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07.04.2011

Erschließungsvertrag: Beschränkung auf die technische Herstellung?

Ein Erschließungsvertrag zur technischen Herstellung einer Straße schließt die spätere Erhebung eines Erschließungsbeitrags allein auf den Grunderwerb nicht grundsätzlich aus.

 

Die Norm:

 

Die Gemeinden können die ihnen obliegende Erschließung durch Vertrag auf einen Dritten übertragen (124 Abs. 1 BauGB). Erschließungsverträge dienen dazu, die Gemeinde von der ihr zukommenden Aufgabe zu entlasten und den Bauwilligen gegebenenfalls eine vorzeitige Bauausführung zu ermöglichen. Der Erschließungsunternehmer verpflichtet sich, die erforderliche Erschließung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchzuführen bzw. durchführen zu lassen.

 

Der Fall:

 

Eine Gemeinde (die spätere Klägerin) schloss einen Erschließungsvertrag mit einem Bauunternehmen, das auf den mit Bebauungsplan ausgewiesenen Flächen Wohngebäude zu errichten beabsichtigte. Da die Gemeinde bereits Eigentümerin der für die Verkehrsanlagen vorgesehenen Flächen war, beschränkte sich der Erschließungsvertrags darauf, dem Erschließungsunternehmer nur diejenigen Maßnahmen zu übertragen, die zur technischen Herstellung der Straße erforderlich waren. Die Verkehrsanlagen wurden nach vertragsgemäßer Herstellung von der Gemeinde übernommen und für den öffentlichen Verkehr gewidmet. Sodann zog die Gemeinde die Eigentümer der erschlossenen Grundstücke zu Erschließungsbeiträgen heran. Dabei setzte sie als beitragsfähigen Aufwand lediglich die Kosten für den Straßengrunderwerb an. Einer der Beitragspflichtigen (Beigeladener im anschließenden Verwaltungsprozess) hielt den Bescheid für rechtswidrig und erhob erfolgreich Widerspruch.

Die daraufhin von der Gemeinde gegen den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das in erster Instanz zuständige Verwaltungsgericht ab: Eine Beitragserhebung scheide aus, weil sich die Gemeinde mit dem Abschluss eines Erschließungsvertrags für eine Finanzierung der Erschließungsanlage allein auf privatrechtlicher Grundlage entschieden habe. Der Gesetzgeber habe der Gemeinde zur Bewältigung der ihr durch § 123 Abs. 1 BauGB grundsätzlich auferlegten Erschließungslast die Wahl auferlegt, zwischen der Herstellung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage in eigener Regie (mit der Folge einer Beitragserhebung) einerseits und der Übertragung der Erschließung auf einen Dritten und damit der Herstellung der Anlage in dessen (Fremd-)Regie andererseits. Die Klägerin habe sich für Letzteres entschieden. Da das Gesetz eine Kumulation beider Rechtsregime nicht vorsehe, sondern lediglich eine alternative Anwendung ermögliche, sei der Gemeinde infolge ihrer Entscheidung zum Abschluss eines Erschließungsvertrags nach § 124 BauGB der Weg zur Erhebung von Erschließungsbeiträgen auf Grundlage der §§ 127 ff. BauGB auch hinsichtlich der Grunderwerbskosten versperrt.

Zur Begründung ihrer Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil machte die Gemeinde geltend, es könne es nicht Sinn und Zweck von § 123 Abs. 1 und § 124 BauGB sein, die Durchführung und Finanzierung des Grunderwerbs von Dritten zwingend zum Gegenstand eines Erschließungsvertrags zu machen; das gelte umso mehr, wenn die Gemeinde bereits Eigentümerin der Flächen für die Erschließungsanlage sei. Die gegenteilige Auffassung laufe auf ein im Gesetz nicht vorgesehenes und zudem höchst unpraktikables „Alles-oder-nichts-Prinzip“ hinaus. Mit dem Erschließungsvertrag sei demnach nur eine Regimeentscheidung in dem Sinne erfolgt, dass die Eigentümer der Anliegergrundstücke an den Kosten der technischen Herstellung (und nicht des Grunderwerbs) im Rechtsverhältnis zum Erschließungsunternehmer auf privatrechtlicher Grundlage beteiligt würden. Damit aber sei die Klägerin aufgrund ihrer Verpflichtung zur Beitragserhebung gemäß § 127 Abs. 1 BauGB zur Refinanzierung ihres Aufwands für den Grunderwerb durch Erschließungsbeitragsbescheide gehalten gewesen.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

Das Berufungsgericht hob den Widerspruchsbescheid auf. Die Beitragserhebung sei rechtlich nicht zu beanstanden.

