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13.07.2023

Vorbeugender Rechtsschutz gegen den erwarteten Erlass des Erschließungsbeitragsbescheids

Der Fall

Unter dem 28.09.2021 beantragten die späteren Kläger als Grundstückeigentümer sinngemäß eine Erklärung der (später) beklagten Gemeinde dahingehend, dass sie für ihr Grundstück keine Erschließungsbeiträge schulden. Den Antrag begründeten sie damit, dass ihre Inanspruchnahme wegen Verjährung nicht mehr möglich sei.

Weiter waren folgende Argumente aus der Sicht der Kläger für Ihr Begehren bedeutsam:

  • Unzumutbar sei es, dass ein Beitragsbescheid angekündigt, dann aber dessen Erlass verzögert werde.

  • Beim Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz ergäben sich für die Kläger in tatsächlicher Hinsicht Beweisschwierigkeiten zum tatsächlichen Zustand der Erschließungsanlage

  • Bedeutsam sei, dass sie als Betroffene ein Interesse daran haben zu wissen, „woran“ sie sind, da die Frage, ob in Zukunft ein unter Umständen hoher Erschließungsbeitrag geltend gemacht werde, die wirtschaftliche Verwertbarkeit ihres Grundstücks erheblich beeinflusse; die Ankündigung eines Beitragsbescheids führe zu einer Wertminderung.

Die beklagte Gemeinde erwiderte, die Erschließungsanlage sei noch nicht fertiggestellt, es handele sich insoweit um ein Provisorium. Die Kosten für die endgültige Herstellung der Straße müssten nach der Fertigstellung als Erschließungsbeiträge erhoben werden.

Das erstinstanzliche Verfahren:

Die daraufhin von den Klägern erhobene Feststellungsklage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Zusammengefasst hat es zur Begründung ausgeführt, die Feststellungsklage sei unzulässig. Es fehle regelmäßig an dem für die vorbeugende Feststellungsklage zu fordernden qualifizierten Rechtsschutzinteresse, wenn der Betroffene in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden könne. Nur ausnahmsweise könne ein gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse vorliegen, wenn aus besonderen Gründen ein Abwarten - hier der Heranziehung zu Erschließungsbeiträgen durch Verwaltungsakt - nicht zumutbar sei. Ein solcher Ausnahmefall liege im Fall der Kläger nicht vor. Die Konstellation, dass der Erlass eines Verwaltungsakts angekündigt und dann verzögert werde, liege nicht vor. Die Gemeinde sei nicht in der Lage, einen Erschließungsbeitragsbescheid zu erlassen, bevor die beitragsfähigen Erschließungskosten für eine gegebenenfalls erforderliche endgültige Herstellung der Straße angefallen seien. Dass die Ankündigung, gegebenenfalls zu Erschließungsbeiträgen herangezogen zu werden, für die Kläger belastende Vorwirkungen entfalte, hätten sie nicht dargelegt. Bei den potentiell anfallenden Erschließungskosten, für die Erschließungsbeiträge erhoben werden sollten, handele es sich um noch zukünftig entstehende Kosten. Insoweit sei nicht ersichtlich, inwieweit bei dieser Konstellation die Inanspruchnahme von effektivem nachträglichem Rechtsschutz nicht mehr möglich sein sollte. Es würden sich insbesondere deshalb keine Beweisschwierigkeiten für die Kläger ergeben. Dieser wäre auch noch im Rahmen eines nachträglichen Rechtsschutzes gegen einen Erschließungsbeitragsbescheid feststellbar, namentlich durch die Kläger selbst, die den baulichen Zustand der Erschließungsanlagen selbst problemlos dokumentieren könnten.

