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13.02.2012

Erschlossensein eines nicht gefangenen Hinterliegergrundstücks

Bei der Frage des Hinterliegererschlossenseins wird neuerdings eine von der Rechtsprechung des BVerwG abweichende Tendenz deutlich.

 

Der Grundsatz:

 

Gemäß § 131 Abs. 1 BauGB ist der beitragsfähige Erschließungsaufwand auf die erschlossenen Grundstücke zu verteilen. „Erschlossen“ in diesem Sinne sind Grundstücke, denen die Erschließungsanlage in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise, d.h. in einer auf die bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit der Grundstücke gerichteten Funktion, die Zugänglichkeit vermittelt (BVerwG in ständiger Rechtsprechung, z.B. v. 7.10.1977 - BayVBl 1978, 248). Dies betrifft bei Anbaustraßen in erster Linie die unmittelbar an die Anlage angrenzenden Grundstücke - sog. Anliegergrundstücke, die in der Regel den Erschließungsvorteil „abschöpfen“. Unter bestimmten Voraussetzungen kommt der Erschließungsvorteil aber auch Grundstücken zugute, die nicht unmittelbar anliegen, sondern durch ein anderes Grundstück von der Erschließungsanlage getrennt sind (sog. Hinterliegergrundstücke). Solche Grundstücke zählen dann zum Kreis der erschlossenen Grundstücke, wenn sie durch die Anlage einen Erschließungsvorteil erfahren.

 

In Teilen der Rechtsprechung und Literatur werden zwei Gruppen von Hinterliegern unterschieden, nämlich zum einen solche Grundstücke, die ausschließlich über die jeweils vorgelagerten Anliegergrundstücke eine Verbindung zum gemeindlichen Verkehrsnetz haben (sogenannte gefangene Hinterliegergrundstücke), und zum anderen diejenigen Grundstücke, deren rückwärtige oder seitliche Teilflächen ihrerseits bereits an eine andere Anbaustraße angrenzen (nicht gefangene Hinterliegergrundstücke). Während der ersten Gruppe von Hinterliegergrundstücken durch die abzurechnende Anbaustraße die einzige verkehrsmäßige Erschließung vermittelt wird, geht es bei der zweiten Gruppe lediglich um eine Zweiterschließung, also um eine zusätzliche Erschließung durch die dem Anliegergrundstück vorgelagerte Anbaustraße. Folgt man der dargestellten Unterscheidung in nichtgefangene und gefangene Hinterliegergrundstücke und teilt man die damit verbundene Rechtsmeinung, so bleibt ein nicht gefangenes Hinterliegergrundstück bei der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands grundsätzlich unberücksichtigt, wenn es aufgrund z.B. planungsrechtlicher, sonstiger rechtlicher oder tatsächlicher Umstände eindeutig erkennbar auf die Anbaustraße ausgerichtet ist, an die es angrenzt, d.h. wenn es an irgendwelchen Anhaltspunkten fehlt, die den Schluss erlauben können, die abzurechnende Straße werde über das Anliegergrundstück vom Hinterliegergrundstück aus ungeachtet dessen direkter Anbindung an seine "eigene" Anbaustraße in nennenswertem Umfang in Anspruch genommen werden (vgl. z.B. BayVGH vom 29.4.2009 - 6 ZB 07.2050 GKBay 2009/116).

 

Der Fall:

 

Zu einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück führte eine Zufahrt über das Anliegergrundstück hinweg. Die Zufahrt war in der Natur vorhanden, dinglich aber nicht gesichert. Es stellte sich die Frage, ob das Hinterliegergrundstück wegen der vorhandenen Zufahrt zum Kreis der erschlossenen Grundstücke zählte.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

Die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Erschließungsanlage durch einen nicht gefangenen Hinterlieger erscheint objektiv wertlos, weil dem Grundstück kein nennenswerter weiterer Erschließungsvorteil zuwächst:

