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13.06.2013

Die Fremdanliegerproblematik und das Modell der modifizierenden Kostenabrede

 

Das BVerwG hat vorliegend die Kostenregelung für wirksam erachtet und in der Konsequenz einen beitragsfähigen Erschließungsaufwand der Gemeinde bejaht.


Der Erschließungsvertrag:  

§ 124 BauGB regelt den Erschließungsvertrag. Die Gemeinde kann damit die Erschließung auf einen Dritten übertragen (§ 124 Abs. 1 BauGB). Gegenstand des Erschließungsvertrags können Erschließungsanlagen in einem bestimmten Erschließungsgebiet der Gemeinde sein, wobei es auf die Beitragsfähigkeit nicht ankommt (§ 124 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Der Dritte kann sich gegenüber der Gemeinde verpflichten, die Erschließungskosten ganz oder teilweise zu tragen; dies gilt unabhängig davon, ob die Erschließungsanlagen nach Bundes- oder Landesrecht beitragsfähig sind (§ 124 Abs. 2 Satz 2 BauGB).

 

Oftmals werden durch die von dem Erschließungsträger herzustellenden Erschließungsanlagen Grundstücke sog. Fremdanlieger miterschlossen. Es stellt sich dann die Frage, wie kostenrechtlich ein Ausgleich herbeigeführt werden kann, da die Gemeinde die Fremdanlieger mangels eigenen Aufwands nicht zu Beiträgen heranziehen kann und der Erschließungsträger gegen die Fremdanlieger keinen gesetzlichen Kostenerstattungsanspruch hat. Für den Erschließungsträger besteht lediglich die Möglichkeit, mit den Fremdanliegern eine private Kostenvereinbarung abzuschließen, wozu diese allerdings in der Regel nicht bereit sein werden. Besondere Brisanz erlangt dies dann, wenn keines der im Erschließungsgebiet liegenden Grundstücke im Eigentum des Erschließungsträgers steht (sog. grundstücksloser Erschließungsträger).

 

Gelingt dem Erschließungsträger die vertragliche Refinanzierung nicht, stellt sich die Frage nach der Zulässigkeit einer Modifikation des Erschließungsvertrags durch eine Kostenabrede, in der sich die Gemeinde dem Erschließungsträger gegenüber verpflichtet, ihm die gesamten beitragsfähigen Aufwendungen zu erstatten mit der Folge der Schaffung eines beitragsfähigen Erschließungsaufwands auf Seiten der Gemeinde.

 

 

Der Fall:

 

In dem der Entscheidung des BVerwG zugrunde liegenden Fall wendet sich die Klägerin, Eigentümerin eines in dem Neubaugebiet „W...“ der beklagten Gemeinde gelegenen Grundstücks, u.a. gegen ihre Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen. Mit städtebaulichem Vertrag vom 21.12.1999 übertrug die Beklagte die Erschließung auf einen Erschließungsträger. Der Vertrag enthielt keine Kostenregelung. Diesen Vertrag ersetzten die Beklagte und der Erschließungsträger im Jahr 2001 durch einen weiteren städtebaulichen Vertrag, in welchem in § 11 folgende Kostenvereinbarung getroffen wurde:

 

(1) Der Erschließungsträger stellt dem Auftraggeber die für das gesamte Erschließungsvorhaben entstandenen Kosten – aufgeführt in § 10 des Erschließungsvertrages – in Rechnung.

 

(2) Nach Prüfung der rechnerischen und sachlichen Richtigkeit werden dem Erschließungsträger die nach Abs. 1 in Rechnung gestellten Kosten innerhalb eines Monats nach schriftlicher Anforderung erstattet, soweit sich aus Abs. 3 nichts anderes ergibt.

