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06.07.2011

Erschließungsvertrag: Vorbehalt der Selbstvornahme durch die Gemeinde?

Ein Erschließungsvertrag, indem sich die Gemeinde umfangreiche Befugnisse zur Selbstvornahme der Erschließung vorbehält, führt nicht zu einer „Übertragung“ der Erschließung.


Die gesetzliche Grundlage des Erschließungsvertrags:

 

Die Gemeinde kann die Erschließung auf einen Dritten übertragen (§ 124 Abs. 1 BauGB). Der Erschließungsträger verpflichtet sich in einem solchen Fall, die Erschließung im eigenen Namen und auf eigene Rechung durchzuführen bzw. durchführen zu lassen.

 

Der Fall:

 

Eine Gemeinde hatte mit einem Erschließungsträger (***Wohnbau GmbH) einen Erschließungsvertrag geschlossen, in dem sich die Gemeinde in großem Umfang Befugnisse zur Selbstvornahme von Erschließungsmaßnahmen vorbehalten hatte. Im Einzelnen war zwischen der ***Wohnbau GmbH (Erschließungsträgerin und spätere Beklagte) und der Gemeinde (der späteren Beigeladenen) folgendes vereinbart worden:

 

„§ 9 Durchführung der Erschließungsarbeiten

(1) Die ***Wohnbau GmbH stellt die ... Anlagen und Einrichtungen nach Weisung und unter Aufsicht der Stadt her.

(2) Die Entscheidung über die technische Gestaltung der Erschließungsmaßnahmen und die entsprechende Materialverwendung trifft ausschließlich die Stadt.

(3) Die Erschließungsträgerin verpflichtet sich, die erforderlichen Arbeiten und sonstigen Leistungen nur im Einvernehmen mit der Stadt zu vergeben. Leistungsverzeichnisse für die Ausschreibung von Erschließungsarbeiten sind mit der Stadt vorher abzustimmen.

(4) Die Ausschreibung und Planung der gesamten Erschließungsarbeiten kann die Stadt gegen Kostenersatz selbst durchführen oder der ***Wohnbau GmbH in Auftrag geben. Die ***Wohnbau GmbH ist berechtigt, Aufträge an Dritte weiterzugeben. Die Stadt ist weiterhin berechtigt, die ordnungsgemäße Ausführung der Arbeiten an Ort und Stelle zu überwachen und Weisungen zu erteilen.

<...>"

 

Die (späteren) Kläger erwarben von der Gemeinde Baugrundstücke, die entsprechend der vorgenannten Vereinbarung durch die ***Wohnbau GmbH erschlossen worden waren. In Vollzug der in den notariellen Kaufverträgen enthaltenen Vereinbarungen entrichteten die Käufer die Kosten für die Erschließung an die GmbH. In der Folgezeit verlangten sie diese Kosten von der GmbH zurück und machten zur Begründung geltend, der zwischen der GmbH und der Gemeinde geschlossene Erschließungsvertrag sei nichtig, weil eine Übertragung der Erschließung von der Gemeinde auf den Erschließungsträger in Wirklichkeit nicht stattgefunden habe. Der Rechtsstreit zog sich durch die Instanzen ...

 

Die Entscheidung:

 

Die Gemeinde hat die Wahl zwischen einer Erschließung in Eigenregie oder der Übertragung auf einen Dritten (Fremdregie) – sog. „Regimeentscheidung“