Die obergerichtliche Entscheidung

Nachträglicher Rechtsschutz ist der Regelfall

Zur Überzeugung des Gerichts ergib sich ein besonderes Rechtsschutzinteresse für die Inanspruchnahme von vorbeugendem Rechtsschutz nicht daraus, dass der Wert des Grundstücks der Kläger durch eventuell in Zukunft anfallende Erschließungsbeiträge vermindert sei. Ansonsten hätten sämtliche Anlieger an noch nicht fertiggestellten Erschließungsanlagen ein Interesse an vorbeugendem Rechtsschutz hinsichtlich bei der Fertigstellung anfallender Erschließungsbeiträge. Das kommunale Abgabenrecht ordne jedoch die sich aus der Pflicht zur Beitragsleistung ergebenden Interessenkonflikte im Regelfall einer nachträglichen (gegebenenfalls auch vorläufigen) Rechtsschutzgewährung zu, soweit nicht vorbeugender Rechtsschutz notwendig sei, um eine Existenzvernichtung des jeweiligen Klägers zu vermeiden. Dafür sei vorliegend nichts ersichtlich.

Klage gegen zukünftiges Verwaltungshandeln:

„Zu Unrecht meinen die Kläger, es handele sich bereits nicht um eine vorbeugende Feststellungsklage, da sie nicht zukünftiges Verwaltungshandeln abwehren wollten, sondern „heute“ die Feststellung begehrten, dass sie keine Erschließungsbeiträge mehr schuldeten. Wendet sich ein (potentiell) Beitragspflichtiger gegen einen noch nicht erlassenen Abgabenbescheid im Wege einer negativen Feststellungsklage - wie hier -, begehrt er im Kern vorbeugenden Rechtsschutz (vgl. etwa VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.01.1993 - 2 S 1040/91 - juris Rn. 15; Bayerischer VGH, Urteil vom 19.05.1981 - 6 B 80 A.331 - juris Leitsatz). Dass die Kläger „heute“ die Feststellung begehren, dass sie keine Erschließungsbeiträge mehr schulden, ändert nichts daran, dass sie sich im Kern gegen ein zukünftiges Verwaltungshandeln der Beklagten wenden. Im Einzelnen:

Zwischen der Beklagten und den Klägern besteht zum Zeitpunkt dieser Entscheidung noch kein Beitragsschuldverhältnis. Nach … entsteht die Beitragspflicht mit der endgültigen Herstellung der jeweiligen Erschließungsanlage. Dies setzt zum einen voraus, dass alle (in der Satzung festgelegten oder im Bauprogramm ausgewiesenen) flächenmäßigen Teileinrichtungen in ihrer gesamten Länge den Anforderungen des satzungsmäßigen Ausbauprogramms entsprechend hergestellt worden sind. Darüber hinaus setzt das Entstehen der Höhe nach voll ausgebildeter und unveränderbarer abstrakter (sachlicher) Beitragspflichten die Ermittlungsfähigkeit des umlagefähigen Aufwands und damit den Eingang der letzten nach Abschluss der Bauarbeiten erteilten Unternehmerrechnung voraus.“

Vorbeugender Rechtsschutz ist nur zulässig, wenn die Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz nicht zumutbar ist.

„Wie die vorbeugende Unterlassungsklage ist auch die vorbeugende Feststellungsklage zulässig, wenn der Betroffene nicht in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz verwiesen werden kann (ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 15.02.1991 - 8 C 85.88 - juris Rn. 10; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.01.1993 - 2 S 1040/91 - juris Rn. 15). Notwendig ist ein spezielles, gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden Rechtsschutzes gerichtetes Rechtsschutzinteresse (vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 24.10.2013 - 7 C 13.12 - juris Rn. 41). Ein solch qualifiziertes Rechtsschutzinteresse ist etwa dann gegeben, wenn dem jeweiligen Kläger eine Strafanzeige oder ein Bußgeldbescheid droht (vgl. etwa OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 31.01.1996 - 13 A 6644/95 - juris Rn. 4 bis 8 zu einer vorbeugenden Feststellungsklage im Lebensmittelrecht bei drohendem Bußgeldbescheid) oder im Falle der Abwehr der Vollstreckung aus einem unanfechtbaren Leistungsbescheid im Hinblick auf die von der Vollstreckungsmaßnahme ausgehende diskriminierende Wirkung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.02.1991 - 8 C 85.88 - juris Rn. 10). Eine solche oder eine vergleichbare Konstellation liegt hier ersichtlich nicht vor.“