 

(3) Soweit der Erschließungsträger gemäß § 10 Abs. 2 des Erschließungsvertrages privatrechtliche Werkverträge mit den Grundstückseigentümern – Fremdanlieger – abgeschlossen hat, findet abweichend von Abs. 2 eine Kostenerstattung durch den Auftraggeber im Wege der Verrechnung statt. Mit der Zahlung an den Erschließungsträger gelten die Erschließungsbeiträge im Verhältnis zwischen dem Auftraggeber und den Fremdanliegern als abgelöst im Sinne von § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB.

 

(4) Hinsichtlich der verbleibenden Erstattungspflicht des Auftraggebers für die Fremdanliegergrundstücke ohne privatrechtliche Werkverträge wird festgelegt: Der Auftraggeber zahlt dem Erschließungsträger die auf Fremdanliegergrundstücke entfallenden Erschließungsbeiträge (incl. der auf 2,70 EUR/ m2 pauschalierten Kosten des Erschließungsträgers) einschließlich dem Gemeindeanteil, der anteiligen nicht beitragsfähigen Aufwendungen sowie der anteiligen Finanzierungskosten innerhalb eines Monats nach schriftlicher Anforderung.“

 

Nach Herstellung der Erschließungsanlagen durch den Erschließungsträger und Abrechnung gegenüber der Beklagten setzte letztere mit Bescheiden vom 31.3.2008 die Erschließungsbeiträge gegenüber der Klägerin fest. Das Widerspruchsverfahren blieb erfolglos. Die von der Klägerin daraufhin erhobene Klage wies das VG Mainz ab. Das OVG Rheinland-Pfalz wies die Berufung der Klägerin zurück. Das BVerwG hielt die Modifikation des Erschließungsvertrages durch die geschlossene Kostenvereinbarung für wirksam, hob das Urteil des OVG jedoch aus anderen Gründen auf und verwies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das OVG zurück.

 

 

 

Die Entscheidung des BVerwG:

 

Das BVerwG hat vorliegend die in § 11 des Vertrages vom 5.11.2001 getroffene Kostenregelung für wirksam erachtet und in der Konsequenz einen beitragsfähigen Erschließungsaufwand der Gemeinde bejaht.

 

Dabei stellt der 9. Senat in seiner Entscheidung zunächst grundsätzlich klar, dass eine Modifikation des Erschließungsvertrags durch eine Kostenabrede, mit der sich die Gemeinde verpflichtet, die für die betreffende Erschließungsanlage entstehenden beitragsfähigen Aufwendungen dem Erschließungsträger nach entsprechendem Nachweis zu erstatten, grundsätzlich zulässig ist. Die in der Literatur gegen diese Konstruktion geäußerten Bedenken greifen für das BVerwG nicht durch. Etwas anderes folge auch nicht aus der sog. Regimerechtsprechung. Zwar ergebe sich aus § 123 Abs. 1 BauGB das Verbot einer vertraglichen Refinanzierung der Gemeinde bei Erschließung in „Eigenregie“. Dem stehe jedoch nicht gleichsam „spiegelbildlich“ das Verbot gegenüber, sich bei Erschließung in „Fremdregie“ durch Beitragserhebung zu refinanzieren. Der das Verbot der Refinanzierung der Gemeinde auf vertraglicher Grundlage rechtfertigende Gedanke, dass sich die Gemeinde nicht den öffentlich-rechtlichen Begrenzungen des Beitragsrechts entziehen dürfe, greife in dieser Konstellation nicht, weil die Schutzfunktion des Erschließungsbeitragsrechts hier gerade nicht in Frage gestellt werde.

