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07.11.2011

Erschließungsvertrag: Angemessenheit bei Fremdanliegerproblematik

Fremdanliegerkosten im Erschließungsvertrag: allein die Übernahme führt noch nicht zu einem Verstoß gegen das Angemessenheitsgebot.

 

Der Erschließungsvertrag:

 

§ 124 BauGB regelt den Erschließungsvertrag. Die Gemeinden können darin die Erschließung auf Dritte übertragen (§ 124 Abs. 1 BauGB). Gegenstand des Erschließungsvertrags können Erschließungsanlagen in einem bestimmten Erschließungsgebiet in der Gemeinde sein, wobei es auf die Beitragsfähigkeit nicht ankommt (§ 124 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Der Dritte kann sich gegenüber der Gemeinde verpflichten, die Erschließungskosten ganz oder teilweise zu tragen; dies gilt unabhängig davon, ob die Erschließungsanlagen nach Bundes- oder Landesrecht beitragsfähig sind (§ 124 Abs. 2 Satz 2 BauGB). Die vertraglich vereinbarten Leistungen müssen aber den gesamten Umständen nach angemessen sein und in sachlichem Zusammenhang mit der Erschließung stehen (§ 124 Abs. 3 Satz 1 BauGB).

 

Oftmals werden durch die von dem Erschließungsträger herzustellenden Erschließungsanlagen Grundstücke sog. Fremdanlieger miterschlossen. Es stellt sich dann die Frage, wie kostenrechtlich ein Ausgleich herbeigeführt werden kann, da die Gemeinde die Fremdanlieger mangels eigenen Aufwands nicht zu Beiträgen heranziehen kann und der Erschließungsträger gegen die Fremdanlieger keinen gesetzlichen Kostenerstattungsanspruch hat. Es bleibt lediglich der Abschluss einer privaten Kostenvereinbarung zwischen Erschließungsträger und Fremdanliegern, wozu letztere allerdings in aller Regel nicht bereit sein werden. In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob die Übernahme dieses Fremdanliegeranteils durch den Erschließungsträger in dem Erschließungsvertrag gegen das Angemessenheitsgebot des § 124 Abs. 3 Satz 1 BauGB verstößt.

 

Der Fall:

 

In dem der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zugrundeliegenden Fall hatte die Klägerin, eine Stadt, mit dem Beklagten, einem Erschließungsunternehmer, einen Vertrag geschlossen, in welchem sie dem Unternehmer die Erschließung von - teilweise in seinem Eigentum, teilweise im Eigentum von Fremdanliegern stehenden - Bauflächen, welche in einem Bebauungsplan näher festgesetzt waren, übertragen hatte. Der Beklagte hatte sich in diesem Vertrag verpflichtet, alle Leistungen auf eigene Kosten und Rechnung zu erbringen und die Klägerin von Kostenanteilen freizuhalten, die bei öffentlich-rechtlicher Veranlagung von Fremdanliegern zu tragen gewesen wären. Mit diesen sollte vielmehr ein privatrechtlicher Ausgleich stattfinden. In § 4 Abs. 2 des Vertrages war bestimmt, dass mit der Erfüllung des Vertrages die Forderungsrechte der Klägerin auf Erhebung eines Erschließungs- und Anschlussbeitrages für die im Rahmen des Vertrages hergestellten Anlagen entfallen sollten. In § 3 Abs. 16 des Vertrages war Folgendes geregelt:

„Sofern die Höhe der Kosten der Entwässerungsanlagen gem. § 1 Abs. 2 c) zuzüglich des auf die Straßenregenentwässerung entfallenden Erschließungsbeitragsanteils nicht dem bei öffentlich-rechtlicher Veranlagung zu erhebenden Beitragsaufkommen entspricht, ist zwischen Erschließungsträger und Stadt der Ausgleich herbeizuführen. Nach derzeitigen Ermittlungen übersteigt das Anschlussbeitragsaufkommen zuzüglich des auf die Straßenregenentwässerung entfallenden Erschließungsbeitragsanteils im Vertragsgebiet die Herstellungskosten für die entwässerungstechnische Erschließung um ca. 230.000,-- DM. Der Erschließungsträger verpflichtet sich, diesen Differenzbetrag an die Stadt zu entrichten. (...)“

Außerdem enthielt der Vertrag eine salvatorische Klausel für den Fall der Unwirksamkeit einzelner vertraglicher Bestimmungen.