„Mit der in § 124 Abs. 1 BauGB eröffneten Möglichkeit, die Erschließung durch Vertrag auf einen Dritten zu übertragen, stellt das Gesetz die Gemeinde vor eine "Regimeentscheidung": Sie muss wählen, ob sie die Erschließung in "Eigenregie" durchführt mit der Folge, dass sie den ihr entstandenen Aufwand (nur) in dem von den §§ 127 ff. BauGB bestimmten Umfang durch Erhebung von Erschließungsbeiträgen auf die Grundstückseigentümer umlegen kann (und muss), oder ob sie die Erschließung auf einen Dritten überträgt, der sie in "Fremdregie" durchführt und sich wegen der von ihm übernommenen Erschließungskosten - mit der in § 124 Abs. 2 und 3 BauGB geregelten Befreiung von Begrenzungen des Beitragsrechts - privatrechtlich durch mit den Grundstückseigentümern/-käufern vertraglich vereinbarte Kostenerstattung refinanziert (...). Hiernach ist es der Gemeinde verboten, die Erschließung selbst durchzuführen und die entstehenden Kosten sodann auf vertraglicher Grundlage auf die Grundstückseigentümer umzulegen (Urteil vom 22. August 1975 - BVerwG 4 C 7.73 - BVerwGE 49, 125 <127 f.>; ...). Führt sie die Erschließung in Eigenregie selbst durch, muss sie den Weg des Beitragsrechts gehen; der Weg der vertraglichen Refinanzierung ist nur einem Dritten nach Übertragung der Erschließung auf ihn eröffnet. Es ist der Gemeinde verwehrt, formal eine "Übertragung" zu vereinbaren, die tatsächlich nicht stattfindet, etwa indem alle oder wesentliche Elemente der Aufgabenerledigung sogleich auf die Gemeinde zurückübertragen werden oder die Gemeinde sich vorbehält, diese selbst durchzuführen. Denn damit steht die Gemeinde im Ergebnis so da, als führe sie die Erschließung selbst durch. Eine derartige vertragliche Regelung ist wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot nichtig (§ 59 Abs. 1 VwVfG, § 134 BGB i.V.m. § 124 Abs. 1 BauGB). So liegt es hier.“

 

Behält sich die Gemeinde umfangreiche Befugnisse zur Selbstvornahme der Erschließung vor, so liegt keine „Übertragung“ vor.

„Im Streitfall hat die Beigeladene sich das Recht vorbehalten, Durchführung und Abwicklung der Erschließungsmaßnahmen weitgehend an sich zu ziehen, oder sie zumindest von ihrer Zustimmung abhängig gemacht. Da dieser Vorbehalt an keinerlei Voraussetzungen geknüpft ist, handelt es sich um ein jederzeit ausübbares unbeschränktes Selbstausführungsrecht, das im Ergebnis der Durchführung in Eigenregie gleich steht. Die insoweit maßgebliche Vorschrift ist dabei nicht die oben erwähnte, vom Verwaltungsgerichtshof allein angesprochene Klausel des § 5 Abs. 2, sondern § 9 des Erschließungsvertrages. Danach hat die Beigeladene nicht nur ein Weisungs- und Aufsichtsrecht gegenüber der Beklagten bei der Herstellung der Erschließungsanlagen (Abs. 1), sondern ausschließlich sie entscheidet über die technische Gestaltung der Erschließungsmaßnahmen und die Materialverwendung (Abs. 2). Vergabe und Ausschreibung der Erschließungsmaßnahmen bedürfen des vorherigen Einvernehmens bzw. der Abstimmung mit der Beigeladenen (Abs. 3), die diese Aufgaben sowie die Planung der gesamten Erschließungsarbeiten gegen Kostenersatz aber auch selbst durchführen kann (Abs. 4). In der Gesamtschau ... hat sich die Beigeladene hinsichtlich Planung, Ausschreibung und Vergabe der Erschließungsmaßnahmen das Recht zur Selbstvornahme vorbehalten und damit den vollen Durchgriff auf alle wesentlichen Aufgaben, deren Durchführung typischerweise dem Erschließungsunternehmer überlassen ist. Der Beklagten bleiben hiernach kaum eigenständige Befugnisse. Insoweit ist kein Unterschied zu dem Fall zu erkennen, dass die Beigeladene die Erschließung in Eigenregie (ggf. durch den eigenen Bauhof, ggf. durch Fremdfirmen) durchführt.“


Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie umfangreiche Erläuterungen zum Erschließungsvertrag mit der Darstellung der ober- und höchstrichterlichen Rechtsprechung bei Rdnrn. 1601 ff., zu den Folgen nichtiger Erschließungsverträge s. Rdnrn. 1646 und 1505

 


Unsere Tipps für die Praxis:

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