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10.02.2014

Erschließungsbeitragsrecht: Vorrang der Tiefenbegrenzung vor einer Klarstellungssatzung nach § 34 Abs. 4 BauGB ?

Nach § 34 Abs. 4 BauGB kann eine Gemeinde durch Satzung die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen (Nr. 1 - Klarstellungssatzung). In der obergerichtlichen Entscheidung stellte sich entscheidungserheblich die Frage, ob eine solche Klarstellungssatzung nach § 34 Abs. 4 BauGB Vorrang vor einer durch Satzung geregelten Tiefenbegrenzung hat.

Der Fall:

Nach § 34 Abs. 4 BauGB kann eine Gemeinde durch Satzung die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen (Nr. 1 - Klarstellungssatzung). In der nachfolgend vorgestellten obergerichtlichen Entscheidung stellte sich entscheidungserheblich die Frage, ob eine solche Klarstellungssatzung Vorrang vor einer durch Satzung geregelten Tiefenbegrenzung beansprucht. Die Tiefenbegrenzung ist nur in unbeplanten Gebieten (§ 34 BauGB) zulässig und dient bei unverhältnismäßig tiefen Grundstücken der Begrenzung der erschlossenen Grundstücksfläche. Ragt ein an die Anbaustraße angrenzendes und erschließungsbeitragsrechtlich nutzbares Grundstück mit einer Teilfläche in den Außenbereich (§ 35 BauGB) hinein, so markiert die Tiefenbegrenzungslinie im beitragsrechtlichen Sinne die Grenze zum – nicht erschlossenen – Außenbereich.

Im entschiedenen Fall führt ein eventueller Vorrang der Tiefenbegrenzung gegenüber der Klarstellungssatzung zu einem abweichenden beitragsrechtlichen Ergebnis, weil bei Anwendung der Tiefenbegrenzung nicht nur für die von der Klarstellungssatzung erfasste Fläche des Grundstücks, sondern zusätzlich eine über die Grenze der Klarstellungssatzung hinaus ragende - im Außenbereich gelegene - Teilfläche des betroffenen Grundstücks ein Erschließungsbeitrag festzusetzen ist.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

„Insbesondere die vorgenommene Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands ist vorliegend nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat hierbei zu Recht die Grundstücksfläche des Flurstücks … bis zur satzungsmäßigen Tiefenbegrenzung … ihrer Erschließungsbeitragssatzung berücksichtigt. Demnach gilt als Grundstücksfläche bei Grundstücken, die an eine Verkehrsanlage angrenzen, die Fläche zwischen der Verkehrsanlage und der in einem Abstand von 50 m dazu verlaufenden Parallele, sofern die bauliche oder gewerbliche Nutzung die Tiefenbegrenzung nicht überschreitet. Die Klarstellungssatzung für die Ortslage … gebietet nicht, das Grundstück nur mit der im Geltungsbereich dieser Satzung befindlichen Teilfläche zu berücksichtigen. Vielmehr sind bei der Verteilung des Erschließungsaufwands auch bei Vorliegen einer Klarstellungssatzung Grundstücke vollständig bzw. bis zu der durch die Tiefenbegrenzungsregelung gezogenen äußersten Grenze einzubeziehen.“

