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17.12.2015

Abweichung vom Bebauungsplan: Zuständigkeit des Bürgermeisters?

Im Verlauf traf der erste Bürgermeister der Gemeinde eine sog. Planabweichungsentscheidung, mit der er die vom Bebauungsplan abweichende Herstellung legitimieren wollt.

Der Grundsatz:

Nach § 125 Abs. 1 BauGB setzt die Herstellung der Erschließungsanlagen einen Bebauungsplan voraus. Weicht die Gemeinde von den Festsetzungen des Bebauungsplans ab, so bleibt die Rechtmäßigkeit der Herstellung unter bestimmten Voraussetzungen unberührt; die Voraussetzungen sind in § 125 Abs. 3 BauGB normiert.

 

Der Fall:

 

Die Gemeinde stellte eine Straße in Abweichung von ihrer Planung her und erhob in der Folge Erschließungsbeiträge. Es kam wegen diverser Einwendungen eines Beitragspflichtigen zum Verwaltungsrechtsstreit. In dessen Verlauf traf der erste Bürgermeister der Gemeinde eine sog. Planabweichungsentscheidung, mit der er die vom Bebauungsplan abweichende Herstellung legitimieren wollte. Durfte er das oder hätte die Entscheidung im Gemeinderat fallen müssen? Lesen Sie hierzu die Entscheidung des Berufungsgerichts.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Voraussetzung der bebauungsplanersetzenden Abwägungsentscheidung ist die Beachtung des in § 1 Abs. 7 BauGB normierten Gebots, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen:

 

„Der angefochtene Erschließungsbeitragsbescheid ist … rechtswidrig, weil die abzurechnende Blütenstraße – bislang – nicht in der nach § 125 BauGB erforderlichen Weise rechtmäßig hergestellt worden ist.

Die Rechtmäßigkeit der Herstellung kann … nicht auf die im Verlauf des Berufungsverfahrens nachgeholte Abwägungsentscheidung und deren Behandlung im Bauausschuss des Stadtrates gestützt werden. Diese genügt nicht den Anforderungen des § 125 Abs. 2 BauGB. Nach § 125 Abs. 2 BauGB dürfen Erschließungsanlagen im Sinn des § 127 Abs. 2 BauGB nur hergestellt werden, wenn sie den in § 1 Abs. 4 bis 7 BauGB bezeichneten Anforderungen entsprechen, sofern – wie hier – ein Bebauungsplan nicht vorliegt und eine nach altem Recht erteilte Zustimmung die hergestellte Erschließungsanlage nicht abdeckt. Die wichtigste materiell-rechtliche Bindung, in deren Rahmen sich jede Gemeinde bei der bebauungsplanersetzenden Planung einer Erschließungsanlage nach § 125 Abs. 2 BauGB halten muss, ist das in § 1 Abs. 7 BauGB normierte Gebot, alle von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Dieses Gebot bezieht sich sowohl auf das Abwägen als Vorgang, insbesondere also darauf, dass überhaupt eine Abwägung stattfindet und dass bei dieser Abwägung bestimmte Interessen in Rechnung gestellt werden, als auch auf das Abwägungsergebnis, also auf das, was bei dem Abwägungsvorgang „heraus kommt“. § 125 Abs. 2 BauGB erfordert also zunächst einmal einen der Gemeinde vorbehaltenen Abwägungsvorgang (…). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats muss eine Abwägung durch das zuständige Organ einer Gemeinde erfolgen (...). Ein Abwägen als Vorgang setzt ein positives Handeln voraus, das als solches auch dokumentiert sein muss. Wegen der bebauungsplanersetzenden Wirkung des § 125 Abs. 2 BauGB kann auf einen positiven Planungsakt nicht verzichtet werden (…).“

 

Die Zuständigkeit für planerische Entscheidungen ergibt sich aus der Gemeindeordnung und der Geschäftsordnung des Gemeinderats:

 

„Welches Organ der Gemeinde für eine Abwägungsentscheidung nach § 125 Abs. 2 BauGB zuständig ist, ergibt sich nicht aus dem Baugesetzbuch, sondern aus den kommunalrechtlichen Vorschriften. Die Gemeinde wird gemäß Art. 29 GO durch den Gemeinderat verwaltet, soweit nicht der erste Bürgermeister selbstständig entscheidet (Art. 37 GO). Der erste Bürgermeister erledigt in eigener Zuständigkeit nach Art. 37 Abs. 1 Nr. 1 GO insbesondere die laufenden Angelegenheiten, die für die Gemeinde keine grundsätzliche Bedeutung haben und keine erheblichen Verpflichtungen erwarten lassen. Bei der gemäß § 125 Abs. 2 BauGB vorzunehmenden Abwägung handelt es sich nicht um ein Geschäft der laufenden Verwaltung in diesem Sinn. Durch die Bezugnahme des § 125 Abs. 2 BauGB auf das in § 1 Abs. 7 BauGB enthaltene Abwägungsgebot kommt der Gemeinde bei einer Abwägungsentscheidung bezogen auf die Errichtung von Erschließungsanlagen dieselbe planerische Gestaltungsfreiheit zu wie bei der Aufstellung von Bebauungsplänen. Dies schließt es aus, die Abwägungsentscheidung nach § 125 Abs. 2 BauGB, die an die Stelle des Erlasses eines Bebauungsplans tritt, als Geschäft der laufenden Verwaltung anzusehen (…). Deshalb fällt die Abwägungsentscheidung in die Zuständigkeit des Gemeinderates (Art. 30 GO). Dieser kann die Entscheidung entweder nach Art. 32 Abs. 2 Satz 1 GO auf einen beschließenden Ausschuss oder nach Maßgabe von Art. 37 Abs. 2 GO dem ersten Bürgermeister zur selbstständigen Erledigung übertragen. Abwägungsentscheidungen nach § 125 Abs. 2 BauGB zählen nicht zu den Angelegenheiten, deren Übertragung Art. 32 Abs. 2 Satz 2 und Art. 37 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 GO verbieten.

Gemessen an diesen Anforderungen fehlt es an einer Abwägungsentscheidung durch das dafür zuständige Gemeindeorgan. Nach der Geschäftsordnung für den Stadtrat der Beklagten vom 29. Juli 2014 sind bebauungsplanersetzende Abwägungsentscheidungen nach § 125 Abs. 2 BauGB sinngemäß dem Bauausschuss (…), unter bestimmten Voraussetzungen auch dem Umwelt- und Stadtplanungsausschuss (…) übertragen, nicht aber dem ersten Bürgermeister (…).“

 

 

Unsere Hinweise:

Die Entscheidung ist umfangreicher als wir sie hier vorstellen. Wir beschränken uns aber an dieser Stelle auf die Problematik der Rechtmäßigkeit der Herstellung. Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zur Rechtmäßigkeit der Herstellung bei Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans bei Rdnrn. 67 ff., zur Bestimmung des zuständigen Gemeindeorgans s. Rdnr. 90.


Unsere Tipps für die Praxis:

Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.

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