 

Nach vertragsgemäßer Herstellung der Erschließungsanlagen durch den Beklagten und Vorlage der Schlussabrechnungen forderte die Klägerin von dem Beklagten unter Hinweis auf § 3 Abs. 16 des Vertrages die Zahlung eines Betrages in Höhe von 175.573,46 Euro. Dies verweigerte der Beklagte mit der Begründung, dass die in § 3 Abs. 16 des Vertrages getroffene Regelung nichtig sei, da sie gegen § 124 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 BauGB verstoße.

 

Die von der Klägerin daraufhin erhobene Klage zum Verwaltungsgericht hatte erstinstanzlich teilweise Erfolg. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) wies die Berufung der Klägerin zurück. Auf die Berufung des Beklagten änderte es das erstinstanzliche Urteil teilweise ab und stellte fest, dass die Klage dem Grunde nach in vollem Umfang unbegründet sei. Das BVerwG hielt die Revision der Klägerin für begründet und verwies die Sache an das OVG zurück.

 

Das Urteil des BVerwG:

 

Allein die Übernahme von Fremdanliegerkosten führt nicht zu einem Verstoß gegen das Angemessenheitsgebot.

Das BVerwG hat den von den Parteien geschlossenen Vertrag mangels Vorliegens eines ablösungstypischen Risikos als Erschließungsvertrag und nicht als sog. Ablösungsvereinbarung qualifiziert. Als Erschließungsvertrag sei der Vertrag an § 124 BauGB und nicht an etwaigen vergleichbaren landesrechtlichen Bestimmungen zu messen. Im einzelnen hat der 9. Senat entschieden, dass ein Erschließungsvertrag nicht bereits deshalb gegen das in § 124 Abs. 3 Satz 1 BauGB normierte Angemessenheitsgebot verstößt, weil sich der Erschließungsträger darin auch zur Übernahme derjenigen Kosten verpflichtet hat, die im Falle einer Beitragserhebung auf die sog. Fremdanlieger entfallen würden. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut von § 124 Abs. 2 Satz 2 BauGB, wonach der Dritte sich gegenüber der Gemeinde verpflichten kann, die Erschließungskosten ganz oder teilweise zu tragen. Wenn das Gesetz die Möglichkeit vorsehe, dass der Erschließungsträger die Kosten in vollem Umfang übernehme, sei es rechtlich auch zulässig, wenn er sich zur Tragung derjenigen Kosten verpflichte, die beitragsrechtlich etwaige Fremdanlieger treffen würden. Diese Auffassung stehe auch mit Sinn und Zweck der mit dem Gesetz zur Erleichterung von Investitionen und der Ausweisung und Bereitstellung von Wohnbauland (Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz) vom 22. April 1993 (BGBl I S.466) eingeführten Neuregelung in § 124 Abs. 2 und 3 BauGB, nämlich der Entgrenzung des Rechts der Erschließungsverträge vom Beitragsrecht, in Einklang. Schließlich greift das BVerwG auch auf gesetzeshistorische Erwägungen zurück. Die Problematik der sachgerechten Behandlung von im Erschließungsvertragsgebiet gelegenen Fremdanliegergrundstücken sei dem Gesetzgeber bei der Einfügung von § 124 Abs. 2 und 3 BauGB im Jahr 1993 bekannt gewesen. 

 

Die Überbürdung des Fremdanliegeranteils auf den Erschließungsträger ist aber bei der im Rahmen des § 124 Abs. 3 BauGB vorzunehmenden wirtschaftlichen Gesamtbetrachtung als ein maßgeblicher Punkt zu berücksichtigen.

Zwar führt die Überbürdung des beitragsrechtlich auf die Fremdanlieger entfallenden Kostenanteils damit nicht stets zur Nichtigkeit des Erschließungsvertrages. Das BVerwG stellt in seiner Entscheidung aber ausdrücklich klar, dass die Übernahme der Fremdanliegerkosten durch den Erschließungsträger bei der Prüfung der Angemessenheit der vertraglich vereinbarten Leistungen nach § 124 Abs. 3 BauGB dennoch als ein maßgeblicher Punkt zu berücksichtigen ist. Es sei eine wirtschaftliche Betrachtung des Gesamtvorgangs vorzunehmen. Dabei ist nach dem Urteil des BVerwG vor allem entscheidend, wie hoch die von dem Erschließungsträger insgesamt zu tragenden Kosten im Verhältnis zum gesamten Kostenvolumen des Erschließungsvertrages sind.

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie ausführliche Erläuterungen zur Fremdanliegerproblematik, einschlägige Rechtsprechung hierzu sowie Lösungswege bei Rdnrn 1610 - 1615.

Erschließungsvertrag: Die Fremdanliegerproblematik und der Biss in den sauren Apfel

 

 


Unsere Tipps für die Praxis:

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