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04.04.2013

Der aufschiebend bedingte Erschließungsvertrag und das Problem der anderweitigen Deckung

Die Parteien eines aufschiebend bedingten Erschließungsvertrags sind durch dessen Abschluss bereits gebunden.

Der Fall:

In dem von einem Oberverwaltungsgericht entschiedenen Fall wendet sich die Antragstellerin, welche Eigentümerin von Grundstücken in dem Gewerbegebiet „F“ ist, gegen ihre Heranziehung zur Zahlung einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die Errichtung der Erschließungsanlagen durch Vorausleistungsbescheid des Antragsgegners. Die Gemeinde M (Antragsgegner) hatte mit dem Erschließungsträger am 12.6.1995 einen Erschließungsvertrag geschlossen, worin sich der Erschließungsträger zur Herstellung der in § 3 des Vertrages im Einzelnen genannten Erschließungsanlagen verpflichtet hatte. In § 13 Abs. 1 des Vertrages war vereinbart worden, dass der Vertrag „mit dem Inkrafttreten des Bebauungsplans und der Übertragung der öffentlichen Erschließungsflächen auf die Gemeinde durch notariellen Vertrag“ wirksam werde. Im Anschluss an Verhandlungen zwischen dem Erschließungsträger und der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin über eine Beteiligung letzterer an den Erschließungskosten vereinbarten die Gemeinde M und der Erschließungsträger am 6.8.1998 einen „Nachtrag für den Erschließungsvertrag“ mit dem Inhalt, dass die Gemeinde M „die Kosten der öffentlichen Erschließungseinrichtungen aufgrund der Erschließungsbeitragssatzung der Gemeinde auf die Beteiligten umlegen und dem Erschließungsträger die ihnen entstandenen Kosten in folgendem Umfang und Gegenrechnung der Erschließungsbeiträge und der in § 10 vereinbarten Ersätze erstatten“ wird. Der Antragsgegner erließ im Jahr 2010 gegenüber der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin einen Vorausleistungsbescheid über 1.662.772,17 Euro. Auf den Widerspruch der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin erhöhte der Antragsgegner den Vorausleistungsbetrag unter Zurückweisung des Widerspruchs auf 2.093.824,85 Euro. Der von der Rechtsvorgängerin der Antragstellerin daraufhin beim Verwaltungsgericht gestellte Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb erfolglos. Die zum Oberverwaltungsgericht erhobene Beschwerde hatte Erfolg.

                

Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts:

 

Die Parteien eines aufschiebend bedingten Erschließungsvertrags sind durch dessen Abschluss bereits gebunden

Das OVG stellt in seiner Entscheidung zunächst klar, dass dem bedingten Erschließungsvertrag vom 12.6.1995 Bindungswirkung zukommt. Die Parteien eines bedingten Rechtsgeschäfts seien bereits durch dessen Abschluss gebunden und könnten, wenn nicht ein Widerrufsvorbehalt vereinbart worden sei, die Beziehung nicht einseitig lösen. Da die Parteien während der Schwebezeit das vom Eintritt der Bedingung abhängige Recht nicht beeinträchtigen dürften (vgl. § 160 Abs. 1 BGB), biete ein bedingt abgeschlossenes Rechtsgeschäft in aller Regel den erforderlichen Rechtsboden für das künftige Wirksamwerden des darin begründeten Anspruchs. Aus dem Umstand, dass die Erschließungsanlagen nach Abschluss des Erschließungsvertrages und vor Vereinbarung des Nachtrags durch den Erschließungsträger tatsächlich hergestellt worden sind, entnimmt das Gericht zudem, dass die Parteien vorliegend auch tatsächlich von einer entsprechenden Bindung ausgegangen waren.

 

Eine anderweitige Deckung kann auch in einem Anspruch der Gemeinde gegen einen Dritten auf Übernahme von Erschließungskosten bestehen

In Anknüpfung an die vorangegangene Feststellung geht das Gericht auf die Frage der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Vorausleistungsbescheids ein. Dabei lässt es offen, ob der Umstand, dass mit dem Abschluss eines echten Erschließungsvertrages eine „Regimeentscheidung“ verbunden ist, bereits als solcher der nachträglichen Änderung eines solchen Vertrages durch die von den Beteiligten nachgeschobene Kostenvereinbarung entgegensteht. Die Rechtswidrigkeit des Vorausleistungsbescheids folge vorliegend jedenfalls aus dem Umstand, dass der Erschließungsaufwand aufgrund des ursprünglichen Erschließungsvertrages vom 12.6.1995 bereits gemäß § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB anderweitig gedeckt gewesen sei. Eine anderweitige Deckung im Sinne dieser Vorschrift könne auch in einem Anspruch der Gemeinde gegen einen Dritten auf Übernahme von Erschließungskosten liegen. Dies gelte auch dann, wenn der Erschließungsvertrag wie vorliegend aufschiebend bedingt sei. Der Erschließungsvertrag vom 12.6.1995 habe der Gemeinde M im Falle des Bedingungseintritts einen Anspruch auf Herstellung der Erschließungsanlagen durch den Erschließungsträger auf eigene Kosten vermittelt. § 162 Abs. 1 BGB schütze die Gemeinde in einer derartigen Konstellation vor der Vereitelung des Bedingungseintritts durch den Vertragspartner wider Treu und Glauben. Allein aus der Bedingtheit des Anspruchs folge daher keine Befugnis der Gemeinde, die in Rede stehende Rechtsposition ohne Konsequenzen für eine nachträgliche Beitragserhebung aufzugeben. In einem weiteren Schritt macht das Gericht deutlich, dass in der vorliegenden Fallgestaltung auch kein Interesse auf Seite der Gemeinde M erkennbar sei, das es rechtfertigen könnte, an dem Anspruch aus dem bedingten Erschließungsvertrag nicht festgehalten zu haben. Insbesondere habe der Gemeinde M aufgrund der in § 160 Abs. 1 BGB getroffenen Regelung während der Schwebezeit keine Inanspruchnahme durch den Erschließungsträger gedroht. Allgemeine Billigkeitsgründe würden die Aufgabe der aus dem Erschließungsvertrag resultierenden Rechtsposition schließlich ebenfalls nicht rechtfertigen.

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der noch nicht veröffentlichten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Erschließungsvertrag bei Rdnrn. 1600 ff., zur Nichterfüllung des Vertrag und Vertragsanpassung bei Rdnrn. 1641 ff. ; dort wurde die vorgestellte obergerichtliche Entscheidung mit der jüngsten Ergänzungslieferung (Nr. 49) eingearbeitet.


Unsere Tipps für die Praxis:

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