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01.06.2012

Beitragsfähigkeit erhöhter Grunderwerbskosten

Die Beitragsfähigkeit des gezahlten Kaufpreises wird einerseits durch das Merkmal der „Erforderlichkeit“ beschränkt, die Gemeinde hat andererseits einen weiten Entscheidungsspielraum.


Der Fall:

 

Der Aufwand für die Herstellung von Erschließungsanlagen i.S.v. § 127 Abs. 2 BauGB umfasst gemäß § 128 Abs. 1 Nr. 1 BauGB auch die Kosten des Grunderwerbs. Die Klägerinnen, drei ursprünglich selbstständige, nunmehr verschmolzene Gesellschaften, waren von der beklagten Gemeinde für mehrere Grundstücke zu Vorausleistungen auf den jeweiligen Erschließungsbeitrag (§ 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB) für die erstmalige Herstellung der ...-straße herangezogen worden. Ihre hiergegen erhobenen Klagen zum Verwaltungsgericht begründeten sie im Wesentlichen damit, dass die Gemeinde beim Erwerb des Grundes für die Erschließungsanlage zu großzügig gewesen sei – sie habe mehr als den Verkehrswert vereinbart; der Grundsatz der „Erforderlichkeit“ sei verletzt. Das Gericht wies die Klagen aber als unbegründet ab und führte unter anderem aus, die dem Grunde nach rechtmäßigen Vorausleistungen seien auch in der Höhe nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe den Kaufpreis für den Straßengrund von 353,--DM (entspricht 180,49 €) je Quadratmeter, den sie aufgrund des Kaufvertrags vom 29. Mai 1996 entrichtet habe, in vollem Umfang als beitragsfähigen Erschließungsaufwand im Sinn von § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB ansetzen dürfen. Über den daraufhin von den unterlegenen Klägerinnen gestellten Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil hatte das Obergericht zu entscheiden.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

Die Beitragsfähigkeit des gezahlten Kaufpreises wird einerseits durch das Merkmal der „Erforderlichkeit“ beschränkt, die Gemeinde hat andererseits einen weiten Entscheidungsspielraum:

„Nach ständiger Rechtsprechung sind die zum Erschließungsaufwand zählenden Kosten für den Erwerb der Flächen für eine Erschließungsanlage (§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB) regelmäßig in der Höhe beitragsfähig (§ 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB), in der sie bei der Gemeinde angefallen sind. In entsprechender Anwendung des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist die Beitragsfähigkeit des gezahlten Kaufpreises allerdings durch das Merkmal der „Erforderlichkeit“ beschränkt. Dabei ist der Gemeinde ein weiter Entscheidungsspielraum zuzubilligen, wie er ihr in unmittelbarer Anwendung des § 129 Abs. 1 Satz 1 BauGB bei der Beurteilung der Frage zusteht, ob eine Straße überhaupt und ob sie nach Art und Umfang erforderlich ist. Deswegen ist die Gemeinde auch nicht auf die Zahlung eines Kaufpreises festgelegt, der dem Verkehrswert des Straßenlandes entspricht. Beschleunigung des Grunderwerbs, Vermeidung von erfahrungsgemäß langwierigen Enteignungsverfahren oder andere sachliche ähnliche Gründe können ein Überschreiten des Verkehrswertes – unter Umständen auch ein beträchtliches Überschreiten – rechtfertigen. Freilich müssen die Rechtfertigungsgründe umso gewichtiger sein, je beträchtlicher die Überschreitung des Verkehrswertes ist. Dementsprechend wird durch den maßgebenden Begriff der „Erforderlichkeit“ lediglich eine äußerste Grenze markiert, die die Gemeinde nicht überschreiten darf.“

 

Überschritten wird die Grenze der „Erforderlichkeit“, wenn der Kaufpreis in für die Gemeinde erkennbarer Weise eine grob unangemessene Höhe erreicht. Sie kann sich an der Bodenwertermittlung durch den Gutachterausschuss orientieren:

„Für eine solche Unangemessenheit des Kaufpreises, den die Klägerin zu 1 und die Beklagte im Kaufvertrag vom 29. Mai 1996 vereinbart hatten, ist nichts ersichtlich. Die Klägerinnen zeigen auch bei einer Gesamtschau ihres Vorbringens keine greifbaren Anhaltspunkte in diese Richtung auf, denen in einem Berufungsverfahren weiter nachgegangen werden müsste.

