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13.07.2015

Anwendbarkeit der Tiefenbegrenzung: Erneute obergerichtliche Entscheidung

Die Entscheidung des BayVGH ist für die gemeindliche Praxis von besonderer Bedeutung, weil sie mit der Übernahme der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung zur Problematik der Tiefenbegrenzung zumindest für den bayerischen Anwendungsbereich Rechtsklarheit schafft.

Der Grundsatz:

Gemäß § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist der beitragsfähige Erschließungsaufwand auf die erschlossenen Grundstücke zu verteilen. Zur Bemessung des Beitrags ist hinsichtlich der einzubeziehenden Grundstücksfläche der grundbuchrechtliche Grundstücksbegriff anzuwenden. Nur ausnahmsweise wird von diesem Grundsatz abgewichen, nämlich dann, wenn sich die Erschließungswirkung der Straße erkennbar nur auf eine Teilfläche des Grundstücks erstreckt. Das ist Stand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte.

Sowohl bei beplanten als auch bei unbeplanten Grundstücken kann dieser Ausnahmefall vorliegen. Für unbeplante Grundstücke sehen die meisten Erschließungsbeitragssatzungen eine sog. Tiefenbegrenzung vor, die in den Mustersatzungen häufig mit 50 m bemessen werden. Die Anwendung einer solchen Tiefenbegrenzungsregelung führt dazu, dass sog. übertiefe Grundstücke – von Ausnahmefällen abgesehen – nur bis zu einer Grundstückstiefe von 50 m in die Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands einzubeziehen sind.

 

Der Fall:

Im vorliegenden Streitfall bestand in der beitragserhebenden Gemeinde eine solche Regelung. In § 6 Abs. 3 Nr. 2 der Erschließungsbeitragssatzung findet sich die folgende Bestimmung:

„(3) als Grundstücksfläche gilt:

1. …

2. wenn ein Bebauungsplan nicht besteht oder die erforderlichen Festsetzungen nicht enthält, die tatsächliche Grundstücksfläche bis zu einer Tiefe von 50 m, gemessen von der der Erschließungsanlage zugewandten Grenze des beitragspflichtigen Grundstücks. Reicht die bauliche oder gewerbliche Nutzung über diese Begrenzung hinaus, so ist die Grundstückstiefe maßgebend, die durch die hintere Grenze der Nutzung bestimmt wird. Grundstücksteile, die lediglich die wegemäßige Verbindung zur Erschließungsanlage herstellen, bleiben bei der Bestimmung der Grundstückstiefe unberücksichtigt.“

Ein zum Beitrag herangezogener Grundstückseigentümer wandte sich mit einer Reihe von Argumenten gegen die Beitragserhebung. Unter anderem trug er vor, der Beitragsbescheid sei bereits dem Grunde nach rechtswidrig, weil die Satzung insoweit nichtig sei, als sie gemäß § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS eine Tiefenbegrenzung vorsehe. Diesem Argument folgte das erstinstanzlich angerufene Verwaltungsgericht: Die in § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS festgesetzte Tiefenbegrenzung im unbeplanten Innenbereich jedenfalls für den zentralen Innenbereich unwirksam. Dies habe aber keinen Einfluss auf die Gültigkeit der weiteren Bestimmungen in der Verteilungsregelung. Die Berufung wurde zugelassen.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

  1. Die Tiefenbegrenzung findet auch im sog. zentralen Innenbereich Anwendung:

„Die in § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS geregelte Tiefenbegrenzung auf 50 m ist zwar unwirksam. Dieser Mangel wirkt sich jedoch, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat, auf die Wirksamkeit der Satzung im Übrigen nicht aus. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist die Anordnung einer Tiefenbegrenzung für unbeplante Gebiete durch Satzung zulässig. Sie begründet dann, sofern sie sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientiert, eine Vermutung dafür, dass im unbeplanten Innenbereich alle Grundstücke bis zur festgesetzten Tiefengrenze erschlossen im Sinn von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB sind und jenseits der Grenze ein Erschließungsvorteil wegen fehlender Ausnutzbarkeit nicht gegeben ist. Der Anwendungsbereich einer satzungsrechtlichen Tiefenbegrenzung ist nach der – umstrittenen – Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht darauf beschränkt, den Innen- vom Außenbereich abzugrenzen; er darf sich auch auf übertiefe Grundstücke erstrecken, die sich mit ihrer gesamten Fläche in „zentraler“ Innenbereichslage befinden (BVerwG, … a.A. Driehaus, ...).“