 

Die auf den Grunderwerbsaufwand beschränkte Beitragserhebung werde durch den Erschließungsvertrag nicht ausgeschlossen:

„Da die Klägerin bei Vertragsabschluss bereits Eigentümerin der für die Verkehrsanlagen vorgesehenen Flächen war, beschränkt sich § ... des Erschließungsvertrags darauf, dem Erschließungsunternehmer nur diejenigen Maßnahmen zu übertragen, die zur (technischen) Herstellung der Straße einschließlich Straßenentwässerung und -beleuchtung notwendig sind und die (im Vertrag) näher bestimmt werden. Der Vertrag enthält auch keine Vereinbarung, die den für den Grunderwerb bereits entstandenen gemeindlichen Aufwand dem Erschließungsunternehmer ganz oder teilweise überbürdet und damit in den Vertragsgegenstand einbezieht (...). Nach § ... des Erschließungsvertrags trägt der Erschließungsunternehmer vielmehr (nur) „alle Kosten der von ihm nach diesem Vertrag im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durchzuführenden Maßnahmen“. Gemeint sind damit die Kosten der technischen Herstellung, auf deren Übertragung sich § ... des Vertrags beschränkt. Aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Kostenvereinbarung für den Grunderwerb kann auch nicht geschlossen werden, der Erschließungsvertrag ordne sie stillschweigend der Klägerin gleichsam als gemeindlichen Eigenanteil zu. Abgesehen davon, dass eine solche Vertragsauslegung dem offenkundigen Refinanzierungsinteresse der Klägerin zuwiderliefe, steht dem auch der Wortlaut ... entgegen: Denn danach wird mit der vollständigen ordnungsgemäßen Erfüllung des Erschließungsvertrags die gesetzliche Erschließungsbeitragspflicht nur „hinsichtlich der nach diesem Vertrag auszuführenden Maßnahmen abgegolten“ (...); das Recht, „für weitere Erschließungsmaßnahmen Erschließungsbeiträge zu erheben“, hat sich die Klägerin hingegen ausdrücklich vorbehalten (...). Da dem Erschließungsunternehmer allein Maßnahmen zur technischen Herstellung übertragen worden sind, kann dieser Vorbehalt nur so verstanden werden, dass die Kosten für den Grunderwerb von der vertraglichen Kostenverteilung gerade ausgenommen und einer späteren Beitragserhebung überlassen bleiben sollten.“

 

Ob ein solches Ausklammern des Grunderwerbs und der hierauf entfallenden Kosten aus einem Erschließungsvertrag mit dem Gesetz vereinbar ist, begegne Zweifeln, gleichwohl sei der Gemeinde in jedem Fall der Weg zur Beitragserhebung eröffnet:

„Nach § 124 Abs. 1 BauGB kann die Gemeinde „die Erschließung“ durch Vertrag auf einen Dritten übertragen. Gegenstand eines Erschließungsvertrags können gemäß § 124 Abs. 2 Satz 1 BauGB bestimmte „Erschließungsanlagen“ sein. Dem kann nicht ohne weiteres entnommen werden, ob sich der Erschließungsvertrag zwingend auf eine Erschließungsanlage insgesamt, also einschließlich des erforderlichen Grunderwerbs oder zumindest des darauf entfallenden Aufwands, beziehen muss oder eine Beschränkung auf einzelne Teile zulässt (...). Diese Frage kann jedoch offen bleiben, weil der Klägerin in jedem Fall der Weg zur Beitragserhebung eröffnet ist.