Zumutbar ist das Abwarten des Beitragsbescheids

„Für das hier zu beurteilende Erschließungsbeitragsrecht kann für den Regelfall vielmehr davon ausgegangen werden, dass es einem Beitragspflichtigen zuzumuten ist, den Erlass eines Erschließungsbeitragsbescheids abzuwarten, bevor er Rechtsschutz in Anspruch nimmt (vgl. etwa Bayerischer VGH, Urteil vom 19.05.1981 - 6 B 80 A.331 - juris Leitsatz; ebenso für das Anschlussbeitragsrecht VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.01.1993 - 2 S 1040/91 - juris Rn. 16 ff.). Zwar hat die Beklagte hier gegenüber den Klägern geäußert, dass sie nach vorläufiger Rechtsauffassung beabsichtige, nach endgültiger Herstellung der streitgegenständlichen Erschließungsanlage „S...“ von den Anliegern Erschließungsbeiträge zu erheben. Für die Anlieger ist es jedoch zumutbar, den Erlass eines Erschließungsbeitragsbescheids abzuwarten und gegen diesen nachträglich im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens, eines Klageverfahrens oder auch eines vorläufigen Rechtsschutzverfahrens vorzugehen, zumal mit dem Erlass eines Beitragsbescheids keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden. Selbst wenn man mit Blick auf § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO berücksichtigt, dass im Falle des Erlasses eines Erschließungsbeitragsbescheids die Kläger zu einer Art Leistung im Voraus verpflichtet wären, wäre dies wegen der durch die Verwaltungsgerichtsordnung eröffneten Rechtsschutzmöglichkeit lediglich eine „vorläufige“ Zahlungsverpflichtung, die im Gesetz angelegt ist und daher die Gewährung vorbeugenden Rechtsschutzes nicht rechtfertigen kann (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 14.01.1993 - 2 S 1040/91 - juris Rn. 17).“

Das von den Klägern genannte wirtschaftliche Interesse bleibt unberücksichtigt

„Ohne Erfolg berufen sich die Kläger in diesem Zusammenhang insbesondere darauf, dass sie ein Interesse daran hätten zu wissen, „woran“ sie seien, da die Frage, ob in Zukunft ein unter Umständen hoher Erschließungsbeitrag geltend gemacht werde, die wirtschaftliche Verwertbarkeit ihres Grundstücks erheblich beeinflusse. Nach der dargestellten gesetzlichen Systematik des Verwaltungsrechtsschutzes ist das von den Klägern angeführte wirtschaftliche Interesse ihrer Risikosphäre zuzuordnen (vgl. zur Berücksichtigung wirtschaftlicher Interessen im Rahmen eines vorbeugenden Rechtsschutzverfahrens BVerwG, Urteil vom 31.01.1975 - IV C 46.72 - juris Rn. 24). Es fällt mit anderen Worten in ihren Verantwortungsbereich, im Falle einer Veräußerung ihres Anliegergrundstücks das wirtschaftliche Risiko eines zukünftigen Erschließungsbeitrags selbst zu bewerten und hierzu gegebenenfalls juristischen Rat einzuholen, der sowohl den zivilrechtlichen Grundstückskaufvertrag mit dem Erschließungsunternehmer als auch die oben dargestellte erschließungsbeitragsrechtliche Problematik bewertet. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht in diesem Zusammenhang darauf abgestellt, dass sämtliche Anlieger an noch nicht endgültig hergestellten Erschließungsanlagen vorbeugend Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnten, wenn allein die Wertminderung des Grundstücks durch eventuell in Zukunft anfallende Erschließungsbeiträge ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse begründen könnte.“

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie Erläuterungen zum vorläufigen Rechtsschutz insbesondere bei Rdnrn. 1133, 1150, zu weiteren Sachverhalten auch bei Rdnrn. 85, 435, 610, 775, 1102, 1499d .


Unsere Tipps für die Praxis:

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