„… wenn in den Fällen, in denen keine Klarstellungssatzung existiert, Grundstücke, deren Teilflächen in den Außenbereich hineinragen, (vorbehaltlich einer Tiefenbegrenzung) mit ihrer kompletten Fläche in die Verteilfläche einzubeziehen sind und nicht bis zu der Linie, die die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich darstellt - in der Regel die letzte Gebäudewand -, dann ist es schon aus Gründen der Gleichbehandlung der Beitragspflichtigen nicht gerechtfertigt, die Grundstücke bei Vorliegen einer Klarstellungssatzung im Sinne des § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 BauGB erschließungsbeitragsrechtlich anders zu behandeln. Es hinge vom Zufall des Erlasses einer Klarstellungssatzung ab, ob ein Grundstückseigentümer oder Erbbauberechtigter nur mit der dem Innenbereich zugehörenden Fläche seines Grundstücks oder auch - wie üblich - mit der darüberhinausgehenden - im Außenbereich befindlichen - Teilfläche zum Erschließungsbeitrag herangezogen werden könnte. Eine Differenzierung zwischen diesen beiden Fallkonstellationen kann es aber nicht zuletzt auch deshalb nicht geben, weil der Klarstellungssatzung gemäß ihrer Bezeichnung nur klarstellende, d.h. deklaratorische Bedeutung zukommt. Es entspricht dem Zweck der Klarstellungssatzung, durch die Festlegung der Grenzen für die am Vollzug beteiligten Stellen vorab normativ die Grenzen bloß deklaratorisch oder Zweifel ausräumend festzulegen. Die Klarstellungssatzung hat hingegen nicht die Rechtswirkung, den Innenbereich zu verändern oder den Umfang des einzelnen Baugrundstücks festzulegen. … Mit anderen Worten, sie spiegelt nur den tatsächlich vorhandenen Verlauf der Grenze zwischen Innen- und Außenbereich wider. Ausgehend hiervon erscheint es sachgerecht und folgerichtig, ihr im Erschließungsbeitragsrecht keine relevante Bedeutung hinsichtlich des Umfangs der erschlossenen Grundstücksflächen beizumessen. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach auch andere bauplanungsrechtliche Instrumente nicht notwendigerweise den Umfang der erschlossenen Fläche eines Grundstücks determinieren. Denn hiernach ist es auf den Umfang der im Sinne des § 131 Abs. 1 BauGB erschlossenen Fläche grundsätzlich ohne Einfluss, wenn die überbaubare Fläche sogar eines beplanten Baugrundstücks z.B. durch die Festsetzung von Baulinien, Baugrenzen oder Bebauungstiefen gemäß § 23 BauNVO oder durch Abstands- und Anbauverbotsvorschriften … beschränkt ist …

Hieraus ergibt sich auch kein Widerspruch zur grundsätzlichen Bindung des Erschließungsbeitragsrechts an das Bauplanungsrecht. Denn auf die bauplanungsrechtlichen Bestimmungen kommt es in der Regel nur für die Frage an, ob ein Grundstück überhaupt erschlossen ist - die Frage des "Ob" -. Hingegen richtet sich die Frage danach, in welchem Maße ein Grundstück erschlossen ist, wie weit diese Erschließung reicht, d.h. hinsichtlich des Umfangs der Erschließung - die Frage des "Wie" -, ausschließlich nach beitragsrechtlichen Maßstäben. Für die beitragsrelevante Nutzbarkeit maßgeblich ist somit die Baulandqualität, die aber nicht am Ende der tatsächlichen Bebauung aufhört, … somit auch nicht am Ende des Innenbereichs und zwar unabhängig davon, ob die Grenze des Innenbereichs wertend zu ermitteln ist oder in einer Klarstellungssatzung Eingang gefunden hat.“

Argumente des Gerichts zur Gegenansicht

„Dies verkennt die Gegenansicht, die einen Vorrang der Klarstellungssatzung annimmt, welche als speziellere Regelung die Tiefenbegrenzungsregelung verdrängen soll. Die Tiefenbegrenzung treffe eine Vermutung für die Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich. Diese Vermutung werde durch die Klarstellungssatzung, die eine hinter die Tiefenbegrenzung zurückbleibende Grenze festlege, widerlegt. Maßgebend sei die bauliche Nutzbarkeit eines Grundstücks, welche sich nach der Lage im Innenbereich bestimme. … Diese Ansicht vermag nicht zu erklären, warum Grundstücke, die im Innenbereich liegen und in den Außenbereich hineinragen, mit ihrer kompletten Fläche - bzw. bis zur Tiefenbegrenzung - zu Erschließungsbeiträgen herangezogen werden, während dies für diejenigen Grundstücke, die sich im Geltungsbereich einer Klarstellungssatzung befinden, welche nur den tatsächlichen Verlauf des Innenbereichs abbildet und insoweit keine normativen Festlegungen trifft, nicht gelten soll  …“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung sowie die Entscheidungsdaten der Gegenmeinung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Erschlossensein von Grundstücken im unbeplanten Innenbereich bei Rdnrn. 808 ff., zur begrenzten Erschließungswirkung bei übergroßen Grundstücken bei Rdnr. 808a sowie zur Tiefenbegrenzung bei Rdnrn. 808b – 815.

Zur Frage des Verhältnisses einer Einbeziehungssatzung nach § 34 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 BauGB zur Tiefenbegrenzungsregelung s. Rdnr. 812 .


Unsere Tipps für die Praxis:

Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.

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