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04.10.2021

Stundung für landwirtschaftlich genutzte Grundstücke – Wegfall der Stundungsvoraussetzungen

Die Stundung für landwirtschaftliche Grundstücke bereitet in der Praxis immer wieder Probleme. Da die Grundstücke regelmäßig recht groß sind, ist der gestundete Betrag recht hoch und da die Stundungsvoraussetzungen erst Jahre oder gar Jahrzehnte nach Erhebung des Beitrags – für den Beitragspflichtigen teilweise überraschend – entfallen, führt die Beitreibung des Beitrags regelmäßig zu Widerspruchs- und Klageverfahren. Hinzu kommt, dass es für die Gemeinde oft nicht ganz einfach ist, herauszufinden und zu überwachen, wann einem ehemals landwirtschaftlichen Grundstück eine Stundung nicht mehr zusteht.

 

Der Fall:

Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das zum Zeitpunkt der Beitragserhebung im Jahre 1995 als Gärtnereigrundstück genutzt wurde. Die Beklagte stundete mit Bescheid vom 23. Januar 1996 also dem Kläger auf seinen Antrag hin den festgesetzten Beitrag solange zinslos, wie diese Flächen zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebes benötigt würden. Die Stundung erfolge explizit „auf Widerruf“. Nach dem Inhalt des Stundungsbescheids sollte die Stundung entfallen und der Gesamtbetrag beziehungsweise ein Teilbetrag fällig und zahlbar werden, sobald eine Nutzungsänderung oder die Veräußerung des Grundstücks erfolge.

Im Rahmen eines Klageverfahrens um Erteilung einer Baugenehmigung erfuhr die Beklagte im Jahre 2012, dass das streitbefangene Grundstück seit 2007 nicht mehr landwirtschaftlich genutzt wurde und widerrief 2016 die Stundung aus dem Jahre 1996.

Der Kläger legte Widerspruch ein und erhob dann Klage mit dem Argument, die Stundungsvoraussetzungen seien bereits 2007 weggefallen und der Beitragsanspruch damit bereits verjährt.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Das Verwaltungsgericht hatte dem Kläger zunächst rechtgegeben. Das Oberverwaltungsgericht sah dies jedoch auf Berufung der Beklagten hin anders: Es hob das erstinstanzliche Urteil auf und wies die Klage ab. Der Widerruf der Stundung sei rechtmäßig erfolgt.

 

Rechtsgrundlage für den Widerruf ist § 131 AO

Rechtsgrundlage für den angefochtenen Widerrufsbescheid ist § 131 AO über einen entsprechendem Verweis aus dem Landes-KAG.

„[…] Nach § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO darf ein rechtmäßiger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft widerrufen werden, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist.

Diese Voraussetzungen liegen vor. Bei dem Stundungsbescheid vom 23. Januar 1996 handelte es sich im Zeitpunkt des Widerrufs um einen wirksamen, begünstigenden Verwaltungsakt. Zudem war der Widerruf der Stundung im Verwaltungsakt vorbehalten.“

 

Stundungsbescheid enthielt Widerrufsvorbehalt und keine auflösende Bedingung

„Der Stundungsbescheid vom 23. Januar 1996 war im Zeitpunkt seines Widerrufs als begünstigender Verwaltungsakt nach wie vor wirksam und daher sowohl widerrufsfähig als auch widerrufsbedürftig. Er ist nicht zuvor durch Wegfall der Stundungsvoraussetzungen unwirksam geworden. Die gebotene Auslegung ergibt, dass der Bescheid nicht mit einer dahingehenden auflösenden Bedingung, sondern vielmehr mit einem Widerrufsvorbehalt versehen war ([…] § 120 Abs. 2 Nr. 3 AO).