  1. Die Tiefenbegrenzung muss die typischen örtlichen Verhältnisse widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren

„Unabhängig von der Frage ihres Anwendungsbereichs muss eine satzungsrechtliche Tiefenbegrenzung zur Einhaltung des Vorteilsprinzips und zur Beachtung des Gleichbehandlungsgrundsatzes an Kriterien für eine möglichst realitätsnahe Abgrenzung der bevorteilten von den nicht mehr bevorteilten Flächen ausgerichtet werden und auf einer sorgfältigen Ermittlung der örtlichen Bebauungsverhältnisse durch den Satzungsgeber beruhen. Dieser muss prüfen, ob er eine für alle Grundstücke im Gemeindegebiet gleichermaßen geltende Tiefenbegrenzung festlegen kann (BVerwG, …). Die gewählte Tiefenbegrenzung muss die typischen örtlichen Verhältnisse tatsächlich widerspiegeln und sich an der ortsüblichen baulichen Nutzung orientieren (BVerwG, …). Diesen Anforderungen genügt die in § 6 Abs. 3 Nr. 2 EBS angeordnete Beschränkung der Erschließungswirkung auf die Grundstücksfläche bis zu einer Tiefe von 50 m nicht. Wie die mündliche Verhandlung ergeben hat, fehlt es an den erforderlichen Ermittlungen. Seitens der Beklagten sind keinerlei Feststellungen zu den typischen örtlichen Bebauungsverhältnissen im Stadtgebiet getroffen worden, welche die Festlegung einer solchen, für alle Grundstücke gleichermaßen geltenden Tiefenbegrenzung rechtfertigen können. Die satzungsmäßige Tiefenbegrenzung ist daher unwirksam.“

  1. Die Unwirksamkeit der Tiefenbegrenzungsregelung berührt die Gültigkeit der übrigen Verteilungsregelung  oder der Satzung insgesamt nicht.

„Das führt aber nicht zu einem Mangel des Verteilungsmaßstabs. Denn eine Tiefenbegrenzung ist kein Bestandteil des Verteilungsmaßstabs. Sie verhält sich ausschließlich dazu, in welchem Umfang ein der Beitragspflicht unterliegendes Grundstück im Sinn des § 131 Abs. 1 BauGB erschlossen ist, bezieht sich also ausschließlich auf diese Vorschrift und nicht auf die ihr nachfolgende Regelung in § 131 Abs. 2 und 3 BauGB. Sie steht auch – unabhängig davon, an welcher Stelle sie in der Beitragssatzung geregelt ist – in keinem so engen rechtlichen Zusammenhang mit der Verteilungsregelung, dass ihre Ungültigkeit die Gültigkeit der Verteilungsregelung und damit der Satzung insgesamt berühren könnte (BVerwG, …). Ohne eine wirksame Tiefenbegrenzung kann und muss der räumliche Umfang des Erschlossenseins bei übermäßig tiefen Grundstücken im Einzelfall unmittelbar aufgrund des Gesetzes bestimmt werden.“

 

Unsere Hinweise:

Die Entscheidung ist umfangreicher als wir sie hier vorstellen. Wir beschränken uns an dieser Stelle auf die Problematik der Tiefenbegrenzung. Die Daten der Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zur Tiefenbegrenzung bei Rdnrn. 808a – 815. Dort finden Sie auch die neueste Rechtsprechung des BVerwG, auf die sich der BayVGH bezieht.


Unsere Tipps für die Praxis:

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