 

Ein Verbot einer die privatrechtliche Refinanzierung ergänzenden Beitragserhebung ergibt sich nach der Entscheidung des BVerwG auch nicht aus dem Umstand, dass § 124 Abs. 2 Satz 2 BauGB die Kostentragung des Erschließungsträgers vorsieht. Zur Begründung weist das Gericht darauf hin, dass die ausschließlich privatrechtliche Refinanzierung des Erschließungsträgers nicht zu den Wesensmerkmalen eines Erschließungsvertrages nach § 124 BauGB gehört. Gesetzeszweck sei vielmehr die Erleichterung und Beschleunigung der Bereitstellung von Bauland. Dies werde mit der durch die Einschaltung eines Erschließungsträgers bedingten finanziellen Entlastung der Gemeinde erreicht. Dieser gesetzgeberischen Konzeption trage der modifizierte Erschließungsvertrag jedoch gerade Rechnung.

 

Im Anschluss weist der 9. Senat darauf hin, dass der Zulässigkeit einer Beitragserhebung nicht der Umstand entgegenstehe, dass die Erschließung vorliegend auf den Erschließungsträger als Dritten übertragen und damit in „Fremdregie“ erfolgt sei. Eine in „Eigenregie“ durchgeführte Erschließung sei nicht Voraussetzung für eine Beitragserhebung. Unabhängig davon, dass die Gemeinde auch bei der Erschließung in „Fremdregie“ regelmäßig die Ausführungsplanung zur Kenntnis erhalte und genehmigen müsse und abgesehen davon, dass sie auch bei einer Erschließung in „Eigenregie“ unter Einschaltung eines Generalunternehmers das Heft ein Stück weit aus der Hand gebe, greife dann, wenn die privatrechtliche Refinanzierung des Erschließungsträgers durch Beiträge ergänzt werde, die aus § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB ableitbare Beschränkung des beitragsfähigen Aufwandes auf das kostenmäßig Erforderliche, die den Beitragspflichtigen vor grob unangemessenen Belastungen schütze.

 

Sonstige Wirksamkeitsmängel der Kostenvereinbarung hat das BVerwG ebenfalls nicht festgestellt.

 

Der 9. Senat hat insbesondere die in § 11 Abs. 3 und 4 des Erschließungsvertrages getroffene Vereinbarung, wonach die Gemeinde dem Erschließungsträger die auf die Grundstücke der Fremdanlieger entfallenden Beiträge nach deren Einziehung auszahlt, dabei aber die Erschließungsbeiträge der Fremdanlieger, die mit dem Erschließungsträger eine private Kostenvereinbarung getroffen haben, als gemäß § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB abgelöst gelten und der Ablösungsbetrag  auf den im Übrigen bestehenden Erstattungsanspruch angerechnet wird, für wirksam erachtet.

 

Rechtliche Bedenken hat das BVerwG auch nicht gegen die hier erfolgte nachträgliche Modifizierung des zunächst ohne Kostenregelung geschlossenen Erschließungsvertrags. Dabei stellt der 9. Senat klar, dass eine zeitliche Begrenzung des Rechts zur nachträglichen Modifizierung eines ursprünglich ohne Kostenabrede geschlossenen Vertrags nur in Betracht gezogen werden kann, wenn mit der Herstellung der Erschließungsanlage anders als in dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall im Zeitpunkt der Vertragsmodifikation bereits begonnen wurde. Aus der Nachträglichkeit der Kostenabrede ergebe sich im Übrigen dann kein Wirksamkeitsproblem, wenn sich dem ersten Vertrag – wie hier – ein Vorbehalt einer späteren Modifizierung entnehmen lasse.

 

Schließlich stellt das BVerwG klar, dass zu dem beitragsfähigen Erschließungsaufwand in der vorliegenden Konstellation auch der Betrag zählt, welcher von den Fremdanliegern im Rahmen privater Kostenvereinbarungen an den Erschließungsträger gezahlt wurde. Dies folge aus dem Umstand, dass die Gemeinde sich gegenüber dem Erschließungsträger zur Erstattung der gesamten Erschließungskosten verpflichtet habe.

 

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. Näheres zur Fremdanliegerproblematik und zur modifizierenden Kostenabrede finden Sie in Ihrem Matloch/Wiens unter RdNr. 1612.


Unsere Tipps für die Praxis:

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