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16.05.2012

Bestandskraft, Bindungswirkung und Festsetzungsverjährung

Was bedeutet es wenndie bindende Feststellung getroffen ist, dass …Erschließungsbeitragsforderungen … verjährt und damit erloschen sind. Ergibt sich ein Wiederholungsverbot bei unveränderter Sachlage?


Der Fall:

 

Die beklagte Gemeinde hatte die jeweiligen Kläger als Eigentümer für die erstmalige Herstellung des R-Wegs zu Erschließungsbeiträgen herangezogen. Auf die Widersprüche der Kläger hob die Widerspruchsbehörde die Bescheide im Jahr 2002 mit der Begründung auf, dass die vierjährige Festsetzungsfrist bereits vor Erlass der Beitragsbescheide abgelaufen und die Beitragsforderungen daher erloschen seien. Die Widerspruchsbescheide wurden bestandskräftig.

Im Zuge einer Rechnungsprüfung erhielt die Beklagte im Herbst 2007 von dem zuständigen Landratsamt die Anweisung, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für den R-Weg zu erheben. Mangels Herstellung der Straßenbeleuchtung und des zweiten Gehwegs hätten die sachlichen Beitragspflichten überhaupt nicht entstehen können. Daraufhin beschloss der Gemeinderat der Beklagten die Bildung eines Abrechnungsabschnitts für einen Teil des R-Wegs und zog die Kläger in der Folge zu Vorausleistungen auf die Erschließungsbeiträge heran. Die daraufhin von den Klägern erhobenen Widersprüche wies die Widerspruchsbehörde im Jahr 2009 zurück. Sie argumentierte, dass die Bestandskraft der Widerspruchsbescheide aus dem Jahr 2002 der erneuten Heranziehung nicht entgegenstehe. Die sachliche Beitragspflicht sei wegen Fehlens der Straßenbeleuchtung und des zweiten Gehwegs noch nicht entstanden.

Das Verwaltungsgericht gab den von den Klägern gegen diese Widerspruchsbescheide erhobenen Klagen statt und hob die Vorausleistungs- und die Widerspruchsbescheide auf. Zur Begründung verwies das Gericht auf die materielle Bestandskraft der Widerspruchsbescheide aus dem Jahr 2002. Das Oberverwaltungsgericht hatte als Berufungsinstanz zu entscheiden.

 

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

Die bestandskräftige Feststellung, dass eine Erschließungsbeitragsforderung erloschen ist, steht einer späteren Heranziehung zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag entgegen.

Das Gericht weist in seiner Entscheidung zunächst auf die Doppelfunktion des Widerspruchsbescheids – Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens und Sachentscheidung über den Regelungsgegenstand des Ausgangsbescheides – hin. Erfahre der Ausgangsbescheid durch den Widerspruchsbescheid eine Änderung, bildeten beide Bescheide – wie aus § 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO hervorgehe – eine einheitliche Sachentscheidung. Im Vergleich zu sonstigen bestandskräftigen Verwaltungsakten erzeuge der bestandskräftige Widerspruchsbescheid erhöhten Vertrauensschutz. Darüber hinaus entfalte der bestandskräftige Widerspruchsbescheid wie grundsätzlich alle bestandskräftigen Verwaltungsakte sog. Tatbestandswirkung. Ihm komme mithin Bindungswirkung zu, deren inhaltliche Reichweite sich nach dem Inhalt der verbindlichen Regelung des Widerspruchsbescheides bemesse. Trotz des Umstands, dass die entscheidungstragenden Gründe des Widerspruchsbescheides als solche nicht an der Bestandskraft teilnähmen, müssten sie zur Auslegung herangezogen werden.

Bezogen auf den zu entscheidenden Fall stellt das Obergericht fest, dass unter Zugrundelegung dieser Grundsätze mit den stattgebenden Widerspruchsbescheiden aus dem Jahr 2002 zwischen den jeweiligen Beteiligten die bindende Feststellung getroffen sei, dass die für die klägerischen Grundstücke geltend gemachte Erschließungsbeitragsforderungen für die erstmalige endgültige Herstellung des R-Wegs als erschließungsbeitragsfähiger Anbaustraße verjährt und damit erloschen seien (landesrechtliche Norm – z.B. in Bayern: Art. 13 Abs. 1 Nr. 4b,bb,cc KAG i.V.m. §§ 169, 170 Abs. 1 AO).

Aus dieser bindenden Feststellung leitet das Obergericht ein Wiederholungsverbot bei unveränderter Sachlage ab.