 „Ist die gebotene Inanspruchnahmemöglichkeit für ein Hinterliegergrundstück objektiv wertlos, weil nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist, dass von diesem Grundstück aus die hergestellte Anbaustraße in einem relevanten Umfang in Anspruch genommen werden wird, hat dieses Grundstück aus einer gebotenen Inanspruchnahmemöglichkeit keinen nennenswerten Vorteil und scheidet deshalb aus dem Kreis der erschlossenen Grundstücke aus. Deshalb nehmen nicht gefangene Hinterliegergrundstücke an der Aufwandsverteilung als – ein zweites Mal – erschlossen im Sinn des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur teil, wenn mit einer (noch) relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer Inanspruchnahme der abzurechnenden Anbaustraße (auch) von dem Hinterliegergrundstück aus gerechnet werden kann (...).“

 

Ein nicht gefangenes Hinterliegergrundstück ist daher nur unter engen Voraussetzungen erschlossen. Eine gesicherte verkehrliche Erreichbarkeit des Grundstücks muss möglich sein:

 „Als ... Anhaltspunkt für eine beitragsrelevante Inanspruchnahme durch das nicht gefangene Hinterliegergrundstück kommt insbesondere eine tatsächlich angelegte Zufahrt über das Anliegergrundstück in Betracht (vgl. BayVGH ...).

Dabei ist zu berücksichtigen, dass das Merkmal des Erschlossenseins bei einer Anbaustraße ... unter anderem voraussetzt, dass das Grundstück gerade dieser Straße wegen bebaubar ist, insbesondere also von dieser Straße aus in einer Weise verkehrlich erreichbar ist, die den einschlägigen Bestimmungen des Bauplanungsrechts und des Bauordnungsrechts genügt (vgl. etwa BVerwG ...). Hinsichtlich der verkehrsmäßigen Erschließung sind namentlich die Anforderungen des Art. 4 BayBO zu beachten, der in Abs. 1 Nr. 2 grundsätzlich das Anliegen des Grundstücks an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche in einer angemesse­nen Breite verlangt und Abweichungen hinsichtlich der Befahrbarkeit und Öffentlichkeit nur bei einer Anbindung durch Wohnwege begrenzter Länge unter den in Abs. 2 näher bestimmten Voraussetzungen zulässt (vgl. BayVGH ...). ...

Zwar dürfte die ... Zufahrt ... über das Anliegergrundstück Fl.Nr. 20/1 ungeeignet sein, einen relevanten Erschließungsvorteil zu vermitteln; denn dieses Anliegergrundstück steht in fremdem Eigentum, so dass dem Eigentümer der Hinterliegergrundstücke die Verfügungsmacht fehlt, die nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO erforderlichen dinglichen Sicherungen für diese Zufahrt selbst herbeizuführen (vgl. BayVGH ...). Jedenfalls aber vermittelt die etwa 35 m lange Zufahrt ... über das Anliegergrundstück Fl.Nr. 20 beiden Hinterliegergrundstücken eine verkehrsmäßige Anbindung an die abgerechnete Straße, die als Zweiterschließung eine Berücksichtigung bei der Aufwandsverteilung nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erfordert. Denn insoweit besteht Eigentümeridentität. Der Eigentümer der Hinterliegergrundstücke ist zugleich Eigentümer des Anliegergrundstücks Fl.Nr. 20 und hat es damit selbst in der Hand, die Anforderungen des Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO an die Erreichbarkeit zu erfüllen. Diese Möglichkeit genügt, um ein Erschlossensein der Hinterliegergrundstücke zu begründen; ob der Eigentümer von ihr Gebrauch machen will, ist unerheblich (vgl. BVerwG ...).“

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung des finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Erschlossensein von Hinterliegergrundstücken sowie umfangreiche Rechtsprechungshinweise hierzu bei Rdnrn. 851 ff.. Lesen Sie dort auch die grundlegende Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Hinterliegererschlossensein.

 

Die in der Entscheidung zitierten Erreichbarkeitsvorschriften (Art. 4 Abs. 2 Bayer. Bauordnung -BayBO) gelten in vergleichbarer oder ähnlicher Weise auch in den anderen Bundesländern.

 

Zum Hinterliegererschlossensein finden Sie weitere Entscheidungen in:

Die Gemeindekasse Bayern (GKBay) 2009/116 und 2010/154

 

 


Unsere Tipps für die Praxis:

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