[…]

Gemäß den im öffentlichen Recht entsprechend anwendbaren Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB richtet sich die Auslegung eines Verwaltungsakts nicht nach den subjektiven Vorstellungen des Adressaten oder der erlassenden Behörden, sondern nach dem erklärten Willen, wie ihn der Empfänger bei objektiver Würdigung verstehen konnte. […]

Ausgehend davon handelt es sich bei der im Stundungsbescheid enthaltenen Nebenbestimmung um einen Widerrufsvorbehalt. Dafür spricht entscheidend die Gewährung der Stundung ausdrücklich „auf Widerruf“. Von einer „Bedingung“ bzw. „auflösenden Bedingung“ ist demgegenüber nicht die Rede. Die übrigen Ausführungen in der Nebenbestimmung betreffen bei objektiver Würdigung erkennbar die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Beklagte zum Widerruf berechtigt sein sollte. Der Anspruch auf Fortbestand der Stundung sollte danach so lange gelten, wie das Grundstück, für das der [B]eitrag erhoben worden war, zur Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebes benötigt wurde. Der letzte Satz des Bescheides, der zwei spezielle Fallgruppen des Wegfalls der Stundungsvoraussetzungen betrifft, diente ersichtlich dazu, dem Bescheidadressaten zu verdeutlichen, dass insbesondere bei Verkauf oder Nutzungsänderung diese Voraussetzungen nicht mehr gegeben sind und er mit dem Widerruf rechnen muss.

Für eine solche Deutung spricht ferner, dass sich auf diese Weise sowohl für den Kläger als auch die Beklagte eine hinreichend rechtssichere Situation schaffen ließ. Bei Erlass des Stundungsbescheides war für beide Beteiligten ungewiss, ob ein künftiger Wegfall der Stundungsvoraussetzungen ohne weiteres - d. h. ohne zusätzliche behördliche Prüfung und Feststellungen - objektiv erkennbar sein würde. Dies betraf vor allem die Konstellation, dass das Grundstück weiterhin im Rahmen des landwirtschaftlichen Betriebes genutzt, aber ggf. nicht mehr für dessen Wirtschaftlichkeit erforderlich sein würde. So hatte die Beklage vor Erlass des Stundungsbescheids eine Stellungnahme […] zur Wirtschaftlichkeitsfrage eingeholt. Aber auch bei einer möglichen Nutzungsänderung hätte ggf. überprüft werden müssen, ob es sich um eine im Sinne der Stundungsvoraussetzungen relevante Nutzungsänderung handelt (z. B. im Falle einer Nutzung nicht mehr als Anbaufläche, sondern als Lager-/Abstellfläche o. ä.). Die „automatische“ Beendigung der Stundung aufgrund eines gewissermaßen unerkannten Wegfalls der Stundungsvoraussetzungen hätte mithin erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge gehabt. So drohte der Beklagten in diesem Fall die kenntnisunabhängige Verjährung der Beitragsschuld ([…] § 228, § 231 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 3 AO) während der Kläger Gefahr lief, dass der Betrag unerkannt fällig geworden, und damit – ggf. für einen langen Zeitraum – nach […] § 238 AO zu verzinsen gewesen wäre. Zusätzlich hätten erhebliche Säumniszuschläge gem. […] § 240 AO anfallen können.“

 

Widerruf erfolgte innerhalb der Jahresfrist des § 130 Abs. 3 Satz 1 AO

„Ausgehend davon war die Beklagte nach […] § 131 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO berechtigt, den Stundungsbescheid zu widerrufen, da es sich um einen begünstigenden Verwaltungsakt handelte, der Widerruf im Verwaltungsakt vorbehalten war und die Stundungsvoraussetzungen im Zeitpunkt des Widerrufs unstreitig nicht mehr vorlagen. Das streitgegenständliche Grundstück war nach eigenen Angaben des Klägers bereits längerfristig nicht mehr für die Erhaltung der Wirtschaftlichkeit des landwirtschaftlichen Betriebes erforderlich.

Dem Widerruf des Stundungsbescheids stand auch nicht die Frist des […]  § 131 Abs. 2 Satz 2, § 130 Abs. 3 Satz 1 AO entgegen.

