Hinterliegergrundstücke sind unter Aspekten der straßenrechtlichen Erschließung inhärent „suboptimal“, weil ein direkter Zugang zu der Anbaustraße bei solchen Grundstücken nicht gegeben ist. Immer wieder fallen diese Grundstücke deswegen auch aus der Pflicht heraus, für die Herstellung einer Straße Beiträge zahlen zu müssen, da die rechtliche Verbindung zur Anbaustraße nicht sicher und gefestigt genug ist. Wie rechtlich „robust“ eine Zufahrt zum Hinterlieger sein muss, zeigt dieser Fall:
Der Kläger ist Eigentümer eines gefangenen Hinterliegergrundstücks. Früher war das Grundstück direkt an einer Anbaustraße gelegen, die direkte Zufahrt ist jedoch im Zuge einer Umbaumaßnahme an der Straße in den 1980ern entfallen. Seitdem nimmt der Kläger seine Zufahrt zum gemeindlichen Verkehrsnetz über das Grundstück seines Nachbarn. Diese Zufahrt ist zugunsten des Klägers auch dinglich gesichert. Für die nun streitgegenständliche Anbaustraße, zu der der Kläger über das Nachbargrundstück Zufahrt nimmt, entsteht 2010 die sachliche Beitragspflicht; 2014 erlässt die Gemeinde einen Erschließungsbeitragsbescheid für das klägerische Grundstück. Der Kläger geht dagegen gerichtlich vor.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Aufhebung des Bescheids durch das Verwaltungsgericht als rechtmäßig erachtet. Die abgerechnete Anlage begründe „mangels rechtlicher Sicherung einer allgemeinen Benutzbarkeit der Grundstückszufahrt über das in fremdem Eigentum stehende Anliegergrundstück gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde [keinen] die Beitragserhebung rechtfertigenden Erschließungsvorteil für das klägerische Grundstück […]“. Das klägerische Grundstück gehöre damit nicht zum Kreis der beitragspflichtigen Grundstücke gehört.
Voraussetzung der Beitragspflicht nach §133 Abs. 1 BauGB ist die bauordnungsrechtliche Erreichbarkeit.
„Gemäß § 133 Abs. 1 BauGB unterliegen nur solche Grundstücke der Erschließungsbeitragspflicht, die im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht gerade der abzurechnenden Anbaustraße wegen bebaubar, d.h. verkehrsmäßig „erschlossen“ sind. Erschließung durch eine Anbaustraße meint demnach nicht bloße Zugänglichkeit, sondern besteht darin, einem Grundstück von dieser Straße aus eine verkehrliche Erreichbarkeit zu vermitteln, die den einschlägigen Bestimmungen des Bauplanungsrechts und des Bauordnungsrechts genügt […]. Dass eine Straße von einem Grundstück aus in irgendeiner Form erreichbar ist oder tatsächlich in Anspruch genommen wird, löst demnach noch keine Erschließungsbeitragspflicht aus […]. Die Anforderungen des Bauordnungsrechts haben hinsichtlich der Frage, ob Hinterliegergrundstücke zum Kreis der erschließungsbeitragspflichtigen Grundstücke gehören, besondere Bedeutung. Denn dessen Grundanforderung in Art. 4 Abs. 1 Nr. 2 BayBO – das Anliegen an einer befahrbaren öffentlichen Verkehrsfläche – kann bei einem Hinterliegergrundstück mit Blick auf die in Rede stehende Verkehrsanlage definitionsgemäß nicht erfüllt sein. Damit kommt es maßgebend auf die alternativen – herabgestuften – Voraussetzungen an, unter denen die Bebauung eines Hinterliegergrundstücks gleichwohl zuzulassen ist.“
Es kommt auf die baurechtlichen Anforderungen zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an.
„Entgegen der Auffassung der Beklagten ist für die Frage, ob die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an die Bebaubarkeit eines Grundstücks erfüllt sind, auf die zum Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten geltende Rechtslage abzustellen. Nur so kann festgestellt werden, ob ein Grundstück gerade wegen der abzurechnenden Anbaustraße bebaubar und damit nach § 133 Abs. 1 BauGB auch beitragspflichtig ist. Ob ein vorhandenes Gebäude zu einem früheren Zeitpunkt rechtmäßig errichtet wurde oder sonst Bestandsschutz genießt, bleibt damit grundsätzlich ohne Bedeutung, entscheidend ist die gegenwärtige Bebaubarkeit […]. Die mit Gesetz zur Änderung der Bayerischen Bauordnung vom 29. Juli 1969 […] in Art. 4 Abs. 3 Nr. 2 BayBO a.F. eingefügte Formulierung „und rechtlich gesichert ist“ hat das Zweite Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung baurechtlicher Verfahren vom 26. Juli 1997 […] durch die Worte in Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO „und gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde rechtlich gesichert ist“ ersetzt. Der Text ist insoweit bislang nicht mehr verändert worden […] und daher vorliegend maßgeblich. Danach ist im Geltungsbereich eines Bebauungsplans und innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils die Widmung von Wohnwegen begrenzter Länge in Gestalt einer befahrbaren Privatzufahrt über ein Anliegergrundstück nicht erforderlich, wenn von ihm nur Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 bis 3 erschlossen werden und gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde rechtlich gesichert ist, dass der Wohnweg sachgerecht unterhalten wird und allgemein benutzt werden kann […]. Die rechtliche Sicherung einer allgemeinen Nutzung bedeutet, dass zumindest eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit zu Gunsten des Rechtsträgers der Bauaufsichtsbehörde bestellt sein muss […].“
Hier: Sicherung der Zuwegung gegenüber dem Träger der unteren Bauaufsichtsbehörde fehlt.