 

Keine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage

Voraussetzung für eine Heranziehung der Kläger zu Vorausleistungen auf die Erschließungsbeiträge ist nach der Entscheidung eine entscheidungserhebliche Änderung der Sachlage nach Erlass der Widerspruchsbescheide im Jahr 2002. Das Gericht stellt jedoch klar, dass dies vorliegend nicht angenommen werden kann. Geändert habe sich nicht die Sachlage, sondern lediglich deren rechtliche Beurteilung. Dabei weist der Senat zunächst darauf hin, dass weder die nachträgliche Erweiterung der Straßenbeleuchtung noch die nach Erlass der in Rede stehenden Widerspruchsbescheide erfolgte Bildung eines Abrechnungsabschnitts zu einer entscheidungserheblichen Änderung der Sachlage geführt haben. Bei der Beurteilung sei auf die tatsächlichen Verhältnisse am R-Weg abzustellen. Entscheidend sei der Gesamteindruck. Die tatsächlichen Verhältnisse am R-Weg hätten sich seit dessen technischer Fertigstellung in den 1990er Jahren jedoch nicht mehr maßgeblich geändert. Etwas anderes folge auch nicht aus der nachträglichen Erweiterung der Straßenbeleuchtung und der Bildung eines Abrechnungsabschnitts. Die nachträgliche Bildung eines Abrechnungsabschnitts könne die vorangegangenen bestandskräftigen Widerspruchsentscheidungen über die Abrechnung der gesamten Erschließungsanlage schon im Ansatz nicht in Frage stellen. Außerdem gehe die Abschnittsbildung vorliegend auch ins Leere. Dies ergebe sich aus der Tatsache, dass die nach der Abschnittsbildung verbleibende Reststrecke des R-Wegs von einem privaten Erschließungsträger hergestellt und abgerechnet worden sei. Da die Reststrecke als eine in Fremdregie hergestellte selbständige Erschließungsanlage i.S.v. § 124 BauGB zu qualifizieren sei, verbleibe als maßgebliche Erschließungsanlage i.S.v. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB lediglich die von der Gemeinde selbst angelegte Teilstrecke.

Der Umstand, dass mit den neuen Bescheiden keine endgültigen Beiträge, sondern lediglich Vorausleistungen nach § 133 Abs. 3 BauGB erhoben werden, führt nach der Entscheidung des Obergerichts ebenfalls zu keiner relevanten Änderung der Sachlage. Dies folge aus der Natur der Vorausleistung als Leistung, welche vor Entstehen der sachlichen Beitragspflicht zur Verrechnung mit der endgültigen Beitragsschuld erbracht werde. Mit der bindenden Entscheidung, dass die endgültige Beitragsforderung erloschen sei, scheide zugleich auch ein Vorausleistungsverlangen aus.

 

Keine Überwindung der Bindungswirkung durch nachträgliche Änderung oder Aufhebung der Widerspruchsbescheide

Die Bindungswirkung der Widerspruchsbescheide aus dem Jahr 2002 kann nach der obergerichtlichen Entscheidung auch nicht durch deren nachträgliche Änderung oder Aufhebung überwunden werden. Bei der Beurteilung stellt der Senat zunächst klar, dass eine Aufhebung oder Änderung der Widerspruchsbescheide allenfalls über eine entsprechende Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 3b KAG i.V.m. §§ 130, 131 AO erfolgen könne. Dabei lässt das Gericht die Einordnung der Widerspruchsbescheide als rechtswidrig oder rechtmäßig offen und verweist darauf, dass weder die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 AO noch des § 131 Abs. 2 AO erfüllt seien. Insbesondere könne kein Widerruf nach § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO aufgrund nachträglich eingetretener Tatsachen erfolgen, da sich die Sachlage gerade nicht geändert habe.

 

Kein Entgegenstehen von § 127 Abs. 1 BauGB

Schließlich lässt sich nach der Entscheidung des Obergerichts eine Überwindung der Bindungswirkung auch nicht mit der in § 127 Abs. 1 BauGB verankerten Pflicht der Gemeinde, den Erschließungsbeitragsanspruch vollständig auszuschöpfen, begründen. Mit dem Eintritt der Bestandskraft der Widerspruchsbescheide sei das Beitragsschuldverhältnis zwischen den Klägern und der Beklagten beendet. Die dem Urteil zugrundeliegende Fallgestaltung sei auch nicht mit der – regelmäßig zulässigen – Nacherhebung bei ursprünglich zu niedriger Beitragsveranlagung zu vergleichen.

Zusammenfassend weist der Senat darauf hin, dass für die Beklagte die Möglichkeit einer Anfechtung der mittlerweile bestandskräftigen Widerspruchsbescheide bestanden hätte. Schöpfe die Beklagte diese rechtliche Möglichkeit nicht aus, müsse sie sich an der Bindungswirkung festhalten lassen.

 

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. Die vorgestellte Entscheidung wird in Ihren Matloch/Wiens mit der nächstfolgenden Ergänzungslieferung unter Rdnr. 1141 eingearbeitet werden. Weitere Erläuterungen zu Verfahrenfragen finden Sie unter Rdnrn. 1139 ff.

 


Unsere Tipps für die Praxis:

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