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07.01.2016

Erschlossensein: Anforderungen an das Heranfahrenkönnen an das Grundstück

Die dargestellte Entscheidung befasst sich mit der Rolle straßenverkehrsrechtlicher Regelungen bei der Frage des Erschlossenseins.

 

Grundsatz:

 

Erschlossen ist ein Grundstück, wenn ihm die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlich relevanter Weise, d.h. in einer[GW1]  auf die bauliche, gewerbliche oder vergleichbare Nutzbarkeit der Grundstücke gerichteten Funktion, die Zugänglichkeit vermittelt. Das Bauplanungsrecht verlangt für die Bebaubarkeit eines Grundstücks regelmäßig dessen Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen (Heranfahren-Können)‚ sofern es nicht ausnahmsweise weniger (fußläufige Erreichbarkeit) genügen lässt oder mehr (Herauffahren) verlangt.

                          

Herangefahren kann an ein Anliegergrundstück mit Kraftwagen regelmäßig dann‚ wenn auf der Fahrbahn einer öffentlicher Straße bis zur Höhe dieses Grundstücks mit Personen- und kleineren Versorgungsfahrzeugen gefahren und von da ab (ggf. über einen dazwischen liegenden Gehweg, Radweg oder Seitenstreifen) das Grundstück betreten werden kann.

 

 

Der Fall:

 

Das Grundstück der Klägerin liegt im Kreuzungsbereich zweier Anbaustraßen: dem F…weg und der Straße Am S…. Die Abrechnung der Straße Am S… ist Gegenstand dieses Verfahrens. Die Klägerin trägt vor, ihr Grundstück sei nicht erschlossen. Das Baurecht verlange, dass auf das Grundstück heraufgefahren werden müsse, da sämtliche Stellplätze laut Baugenehmigung auf dem Grundstück zu errichten seien. Ein Herauffahren sei jedoch nicht möglich. Doch selbst wenn ein Heranfahren ausreichend wäre, so könne das Grundstück nicht von der abzurechnenden Anlage aus betreten werden, da aufgrund der Lage im Kreuzungsbereich ein sicheres Halten nicht möglich sei. Zudem sei der Niveauunterschied zwischen Straße und Grundstück nur mittels einer Treppe überwindbar, die jedoch aus baurechtlichen Gründen nicht errichtet werden dürfe.

 

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

  1. 1.    Genügt ein Heranfahren an das Grundstück oder ist aufgrund der baurechtlichen Situation ein Herauffahren erforderlich?

 

„Für das in einem reinen Wohngebiet gelegene Grundstück der Klägerin genügt für eine Bebaubarkeit entsprechend der Regel das Heranfahrenkönnen. Der Bebauungsplan setzt keine höheren Anforderungen an die Erreichbarkeit fest. Er weist zwar nach § 9 Abs. 1 Nr. 4 BauGB eine Fläche für die Garage […] aus. Mit der Gestattung von Garagen oder Stellplätzen trifft ein Bebauungsplan aber keine Aussage darüber, welche bauplanungsrechtlichen Anforderungen an die Bebaubarkeit dieses Grundstücks mit baulichen Hauptanlagen zu stellen sind. Bauplanungsrechtlich hängt die Bebaubarkeit des Grundstücks der Klägerin nicht davon ab, dass auf ihm ein Stellplatz oder eine Garage errichtet und von der Straße aus erreicht werden kann. Erst recht kann aus dieser Festsetzung nicht geschlossen werden, dass die verkehrliche Erschließung des klägerischen Grundstücks nur durch den F...weg, nicht aber von der Straße Am S... aus erfolgen dürfe. Auch aus der bauordnungsrechtlichen Stellplatzpflicht lässt sich schon deshalb nicht die Notwendigkeit des Herauffahrenkönnens ableiten, weil sie in verschiedener Form auch außerhalb des Baugrundstücks erfüllt werden kann (vgl. Art. 47 Abs. 3 BayBO). Auf den Inhalt der der Klägerin erteilten Baugenehmigung kommt es nicht an; denn erschließungsbeitragsrechtlich ist nicht die konkret genehmigte bauliche Nutzung eines Grundstücks maßgebend, sondern die abstrakte Nutzbarkeit.“

 

 

 

 

  1. 2.    Ist ein Heranfahren an das Grundstück und das Betreten von der Straße aus möglich?

