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06.09.2016

Abgrenzung der Anlage: Bebauungsplan, „zeitliche Dimension“ und Erschließungsvertrag

Hier wird z.B. die Frage geklärt, wie sich die Ausdehnung einer Erschließungsanlage und deren Abgrenzung zu anderen Anlagen bestimmen lassen.

Der Grundsatz:

Der beitragsfähige Erschließungsaufwand kann für die einzelne Erschließungsanlage oder für bestimmte Abschnitte einer Erschließungsanlage ermittelt werden (§ 130 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Dabei stellen sich u.a. die Fragen, wie sich die Ausdehnung einer Erschließungsanlage und deren Abgrenzung zu anderen Anlagen bestimmen lassen.

 

Der Fall:

Nach den ursprünglichen, bereits im Jahr 1978 begonnen Planungen der Gemeinde sollte das Gebiet der späteren Bebauungspläne Nr. 6A und 6B mit der in nordwestlicher Richtung verlaufenden Straße „Z.“ einheitlich überplant werden. Wegen Schwierigkeiten beim Grunderwerb im westlichen Teilgebiet entschloss sich die Gemeinde etwa ab dem Jahr 2001, die Planung auf die beiden Bebauungspläne Nr. 6A und den westlich anschließenden Plan Nr. 6B aufzuteilen. Im Oktober 2006 wurde der Bebauungsplan Nr. 6A als Satzung beschlossen. In der Planzeichnung endet die für die Straße „Z." vorgesehene Verkehrsfläche an der Plangebietsgrenze zum Bebauungsplan Nr. 6B und zwar mit einem Wendehammer. Im Dezember 2007 verfügte der Bürgermeister der Gemeinde die Abschnittsbildung für die Herstellung der Erschließungsstraße „Z." in Bezug auf den Bereich des Bebauungsplans Nr. 6A. Die Baumaßnahmen zur Herstellung dieser Straße wurden in der Zeit von 2007 bis 2010 durchgeführt. Nach dem fortbestehenden Planungswillen der Gemeinde sollte der Wendehammer bei späterer Realisierung des Bebauungsplanes Nr. 6B wegfallen und die Straße „Z." in westlicher Richtung fortgeführt werden. Für das Plangebiet Nr. 6B schloss die Gemeinde nach 2012 einen Erschließungsvertrag.

 

 

Die höchstrichterliche Entscheidung:

 

Die Ausdehnung der Anlage bestimmt sich nicht aus dem Inhalt des Bebauungsplans, sondern nach der sog. natürlichen Betrachtungsweise.

Das Oberverwaltungsgericht als Vorinstanz bestimmte die maßgebliche Erschließungsanlage unter Heranziehung des § 125 Abs. 1 BauGB aus dem Inhalt der aneinander anschließenden Bebauungspläne Nr. 6A und 6B und nahm deshalb an, beitragsfähige Erschließungsanlage sei die durch beide Plangebiete durchlaufende Erschließungsstraße ungeachtet der provisorischen Herstellung eines Wendehammers an der Grenze zwischen den Plangebieten. Dem ist das Bundesverwaltungsgericht entgegengetreten:

 

„Die Ausdehnung einer beitragsfähigen Erschließungsanlage ist nicht nach Maßgabe des Erschließungs– oder des Planungsrechts, sondern unter Anwendung des Erschließungsbeitragsrechts zu bestimmen. Erschließungsanlage im Sinne der beitragsrechtlichen Vorschriften in §§ 127 ff. BauGB ist unabhängig vom Inhalt eines Bebauungsplans lediglich die Anlage in ihrem tatsächlich hergestellten Umfang (BVerwG, Urteile vom 25. Februar 1994 – 8 C 14.92 – (…) und vom 12. Mai 2016 – 9 C 11.15 – (…)).

 

Für die Beurteilung der Frage, wo eine selbstständige Erschließungsanlage beginnt und endet, ist das durch die tatsächlichen Gegebenheiten geprägte Erscheinungsbild maßgebend. Abzustellen ist auf die tatsächlich sichtbaren Verhältnisse, wie sie zum Beispiel durch Straßenführung, Straßenbreite, Straßenlänge und Straßenausstattung geprägt werden und wie sie sich im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise darstellen (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Juni 2009 – 9 C 2.08 – (…)). Erforderlich ist eine Würdigung aller dafür relevanten Umstände. Die natürliche Betrachtungsweise ist nicht aus einer Vogelperspektive anzustellen; vielmehr ist grundsätzlich der Blickwinkel eines Betrachters am Boden einzunehmen. Wegen der damit unter Umständen verbundenen Einengung des Horizonts kann gegebenenfalls ergänzend auch der sich aus Plänen oder Luftbildaufnahmen ergebende Straßenverlauf mit in die Betrachtung einzubeziehen sein (BVerwG, Urteil vom 10. Juni 2009 – 9 C 2.08 – (…)).“

 

„Zeitliche Dimension“ der Anlagenabgrenzung

Anschließend wendet sich das Bundesverwaltungsgericht der Frage zu, inwiefern es sich auf die Abgrenzung der Anlage auswirken kann, dass die Gemeinde in Abänderung der ursprünglichen Planung die Straße „Z.“ zunächst nur im Plangebiet des Bebauungsplans Nr. 6A bis zur Plangebietsgrenze zum Bebauungsplan Nr. 6B realisiert hat:

 

„Die Frage nach dem durch die tatsächlichen Gegebenheiten geprägten Erscheinungsbild hat darüber hinaus eine zeitliche Dimension (BVerwG, Urteil vom 22. November 2016 – 9 C 25.15 – (…)). Auch eine Straße, die sich bei natürlicher Betrachtung als Abschnitt einer weitergehenden Erschließungsanlage darstellt, kann durch Zeitablauf in die Eigenschaft einer selbstständigen Erschließungsanlage hineinwachsen; eine ursprüngliche Abschnittsbildung hat sich dann überholt. Nach dem schon erwähnten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Februar 1994 – 8 C 14.92 – (…)) kann der Umstand, dass eine Anlage lange Zeit – im konkreten Fall über 15 Jahre – nicht weitergebaut wird, zu dem Schluss zwingen, dass die seinerzeitigen Ausbauarbeiten endgültig beendet worden sind mit der Folge, dass eine etwaige spätere Verlängerung nur als eine neue, selbstständige Erschließungsanlage in Betracht kommt (vgl. auch BVerwG, Urteile vom 12. Mai 2016 – 9 C 11.15 – (…) und vom 22. November 2016 – 9 C 25.15 – (…)). Das kann auch dann gelten, wenn in dem für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Zeitpunkt zwar seit dem (vorläufigen) Ende der Bauarbeiten noch kein langer Zeitraum verstrichen, aber sicher absehbar ist, dass ein Weiterbau, falls überhaupt, erst nach langer Zeit erfolgen wird.

 

Danach ist hier in die Beurteilung ergänzend einzubeziehen, dass einerseits die beiden Bebauungspläne Nr. 6A und 6B im selben Jahr (2006) beschlossen worden sind, was ein Indiz für die Herstellung einer beide Plangebiete durchquerenden einheitlichen Erschließungsanlage darstellt. Andererseits dauern die Bemühungen der Beklagten zur Herstellung einer durchgehenden Straße bereits seit dem Jahre 1978 an, ohne dass eine Verwirklichung absehbar war; diese Schwierigkeiten haben zur Aufteilung in die beiden Plangebiete 6A und 6B geführt, und nach Aussage im Widerspruchsbescheid kann mit einem Weiterbau erst ab dem Jahr 2020 gerechnet werden.“

 

Bedeutung eines Erschließungsvertrags für die Anlagenabgrenzung

Sodann erörtert das Bundesverwaltungsgericht, inwiefern der Erschließungsvertrag für das Plangebiet 6B Bedeutung für die Anlagenabgrenzung gewinnen kann. Dabei lässt es die grundsätzliche Frage offen, ob eine von einem Erschließungsvertrag betroffene Teilstrecke aus rechtlichen Gründen – Stichwort: anderes Rechtsregime – stets eine eigenständige Anlage darstellt, da der Erschließungsvertrag erst nach dem Entstehen der sachlichen Beitragspflichten geschlossen worden sei:

 

„Die Straße „Z." ist im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 6A indes nicht schon deshalb – unabhängig vom Erscheinungsbild – eine eigenständige Erschließungsanlage, weil die Beklagte für das Plangebiet Nr. 6B einen Erschließungsvertrag geschlossen hat. Dahingestellt bleiben kann, ob ein Erschließungsvertrag grundsätzlich zur Annahme einer eigenständigen Erschließungsanlage für das Vertragsgebiet zwingt (so OVG Münster, Urteil vom 24. November 1998 – 3 A 706/91 – (…); OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. April 2000 – 9 M 4297/99 – (…); a.A. OVG Schleswig, Urteil vom 18. Dezember 2002 – 2 L 246/01 – (…)), woraus sich hier zwangsläufig die Eigenständigkeit auch des streitgegenständlichen Straßenteils ergäbe. Denn die Beklagte hat den Erschließungsvertrag erst nach dem hier für die Entstehung der Beitragspflicht – und damit für die Beurteilung des Umfangs der Erschließungsanlage – maßgeblichen Zeitpunkt (…) geschlossen. Unter der Prämisse, dass die Beitragspflicht im Hinblick auf einen im Plangebiet 6A hergestellten Abschnitt bereits entstanden war, könnte sich daran nichts mehr dadurch ändern, dass später ein Erschließungsvertrag für einen weiteren Abschnitt der Gesamtanlage hinzugetreten ist.“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten höchstrichterlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen

  • zur natürlichen Betrachtungsweise in Rdnr. 7 und näher in Rdnr. 701
  • zur vom BVerwG so genannten „zeitlichen Dimension“ in Rdnr. 18 (unter der Überschrift: Verlängerung einer Anlage) und Rdnr. 701 (unter der Überschrift: Abweichende Beurteilung aus Rechtsgründen)
  • zur Bedeutung eines Erschließungsvertrags für die Anlagenabgrenzung in Rdnr. 701 (unter der Überschrift: Abweichende Beurteilung aus Rechtsgründen) und näher in Rdnr. 712 (im Rahmen der Erläuterungen zur Abschnittsbildung nach rechtlichen Gesichtspunkten)

Unsere Tipps für die Praxis:

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