Es bestehen insoweit bereits Zweifel, ob die Fristbestimmung auf den Widerruf von Stundungsbescheiden, die – wie hier – unbefristet und ausschließlich mit einem an bestimmte Voraussetzungen geknüpften Widerrufsvorbehalt verbunden sind, nach ihrem Sinn und Zweck überhaupt Anwendung finden kann. […]

Dies kann aber im Ergebnis offen bleiben, weil der Widerruf des Stundungsbescheids innerhalb der geltenden Frist erfolgt ist. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche den Widerruf rechtfertigen, so ist der Widerruf danach nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig.

Bei der Jahresfrist handelt es sich nicht um eine Bearbeitungs-, sondern um eine Entscheidungsfrist. Der zuständigen Behörde wird ein Jahr Zeit eingeräumt, um die Entscheidung über die Rücknahme bzw. den Widerruf des Verwaltungsakts zu treffen. Daraus folgt, dass die Frist erst bei vollständiger behördlicher Kenntnis der für die Entscheidung maßgebenden Sach- und Rechtslage zu laufen beginnt. Erst wenn die Behörde auf der Grundlage aller entscheidungserheblichen Tatsachen den zutreffenden rechtlichen Schluss gezogen hat, dass ihr die Aufhebungsbefugnis zusteht, muss sie innerhalb eines Jahres entscheiden, ob sie davon Gebrauch macht. Sie muss zu der Erkenntnis gelangt sein, dass die weiteren Voraussetzungen des Widerrufs oder der Rücknahme zweifelsfrei gegeben sind. Dies ist anzunehmen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung imstande ist, diese gesetzlichen Voraussetzungen zutreffend zu beurteilen, und daraus die richtigen Schlüsse zieht. […]

Daraus folgt, dass jede Form der Nichtkenntnisnahme entscheidungserheblicher Umstände den Fristlauf hindert, weil es auf ein „(qualifiziertes) Kennenmüssen“ der die Rücknahme bzw. den Widerruf rechtfertigenden Gründe nicht ankommt. […]

Zur Herstellung der Entscheidungsreife, nach deren Eintritt die Entscheidungsfrist erst beginnen kann, gehört regelmäßig das Anhörungsverfahren, und zwar unabhängig von dessen Ergebnis. Denn die Einwände des Anzuhörenden können nur dann ernstlich zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden, wenn sich die Behörde ihre Entscheidung bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens offen hält. Dies gilt auch und gerade, wenn es sich bei der zu treffenden Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handelt, bei der zudem die für die Ermessensbetätigung maßgeblichen Umstände auch in der Sphäre des anzuhörenden Betroffenen liegen. Unterlässt die Behörde die Anhörung, so läuft die Frist nicht. Verzögert sie sie, so läuft die Frist gleichwohl nicht früher. […]

Ist die Sache allerdings bei Anlegung eines objektiven Maßstabs zur Entscheidung reif, so beginnt die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn die Behörde weitere Schritte zur Sachaufklärung unternimmt, die objektiv nicht mehr erforderlich sind. So liegt es insbesondere, wenn das Ermessen der Behörde auf Null reduziert oder doch im Sinne eines intendierten Ermessens regelhaft gebunden ist. […]

Bei der Aufhebung von Stundungsbescheiden nach Wegfall der Voraussetzungen, derentwegen die Stundung gewährt worden war, ist das Widerrufsermessen regelmäßig intendiert. Dies folgt aus dem Gebot zur sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung […], der grundsätzlich bestehenden Beitragserhebungspflicht der Beklagten […] und der aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden Pflicht zur Gleichbehandlung aller Beitragspflichtigen. […]

Damit ist indes nicht gesagt, dass in diesen Fallkonstellationen jede weitere Sachaufklärung entbehrlich und die Entscheidungsreife eingetreten ist, sobald die Behörde die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Widerruf festgestellt hat. Denn auch bei einem intendierten Ermessens ist zu verlangen, dass die Behörde den ihr verbleibenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der Widerruf in Betracht kommt. Diesem Erfordernis wird die Behörde grundsätzlich nur dann gerecht werden können, wenn dem beabsichtigten Widerruf eine ordnungsgemäße Anhörung vorangeht. […]

Gemessen an diesen Maßstäben ist der streitgegenständliche Widerrufsbescheid vom 11. Juli 2016 innerhalb der Jahresfrist […] 131 Abs. 2 Satz 2, § 130 Abs. 3 Satz 1 AO § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG […]  ergangen.