Wenn § 124 BauGB eine Beschränkung des Vertragsgegenstands zulassen sollte, wäre die Klägerin an einer Beitragserhebung für den „ausgeklammerten“ Teil der Erschließungsanlage nicht gehindert. Zwar ist mit dem Verwaltungsgericht davon auszugehen, dass eine Gemeinde, die sich gegen die Erschließung eines Baugebiets in Eigenregie und für die Übertragung der Erschließung auf einen Dritten nach § 124 Abs. 1 BauGB entscheidet, damit zwangsläufig zugleich die Entscheidung trifft, dass die Eigentümer der erschlossenen Grundstücke an den Kosten für die Herstellung der Erschließungsanlage grundsätzlich nicht durch Erschließungsbeiträge nach Maßgabe der §§ 127 ff. BauGB beteiligt werden, sondern nur im Rahmen des privaten Rechtsgeschäfts mit dem Erschließungsunternehmer (...). Diese Folgen der so genannten Regimeentscheidung auf das für die Kostenbeteiligung maßgebliche „Rechtsregime“ reichen aber nicht über den Gegenstand des Erschließungsvertrags hinaus. Beschränkt sich die Übertragung der Erschließung – in zulässiger Weise – auf bestimmte Teile einer Erschließungsanlage, spricht nichts dagegen, dass die Gemeinde den ihr entstandenen Aufwand für die übrigen, in Eigenregie behaltenen Teile der Erschließungsanlage durch Erschließungsbeiträge nach den §§ 127 ff. BauGB refinanziert. Es gilt nichts anderes als in dem Fall, dass die Gemeinde dem Erschließungsunternehmer lediglich die Herstellung einzelner, nicht aber aller (beitragsfähiger) Erschließungsanlagen in einem Baugebiet übertragen hat (...). Eine ungerechtfertigte Doppelbelastung der Grundstückseigentümer ist nicht zu befürchten; denn dem Erschließungsunternehmer können für den ihm nicht übertragenen Teil auch keine Kosten entstehen, die er wiederum seinen Vertragspartnern, also den Käufern der Baugrundstücke, „weiterreicht“. Etwaige Absprachen in diesem (privatrechtlichen) Rechtsgeschäft mit dem Inhalt, dass für das Baugrundstück keine weiteren Erschließungskosten anfallen, sind beitragsrechtlich unbeachtlich. Weder kann der Erschließungsunternehmer über die Beitragsforderungen der Gemeinde verfügen noch können seine Erklärungen bei den Grundstückseigentümern schutzwürdiges Vertrauen darauf auslösen, dass von der Gemeinde für die in Eigenregie durchgeführten Erschließungsmaßnahmen keine Beiträge erhoben werden.

Die Klägerin wäre aber auch dann nicht an der Beitragserhebung gehindert, wenn § 124 Abs. 1 und 2 BauGB die im Erschließungsvertrag vom ... vereinbarte Beschränkung des Vertragsgegenstands verbieten sollte. Der Vertrag wäre in diesem Fall gemäß Art. 59 Abs. 1 BayVwVfG in Verbindung mit § 134 BGB insgesamt nichtig. Für die Annahme einer Teilnichtigkeit (Art. 59 Abs. 3 BayVwVfG) ist schon deshalb kein Raum, weil der – unterstellte – Gesetzesverstoß gerade in der unzulässigen Beschränkung des Vertragsgegenstands liegt und dieser Mangel nicht durch eine Teilung des Vertrags, sondern nur durch eine von den Vertragspartnern gerade nicht vereinbarte Erweiterung des Vertragsinhalts behoben werden könnte. Ist aber der Vertrag insgesamt nichtig, kann er die Erhebung von Erschließungsbeiträgen von vornherein nicht ausschließen.“

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. Dort stellen wir auch den Leitsatz der Entscheidung vor. Zum Erschließungsvertrag finden Sie die Erläuterungen in Ihrem Matloch/Wiens bei Rdnrn. 1600 – 1656; zum Inhalt von Erschließungsverträgen bei Rdnrn. 1610 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

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