„Eine solche bauordnungsrechtlich erforderliche Sicherung liegt für die (Privat-)Zufahrt über das Vorderliegergrundstück […] – unstreitig – nicht vor. Soweit die Beklagte darauf verweist, dass die Pflicht zum Unterhalt der Geh- und Fahrtrechtsfläche nach dem notariellen Bestellungsakt beim Eigentümer des dienenden Grundstücks verbleibt, übersieht sie, dass die Sicherung der sachgerechten Unterhaltung des Wohnweges nur ein Aspekt der nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO erforderlichen rechtlichen Sicherung des Rechtsträgers der Baubehörde darstellt. Erforderlich ist nach dieser Vorschrift daneben auch die rechtliche Sicherung der allgemeinen Benutzbarkeit, an der es jedenfalls fehlt.
Auf eine solche kann entgegen […] auch nicht deshalb verzichtet werden, weil die Nutzung des klägerischen Grundstücks aufgrund der Bestellung des Geh- und Fahrtrechts zugunsten des jeweiligen Eigentümers jederzeit gewährleistet ist. Die Bestellung einer Grunddienstbarkeit zugunsten des jeweiligen Eigentümers eines Hinterliegergrundstücks ist eine rechtliche Sicherung nur „gegenüber“ diesem, nicht aber zugleich „gegenüber“ dem Träger der Bauaufsicht und kann daher nicht die nach Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO erforderliche allgemeine Benutzbarkeit sichern […].
Mangels der erforderlichen rechtlichen Sicherung der Privatzufahrt gegenüber dem Rechtsträger der Bauaufsichtsbehörde sind die bauordnungsrechtlichen Anforderungen an eine die Beitragserhebung rechtfertigende Bebaubarkeit des klägerischen Grundstücks „wegen“ der [abzurechnenden Anlage] (im maßgeblichen Zeitpunkt der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten für die erstmalige Herstellung) nicht erfüllt. Eine Erschließungsbeitragspflicht des streitgegenständlichen Grundstücks für die erstmalige Herstellung dieser Anliegerstraße besteht daher nicht. Die bloße tatsächliche Inanspruchnahme der Straße kann […] eine Erschließungsbeitragspflicht nicht auslösen.“
Erwartungshaltung der anderen Beitragspflichtigen führt nur zum Erschlossensein des Hinterliegers, nicht aber zu seiner Beitragspflicht.
„Eine Beitragspflicht des klägerischen Grundstücks läge auch dann nicht vor, „wenn die übrigen Anlieger nach den bestehenden Verhältnissen billigerweise erwarten dürften, dass das streitgegenständliche Grundstück bei der Verteilung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands berücksichtigt wird. Dieser vom Bundesverwaltungsgericht entwickelte Gedanke […] zielt als „letzter Korrekturansatz“ allein auf die Frage ab, unter welchen Voraussetzungen der Kreis der an der Aufwandsverteilung zu beteiligenden Grundstücke ausnahmsweise auf solche auszudehnen ist, denen die abzurechnende Anbaustraße die baurechtliche Bebaubarkeit nicht vermittelt und die deshalb auch nicht beitragspflichtig werden […]. Der Gesichtspunkt der schutzwürdigen Erwartungshaltung anderer Grundstückseigentümer kann aber nur in der Verteilungsphase Bedeutung erlangen. Eine – gesetzlich gerade nicht bestehende – Beitragspflicht kann sie dagegen nicht begründen […]. Der entsprechende Anteil verbleibt dann bei der Gemeinde und muss letztlich von der Allgemeinheit getragen werden. Dies zugrunde gelegt durfte die Beklagte den Kläger nicht zu einem Erschließungsbeitrag für die Herstellung der [abgerechneten Anlage] heranziehen. Wie oben dargelegt sind die bauordnungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen […] nicht erfüllt. Der Umstand, dass es mittels der zugunsten des jeweiligen Eigentümers dinglich gesicherten Zufahrt an die abzurechnende Verkehrsanlage angebunden ist, mag zwar die Erwartung der anderen Grundstückseigentümer, es sei bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigen, weil es „erschlossen“ i.S.v. § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist, als schutzwürdig erscheinen lassen. Das kann jedoch nicht zur Beitragspflicht des klägerischen Grundstücks führen, denn die [abgerechnete Anlage] vermittelt dem Hinterliegergrundstück den die Beitragspflicht rechtfertigenden Sondervorteil objektiv nicht, weil die bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Bebaubarkeit nicht vorliegen. Die schutzwürdige Erwartung der Beitragspflichtigen, dass alle bevorteilten Grundstücke am umlagefähigen Erschließungsaufwand entsprechend der satzungsmäßigen Verteilungsregelung beteiligt werden, kann keine tragfähige Grundlage dafür darstellen, die fehlende rechtliche Sicherung der Zufahrt über das Anliegergrundstück im Sinn von Art. 4 Abs. 2 Nr. 2 BayBO zu fingieren […].“
Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Erschlossensein von Hinterliegern in den Rdnr. 853 ff. und zur Beitragspflicht in den Rdnrn. 1022 ff.
Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.
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