 

Um die Möglichkeit, an das Grundstück heranfahren zu können, bejahen zu können, muss zwar nicht gewährleistet sein, dass das Grundstück zu jeder beliebigen Zeit völlig reibungslos und ohne jegliche Behinderung durch andere Verkehrsteilnehmer zu erreichen ist. „An der erforderlichen Möglichkeit zum Heranfahren fehlt es aber ausnahmsweise dann, wenn ein auch nur kurzfristiges Anhalten mit Fahrzeugen und Aussteigenlassen auf der Höhe des Grundstücks straßenverkehrsrechtlich unzulässig ist und auch nicht auf das Grundstück gefahren werden [kann]. Dass vor dem Grundstück geparkt werden darf, ist nicht erforderlich.“

 

  1. 3.    Verkehrsrechtliche Zulässigkeit des Anhaltens:

„An dieser Stelle ist das Halten verkehrsrechtlich weder durch Einzelanordnung (Vorschriftzeichen) noch gesetzlich verboten. An Einmündungen ist zwar das Parken (§ 12 Abs. 3 Nr. 1 StVO), nicht aber das Halten unzulässig. Es besteht insbesondere kein gesetzliches Halteverbot nach § 12 Abs. 1 Nr. 1 StVO, weil die Straßenstelle weder eng noch unübersichtlich im Sinn dieser Vorschrift ist. Eng ist eine Straßenstelle, wenn der neben dem haltenden Fahrzeug zur Durchfahrt freibleibende Raum einem Fahrzeug mit der regelmäßig höchstzulässigen Breite (§ 32 Abs. 1 StVZO: 2,50 m, ausnahmsweise 3 m) nicht die Einhaltung eine Sicherheitsabstand von 0,50 m von dem abgestellten Fahrzeug gestattet und damit ein gefahrloses Vorbeifahren ohne ungewöhnliche Schwierigkeiten nicht ermöglicht. Davon kann keine Rede sein. […] Die Stelle ist zudem trotz des Gefälles nicht unübersichtlich. Ein Fahrzeugführer kann, egal von welcher Seite er auf den Einmündungsbereich zufährt, auch bei einem abgestellten Fahrzeug bei normaler Aufmerksamkeit alle Hindernisse und Gefahren rechtzeitig erkennen und ihnen begegnen.“

 

  1. 4.    Kein beachtliches (Betretens)Hindernis:

 

„Es bestehen auch keine beachtlichen (Betretens-)Hindernisse auf dem Grundstück der Klägerin. Dass das Gelände mehr oder weniger stark abfällt und das Grundstück von der höher liegenden Straße – von Osten nach Westen – durch eine 0‚69 m bis 1‚42 m hohe Stützmauer zu einem Vorgarten hin abgesichert wird‚ ist erschließungsbeitragsrechtlich unbeachtlich.

 

Ein solches Hindernis kann der Annahme des Erschlossenseins nicht entgegenstehen, wenn es mit dem Grundeigentümer zumutbaren finanziellen Mitteln ausräumbar ist. Zumutbar ist der Aufwand, den ein „vernünftiger“ Eigentümer aufbringen würde, um die Bebaubarkeit seines Grundstücks gerade um dieser Straße willen (eine anderweitige verkehrsmäßige Erschließung hinweggedacht) zu ermöglichen, d.h. um aus nicht bebaubarem Land Bauland zu machen. Dass die Errichtung einer (Wege-)Treppe, mit deren Hilfe der eher geringe Höhenunterschied überwunden werden kann, in diesem Sinn zumutbar ist, liegt auf der Hand. Entgegen der Ansicht der Berufung ist eine solche Treppe auch außerhalb der im Bebauungsplan festgesetzten Baugrenze baurechtlich zulässig. Zwar findet § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO, wonach Gebäude und Gebäudeteile eine Baugrenze nicht überschreiten dürfen, auf alle baulichen Anlagen im bauplanungsrechtlichen Sinn Anwendung. Es kann indes dahinstehen, ob eine dem Zugang von der Straße auf das Grundstück dienende (Wege-)Treppe als bauliche Anlage im Sinn von § 29 Abs. 1 BauGB, § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO zu werten ist. Jedenfalls müsste sie dann als (grundstücksbezogene) Nebenanlage im Sinn von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO oder mangels gebäudegleicher Wirkung (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO) als in den Abstandsflächen zulässige bauliche Anlage ohne weiteres nach § 23 Abs. 5 BauNVO zugelassen werden.“

 

 

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen sowie weitere Rechtsprechung des BVerwG und der Oberverwaltungsgerichte zum Heranfahrensbegriff unter RdNr. 827 und zu beachtlichen Hindernissen für das Erschlossensein unter RdNr. 829.


 [GW1]


Unsere Tipps für die Praxis:

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