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21.07.2016

Anlage: Kann eine nur einseitig anbaubare Teilstrecke eine Anlage aufspalten?

Eine nur einseitig anbaubare Teilstecke kann eine bei natürlicher Betrachtungsweise einheitliche Anlage nicht in mehrere Erschließungsanlagen aufspalten

Verjährung: Wann entstehen die sachlichen Beitragspflichten, wenn eine Gemeinde eine noch nicht endgültig hergestellte Anlage übernimmt?

 

Die Grundsätze:

Erschließungsanlagen sind vor allem die öffentlichen zum Anbau bestimmten Straßen, Wege und Plätze (§ 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, Art. 5a Abs. 2 Nr. 1 KAG BY). In der Rechtsprechung ist geklärt, dass der streckenweise Verlauf einer Straße im beidseits nicht bebaubaren Bereich – beidseitig Außenbereich oder aufgrund von Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht bebaubarer Bereich – der Anbaubestimmung entgegenstehen kann: Geht eine zum Anbau bestimmte Teilstrecke einer bei natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Anlage in eine beidseitig nicht zum Anbau bestimmte Teilstrecke über, verliert diese Straße von da an ihre Qualität als beitragsfähige Anbaustraße, wenn die beidseitig nicht zum Anbau bestimmte Teilstrecke – erstens – den Eindruck einer gewissen erschließungsrechtlichen Selbständigkeit vermittelt und – zweitens – im Verhältnis zu der Verkehrsanlage insgesamt nicht von lediglich untergeordneter Bedeutung ist (BVerwG v. 06.12.1996 – 8 C 32.95). Wird eine einheitliche Straße durch eine solche nicht beitragsfähige Teilstrecke unterbrochen, führt dies dazu, dass vor und nach der nicht zum Anbau bestimmten Teilstrecke jeweils selbständige Erschließungsanlagen vorliegen. Nicht entschieden hat das Bundesverwaltungsgericht hingegen, ob und inwieweit seine Rechtsprechung auch dann entsprechend Anwendung finden soll, wenn die Anbaubarkeit der Teilstrecke nicht beidseitig, sondern nur an einer Straßenseite fehlt.

Gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB umfasst der Erschließungsaufwand u.a. auch die Kosten für die Übernahme von Anlagen als gemeindliche Erschließungsanlagen. Die sachlichen Beitragspflichten entstehen im Fall des § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB mit der Übernahme durch die Gemeinde (§ 133 Abs. 2 Satz 2 BauGB), ansonsten gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BauGB grundsätzlich mit der endgültigen Herstellung der Anlage. Was gilt nun hinsichtlich des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten (und in der Folge für den Beginn der Festsetzungsverjährung), wenn die Gemeinde eine Anlage übernommen hat, die noch nicht endgültig hergestellt war, die endgültige Herstellung vielmehr erst einige Zeit nach der Übernahme erfolgte?

 

Der Fall:

Die Gemeinde hatte die S-Straße im Jahr 1990 als gemeindliche Erschließungsanlage gegen Entgelt übernommen. Zu diesem Zeitpunkt wies die S-Straße noch nicht sämtliche Merkmale der endgültigen Herstellung auf. Die endgültige Herstellung erfolgte vielmehr erst durch spätere Baumaßnahmen, hinsichtlich der die letzte Unternehmerrechnung im Jahr 2011 einging. Im Jahr 2013 erließ die Gemeinde Erschließungsbeitragsbescheide. Beim Aufwand berücksichtigte sie sowohl die Kosten der Übernahme als auch die Kosten der späteren Baumaßnahmen. Ferner ging sie davon aus, dass die S-Straße in zwei Anlagen zerfällt, weil eine Teilstrecke beidseitig anbaubar war, hingegen die andere Teilstrecke nur einseitig eine Erschließungsfunktion besaß. Der Kläger wandte u.a. ein, die Beitragsforderung sei hinsichtlich der Kosten der Übernahme festsetzungsverjährt.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Das OVG hat entschieden, dass die S-Straße nicht in zwei selbstständige Anlagen zerfällt und dass hinsichtlich der Kosten der Übernahme Festsetzungsverjährung eingetreten ist:

Eine nur einseitig anbaubare Teilstecke kann eine bei natürlicher Betrachtungsweise einheitliche Anlage nicht in mehrere Erschließungsanlagen aufspalten:

„Zwar kann (…) eine Ausnahme von der natürlichen Betrachtungsweise aus spezifisch beitragsrechtlichen Gründen geboten sein und zur rechtlichen Aufspaltung einer bei natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Straße führen, wenn eine Innerortsstraße – beidseitig – in den Außenbereich einmündet. (…) Befindet sich hingegen die maßgebende Anlage bzw. Einrichtung in einem oder mehreren Bebauungsplangebieten und hat sie in ihrem Verlauf zunächst für die auf beiden Straßenseiten in beplanten Gebieten befindlichen Grundstücke und ab einer bestimmten Stelle nur noch für die auf der einen Straßenseite in beplanten Gebieten befindlichen Grundstücke eine Erschließungsfunktion (…), so besteht für die genannte Ausnahme aus beitragsspezifischen Gründen kein Bedürfnis. Denn die Straße vermittelt in diesem Fall weiterhin den Grundstücken auf einer Straßenseite erschließungsbeitragsrechtlich relevante Vorteile. (…) Auch der Umstand, dass die Straße teils beidseitig und teils nur einseitig Erschließungsfunktion hat, rechtfertigt nicht das Zerfallen der bei natürlicher Betrachtung einheitlichen Anlage/Einrichtung in zwei Anlagen/Einrichtungen.“

Mit dieser Entscheidung folgt das OVG im Ergebnis anderen obergerichtlichen Entscheidungen und widerspricht einer in der Literatur vertretenen Auffassung, wonach die nur auf einer Seite fehlende Anbaufähigkeit in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu beidseits nicht anbaubaren Teilstrecken zu einer Zerlegung der einheitlichen Straße in mehrere Erschließungsanlagen führen kann.

Hinsichtlich der Kosten der Übernahme als gemeindliche Erschließungsanlage waren die sachlichen Beitragspflichten bereits mit der Übernahme entstanden und war deshalb bei Bescheidserlass bereits Festsetzungsverjährung eingetreten:

„(…) Im Fall einer nach § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB erfolgenden Übernahme einer Anlage als gemeindliche Erschließungsanlage [entsteht] die Beitragspflicht gemäß § 133 Abs. 2 Satz 2 BauGB bereits mit einer solchen Übernahme durch die Gemeinde. Dies ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut dieser Vorschrift. Übernimmt eine Gemeinde eine noch nicht endgültig hergestellte Anlage, so gehören sowohl die Übernahmekosten gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB als auch die weiteren zur endgültigen Herstellung notwendigen Kosten gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 BauGB zum Erschließungsaufwand (…). § 133 Abs. 2 BauGB sieht insoweit unterschiedliche Zeitpunkte für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten vor: Hinsichtlich der Kosten für die Übernahme im Sinne des § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB entstehen die sachlichen Beitragspflichten gemäß § 133 Abs. 2 Satz 2 BauGB bereits mit der Übernahme durch die Gemeinde als gemeindliche Erschließungsanlage. Im Übrigen entstehen sie gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BauGB erst mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage bzw. nach § 133 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 BauGB für Teilbeträge, sobald die Maßnahmen, deren Aufwand durch die Teilbeträge gedeckt werden soll, abgeschlossen sind. Wird eine noch nicht endgültig hergestellte Anlage übernommen, handelt es sich bei den nach § 133 Abs. 2 Satz 2 BauGB entstehenden Beitragspflichten nach allgemeiner Auffassung um Teilbeitragspflichten (…) Der Regelung des § 127 Abs. 3 BauGB ist nicht zu entnehmen, dass es für die gesonderte Abrechnung der Übernahmekosten (auch einer noch nicht endgültig hergestellten Anlage) eines Kostenspaltungsbeschlusses bedarf. Nach § 127 Abs. 3 BauGB kann der Erschließungsbeitrag für den Grunderwerb, die Freilegung und für Teile der Erschließungsanlagen selbständig erhoben werden (Kostenspaltung). Von Übernahmekosten ist darin nicht die Rede. §§ 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 133 Abs. 2 Satz 2 BauGB ermöglichen insoweit eine gesonderte Abrechnung kraft Gesetzes.

Danach geht der Kläger Recht in der Annahme, dass die sachliche (Teil-) Beitragspflicht hinsichtlich der Übernahmekosten bereits im Jahr 1990 entstand und bei Erlass des Bescheids (…) 2013 die Festsetzungsverjährungsfrist (…) bereits abgelaufen war.“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie Erläuterungen zu diesen Themen in Rdnrn. 21 f. und 220 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

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