vorhandenen Straße erschlossen werden oder dehnt es sich in diese Richtung aus, ist die erstmalige Herstellung der erforderlich werdenden Immissionsschutzanlagen von der Erschließungsaufgabe der Gemeinde umfasst und folglich § 127 Abs. 2 Nr. 5 BauGB anwendbar (…).“

 

Da vorliegend die B11 bereits vor der Festsetzung des neuen Wohngebiets „Auf der Eben II“ gebaut worden war, genießt die Straße Priorität. Der Schutzbedarf der an die Straße heranrückenden Wohnbebauung gehört damit zu den Erschließungsaufgaben der Gemeinde.

 

Ständige Rechtsprechung: Erschlossen sind Grundstücke ab einer Lärmpegelminderung von 3dB(A)

 

„Beitragsfähige Lärmschutzanlagen dienen nach ihrer gesetzlichen Zweckbestimmung „dem Schutz von Wohngebieten gegen schädliche Umwelteinwirkungen“ (§ 127 Abs. 2 Nr. 5 BauGB). Der beitragsrelevante Sondervorteil besteht in dem durch eine solche Anlage bewirkten Schutz, also in der Verminderung von Lärm, der die Ausnutzbarkeit der betroffenen Grundstücke negativ beeinflusst. Mit den Kosten für die erstmalige Herstellung einer Lärmschutzwand sind daher die Grundstücke zu belasten, für die sich – im Unterschied zu anderen Grundstücken – der durch diese Anlage vermittelte Schutz merkbar auswirkt. Demnach sind diejenigen Grundstücke erschlossen im Sinn des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB, für die die Herstellung einer solchen Anlage – im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten – zu einer merkbaren Schallpegelminderung führt. Als in diesem Sinn merkbar ist nach ständiger Rechtsprechung eine Schallpegelminderung anzusehen, die mindestens 3 db(A) ausmacht (…).“

 

Heranziehung der Eigentümer im (alten) Wohngebiet „Auf der Eben“ ist zulässig

 

Der Begriff des Erschlossenseins im Sinn von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist funktionsbezogen zu verstehen. „Danach kommt es allein darauf an, bei welchen Grundstücken an einem Vollgeschoss eine Schallpegelminderung von mindestens 3 db(A) vorliegt und nicht darauf, durch welches Wohngebiet der Bau einer Lärmschutzwand ausgelöst worden ist. Entscheidendes Kriterium für die Beitragsbemessung ist vielmehr der Vorteil, der sich für das Wohnen durch die Reduzierung der Geräuschpegel unmittelbar ergibt. Dieser Vorteil wächst in dem nach objektiven Kriterien zu ermittelnden Umfang den durch die Lärmschutzwand geschützten Vollgeschossen zu, unabhängig vom Zeitpunkt der Errichtung der Gebäude und unabhängig von der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Wohngebiet (…). Das Prioritätsprinzip ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Es bestimmt allein die Frage, ob eine Immissionsschutzanlage von der Gemeinde in Erfüllung ihrer Erschließungsaufgabe hergestellt und deshalb beitragsfähig ist oder nicht. Für die Frage, welche Grundstücke durch eine – in Erfüllung der Erschließungsaufgabe und damit – beitragsfähige Immissionsschutzanlage erschlossen werden, gibt es indes nichts her. Grundstücke in Wohngebieten, die bereits vor dem Bau einer Straße vorhanden waren, sind folglich nicht vor der Erhebung von Erschließungsbeiträgen für eine Anlage geschützt, die von der Gemeinde zum Schutz eines neu hinzukommenden Wohngebiets vor Straßenlärm errichtet wird.“

 

Sofern die Rechtskraft der beiden erstinstanzlichen Urteile betreffend der Kläger aus dem Wohngebiet „Auf der Eben“ einer Beitragserhebung entgegensteht, sind die Beitragsausfälle von der Gemeinde zu tragen.

 

Beispiel für zulässige vertikale Differenzierung

 

Die Satzung muss dem Umstand Rechnung tragen, „dass Geschosse, für die eine Lärmschutzwand infolge ihrer (geringen) Höhe keine Schallpegelminderung bewirkt, bei der Verteilung des für diese Anlage entstandenen umlagefähigen Erschließungsaufwands unberücksichtigt bleiben müssen (sog. vertikale Differenzierung). Grundstücken wachsen nämlich für Geschosse, die durch eine Lärmschutzanlage keine Schallpegelminderung erfahren, keine eine Beitragsforderung rechtfertigende Sondervorteile zu.“ Diesen Anforderungen genügt eine Regelung wie die folgende:

 

1Der beitragsfähige Erschließungsaufwand wird auf die erschlossenen Grundstücke nach deren Grundstücksflächen verteilt, wobei Grundstücke, die im Bereich der 3 dB(A)-Schallminderungszone liegen, auf denen aber kein einziges Vollgeschoss eine Schallpegelminderung von mindestens 3 dB(A) erfährt, nicht an der Verteilung teilnehmen; für solche Grundstücke ist der Nutzungsfaktor Null anzusetzen. 2Die Vorschriften des § … EBS (zur Ermittlung des Nutzungsfaktors) gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass Geschosse, deren Oberkante höher liegt als die Oberkante der Immissionsschutzanlage, bei der Aufwandsverteilung unberücksichtigt bleiben.