Die Widerrufsfrist konnte schon deshalb nicht zu laufen beginnen, weil es an der Durchführung eines Anhörungsverfahrens fehlte. Dass die Beklagte darauf letztlich verzichtet und nach Veräußerung einzelner Teile des Gesamtgrundstücks durch den Kläger unmittelbar den Widerrufsbescheid erlassen hat, ändert hieran nichts. […]

Daraus ergibt sich allenfalls eine Verzögerung der Anhörung, die nach dem oben Gesagten nicht zum Beginn des Fristlaufs führt. Die Anhörung wäre zur Sachverhaltsaufklärung geeignet und erforderlich gewesen, um das Vorliegen eines atypischen Sonderfalls auszuschließen, der ggf. trotz des in Richtung Widerruf der Stundung intendierten Ermessens eine andere Entscheidung hätte gebieten können. Dass solche Umstände nicht vorlagen, konnte der Beklagte nicht allein aus der Angabe des Klägers im gerichtlichen Erörterungstermin […] 2012, es liege keine landwirtschaftliche Nutzung mehr vor, entnehmen. Denn dabei handelt es sich nur um die Tatbestandsvoraussetzungen des Widerrufs, nicht um sämtliche ermessensrelevanten Umstände. Solche dürften schon deshalb in dem Erörterungstermin nicht zur Sprache gekommen sein, weil der Termin von baurechtlichen Fragestellungen geprägt war.“

 

Widerruf erfolgte ermessensfehlerfrei

„Der Widerruf des Stundungsbescheids erfolgte im Ergebnis auch ermessensfehlerfrei. Insbesondere erweisen sich die angegriffenen Bescheide nicht deshalb als rechtswidrig, weil die Ausübung des Ermessens durch den Beklagten in den angegriffenen Bescheiden nicht erkennbar ist. Ein Ermessensausfall ist insoweit nicht gegeben, da vorliegend nach dem oben Gesagten die Grundsätze über das sog. intendierte Ermessen eingreifen. […]

Danach gilt: Ist eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst. Versteht sich aber das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung. […]

Davon ausgehend sind Anhaltspunkte für eine ermessensfehlerhafte Entscheidung des Beklagten nicht erkennbar. Einer über den Hinweis auf den Wegfall der Stundungsvoraussetzungen hinausgehenden Begründung bedurfte es nicht. Nur dann, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere Entscheidung möglich erscheinen lassen, liegt ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens vor, wenn diese Umstände von der Behörde nicht erwogen sind. […]

Unbeschadet der fehlerhaft unterlassenen Anhörung sind atypische Gesichtspunkte, die eine andere Entscheidung als den Widerruf der Stundung hätten rechtfertigen können, weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.“

 

Widerruf nicht verwirkt

„Das Recht auf Widerruf des Bescheides war auch nicht verwirkt. Tatbestandlich setzt Verwirkung voraus, dass ein Recht nicht mehr ausgeübt werden kann, weil seit der Möglichkeit der Geltendmachung eine längere Zeit verstrichen ist und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung unter Berücksichtigung des beim Verpflichteten – oder bei einem Dritten – daraus erwachsenen Vertrauens als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. […]

Vorliegend fehlt es jedenfalls am danach erforderlichen Umstandsmoment, weil nicht ersichtlich ist, dass die Beklagte dem Kläger in irgendeiner Weise zu verstehen gegeben hätte, von ihrer Widerrufsmöglichkeit keinen Gebrauch mehr zu machen.“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten höchstrichterlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Wegfall der Stundungsvoraussetzungen in Rdnr. 1704.


Unsere Tipps für die Praxis:

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