Gegen eine grobe Unangemessenheit sprechen schon die von der Beklagten im Verlauf der langjährigen Kaufverhandlungen eingeholten Wertgutachten des Gutachterausschusses. Dieser hat in seiner ersten Stellungnahme vom 13. Oktober 1987 für die Straßenfläche einen Bodenwert von 140 DM (71,58 €) pro Quadratmeter ermittelt, der in mehreren Fortschreibungen dann zuletzt für 1993 auf 300 DM (153,39 €) aktualisiert und schließlich im Zusammenhang mit den abschließenden Kaufverhandlungen 1995 von einem Mitarbeiter aktuell mit 320 bis 330 DM (163,61 bis 168,73 €) beziffert wurde. Der Gutachterausschuss hat dabei jeweils zugrunde gelegt, dass die betroffenen Flächen in dem nach wie vor rechtsgültigen Baulinienplan aus dem Jahr 1890 als Straßenflächen ausgewiesen würden und für die dortigen Grundstücke höchstwahrscheinlich 1890 eine gewisse Bauerwartung, aber noch keine Baureife eingetreten sei; angesichts des festgeschriebenen „Entwicklungsstands“ des Grundstücks sei ein Bodenwert in Höhe von 30% des Baulandwertes für dreigeschossige unbebaute Wohnbaugrundstücke in dieser Lage angemessen.

Mit ihren Einwänden zielen die Klägerinnen der Sache nach darauf ab, dass die Prämissen des Gutachterausschusses falsch oder zumindest fraglich seien und als angemessener Kaufpreis lediglich ein gegen 0 tendierender Wert für bloßes faktisches wie rechtliches Straßenland angesetzt werden dürfe. Damit verfehlen sie im Wesentlichen den oben dargelegten beitragsrechtlichen Maßstab.“

 

Ob der Gutachterausschuss den Verkehrswert „richtig“ ermittelt hat, ist nicht entscheidend:

„Die Beklagte durfte sich jedenfalls von ähnlichen Überlegungen leiten lassen, wie sie der Gutachterausschuss seiner Bodenwertermittlung zugrunde gelegt hat und wie sie im Übrigen das Verwaltungsgericht in Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Stadtplanungsamtes vom 17. November 1989 und des Finanzbauamtes vom 5. Februar 1994 im Nachhinein als richtig bestätigt hat. Diese Erwägungen zur Wertbestimmung mit (lediglich) 30 % des Baulandwertes sind jedenfalls plausibel und nachvollziehbar. Es drängt sich keineswegs auf, dass die betroffenen Flächen wegen des Baulinienplans aus dem Jahr 1890 und der jahrzehntelangen Überbauung mit einer Privatstraße im Zeitpunkt des Kaufs rechtlich zwingend nur als Straße hätten genutzt werden dürfen und deshalb nahezu wertlos gewesen wären. Vor diesem Hintergrund fehlt ein greifbarer Anhalt dafür, dass der mit 353,--DM (entspricht 180,49 €) je Quadratmeter nur geringfügig über dem vom Gutachterausschuss zuletzt genannten Wert liegende Kaupreis in einer für die Beklagte erkennbaren Weise „grob“ unangemessen war. Vielmehr spricht alles dafür, dass die Beklagte seinerzeit davon ausgegangen ist und auch ausgehen durfte, dass der vereinbarte, deutlich unter dem Preis für Baugrundstücke liegende Quadratmeterpreis für das abzutretende Straßenland angemessen sei.“

 

Die Beschleunigung des Grunderwerbs und die Vermeidung langwieriger Enteignungsverfahren rechtfertigen selbst ein spürbares Überschreiten des Verkehrswertes:

„Der Beklagten stünden im Übrigen erhebliche sachliche Gründe zur Seite, die ein selbst erhebliches Überschreiten des Verkehrswertes rechtfertigen würden. Die abzurechnende Straße ist, wie das Verwaltungsgericht hervorgehoben hat ..., von herausgehobener städtebaulicher Bedeutung. Für die Beklagte bestand also ein erhebliches Interesse daran, die damals im Eigentum der Klägerin zu 1 stehende Privatstraße als öffentliche Straße zu übernehmen und den Straßengrund zu erwerben. Da die Klägerin zu 1 nach jahrelangen Verhandlungen indes nur zu einem Verkauf gegen den schließlich vereinbarten Kaufpreis bereit war, lagen besondere Umstände vor, die zur Beschleunigung des Grunderwerbs und zur Vermeidung von erfahrungsgemäß langwierigen Enteignungsverfahren auch ein spürbares Überschreiten des Verkehrswertes zugelassen hätten.“

 

Hinweise:

 

In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Kommentierung zum entgeltlichen Grunderwerb sowie zu Nebenkosten bei den Rdnrn. 101 - 122.; zum oben dargestellten Rechtsproblem bei Rdnr. 107.

 

 


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