 

Beispiel für zulässige horizontale Differenzierung

 

„Bewirkt eine Lärmschutzwand für die durch sie erschlossenen Grundstücke etwa wegen ihrer Entfernung zur Anlage erheblich unterschiedliche Schallpegelminderungen, gebietet es § 131 Abs. 3 BauGB, diesen Unterschieden bei der Aufwandsverteilung angemessen Rechnung zu tragen (sog. horizontale Differenzierung (…)).“  Diesem Differenzierungsgebot entspricht eine Regelung wie die folgende:

 

1Erfährt ein Grundstück eine höhere Schallpegelminderung als 3 dB(A) erhöht sich der Nutzungsfaktor um 25 v.H. bei einer Schallpegelminderung von mindestens 6 bis einschließlich 9 dB(A), um 50 v.H. bei einer Schallpegelminderung von mehr als 9 bis einschließlich 12 dB(A) und um 75 v.H. bei einer Schallpegelminderung von mehr als 12 dB(A). 2Erfahren Vollgeschosse auf einem Grundstück durch die Immissionsschutzanlage eine unterschiedliche Schallpegelminderung, bemisst sich der Zuschlag nach der höchsten Schallpegelminderung.

 

Erforderlichkeit der Schallschutzwand

 

„Die Beantwortung der Frage, ob sich die abgerechnete Lärmschutzwand im Rahmen des Erforderlichen hält, hat sich entsprechend der Festsetzung im Bebauungsplan „Auf der Eben II“ an den für ein allgemeines Wohngebiet maßgebenden Zumutbarkeitsgrenzwerten zu orientieren. Diesem „Grenzwert“ gegenüberzustellen ist als sog. Summenpegel der – tatsächliche – Verkehrslärm, der von der B 11 und den übrigen Verkehrsanlagen (…) gemeinsam ausgeht (…). Für die Ermittlung des für ein allgemeines Wohngebiet maßgebenden Zumutbarkeitsgrenzwerts kann als oberste „Orientierungsmarke“ § 2 Abs. 1 Nr. 2 der Verkehrslärmschutzverordnung (16. BImSchV) herangezogen werden.“ Rückt jedoch die Wohnbebauung – wie hier – an eine bestehende Straße heran „wird in Rechtsprechung und Literatur die Grenze des noch zumutbaren Verkehrslärms für ein allgemeines Wohngebiet schon bei einem äquivalenten Dauerschallpegel von 55 dB(A) am Tag und 45 dB(A) in der Nacht als erreicht angesehen (…).“ Dies entspricht dem Orientierungswert für die städtebauliche Planung nach Beiblatt 1 zu DIN 18005 Teil 1 – Schallschutz im Städtebau –.

 

„Gemessen an diesem Maßstab ist die zum Schutz des Wohngebiets „Auf der Eben II“ errichtete Lärmschutzwand entlang der B 11 erforderlich im Sinn des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB. (…) Mit Blick auf den maßgeblichen Zeitpunkt der endgültigen Herstellung geht das Gutachten zutreffend von den bei Verkehrszählungen im Jahr 2010 festgestellten Verkehrsbelastungen aus, die deutlich unter den ursprünglich bei Aufstellung des Bebauungsplans „Auf der Eben II“ prognostizierten Werten liegen. (…) Nach den Lärmbelastungskarten vom 3. März 2015 wäre ein beachtlicher Teil des Wohngebiets entlang der B 11 durchgehend Lärmpegeln ausgesetzt, die den jeweiligen maximalen Orientierungswert nach dem Beiblatt 1 zu DIN 18005 Teil 1 von 55 dB(A) am Tag und 45 dB(A) in der Nacht erreichen oder gar überschreiten.“

 

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen sowie weitere Rechtsprechung des BVerwG und der Oberverwaltungsgerichte zur Beitragsfähigkeit von Immissionsschutzanlagen bei Rdnr. 47 und zur Verteilung des beitragsfähigen Aufwands bei Rdnrn. 842 und 990 ff. Ein Satzungsmuster für eine Satzung über die Erhebung der Erschließungsbeiträge für Immissionsschutzanlagen finden Sie unter Rdnr. 998.


Unsere Tipps für die Praxis:

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