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12.11.2020

T_2020-06-24_Straßenausbaubeitragsrecht: Erneuerung einer Straße nach Ablauf der Nutzungsdauer im Teilstreckenausbau aufgrund eines Wasserrohrbruchs.

Der Fall:

Die beklagte Gemeinde zog den Kläger als Eigentümer eines Grundstücks für die 2016 erfolgte Erneuerung des Gewegs mit Bescheid vom 21. April 2017 zu einem Straßenausbaubeitrag  heran. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Die Ausbaumaßnahme stelle eine Erneuerung und Verbesserung im Sinne des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 KAG (a.F.) dar, da die Straße erstmals 1972 oder 1973 technisch hergestellt worden und somit die technische Nutzungsdauer von 25 Jahren abgelaufen gewesen sei. Dagegen hat der Kläger Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und u.a. auf das Verschulden der Feuerwehr für den Schaden an der Wasserleitung hingewiesen.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:


1.       Vor dem 1. Januar 2018 erlassene Bescheide bleiben bestehen

Durch das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 26. Juni 2018 (GVBl S. 449) wurde rückwirkend zum 1. Januar 2018 die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen verboten (Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG n.F.). Allerdings verbleibt es für Beiträge und für Vorauszahlungen, die - wie hier - bis zum 31. Dezember 2017 durch Bescheid festgesetzt worden sind, nach Maßgabe der Übergangsvorschriften in Art. 19 Abs. 7 und 8 KAG bei der früheren, bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Rechtslage, die sich aus dem Kommunalabgabengesetz selbst (KAG a.F.) und dem auf seiner Grundlage wirksam erlassenen gemeindlichen Satzungsrecht ergibt.

 

2.       Maßgebliche Kriterien für eine einzelne Straße als Ermittlungsraum

Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass bei einer beitragsfähigen Ausbaumaßnahme grundsätzlich auf die einzelne Ortsstraße als die maßgebliche öffentliche Einrichtung im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und 3 KAG a.F. abzustellen ist. Wo eine solche Ortsstraße beginnt und wo sie endet, bestimmt sich grundsätzlich nach dem Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln. Zu fragen ist dabei, inwieweit sich die zu beurteilende Einrichtung als augenfällig eigenständiges Element des örtlichen Straßennetzes darstellt. Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen oder Grundstücksgrenzen, sondern ausgehend von einer natürlichen Betrachtungsweise an der Straßenführung, der Straßenlänge, der Straßenbreite und der Ausstattung mit Teileinrichtungen auszurichten (vgl. etwa BayVGH, B.v. 9.7.2019 - 6 ZB 18.2370 - juris Rn. 8; B.v. 6.12.2017 - 6 ZB 17.1104 - juris Rn. 7; U.v. 1.6.2011 - 6 BV 10.2467 - BayVBl 2012, 206 Rn. 41; U.v. 28.1.2010 - 6 BV 08.3043 - BayVBl 2010, 470 Rn. 12). Zugrunde zu legen ist dabei der Zustand im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten, also nach Durchführung der Ausbaumaßnahme.

In Anwendung dieses Maßstabs ist das Verwaltungsgericht nach Inaugenscheinnahme des Straßenzugs zu dem überzeugenden Ergebnis gekommen, dass die Anlage G.weg/F. straße an der Kreuzung mit den Straßen Eichb. und E.weg endet und nicht den nördlichen Teil des Gewegs ab dieser Kreuzung mitumfasst, da bei natürlicher Betrachtungsweise diese Kreuzung eine deutliche Zäsur und damit das Ende der abgerechneten Anlage darstellt. Die Kreuzung hebe sich vom sonstigen Verlauf der in Hanglage befindlichen Einrichtung deutlich sichtbar ab und stelle eine örtlich deutlich sichtbare Unterbrechung des Straßenverlaufs des Gewegs dar, weil ausschließlich diese Kreuzung relativ eben ausgebaut sei und sich beide kreuzenden Fahrbahnen fortsetzen würden. Demgegenüber treten die vom Kläger vorgebrachten Merkmale der gleichen Straßenbreite und der gleichen Straßenausstattung in der Gesamtbetrachtung zurück.

 

3.       Teilstreckenausbau

Damit ist die weitere Rüge des Klägers hinfällig, es könne schon wegen des Verhältnisses von ausgebauter Teilstrecke zur gesamten Straßenausdehnung keine beitragsfähige Erneuerung vorliegen. Nach der Rechtsprechung des Senats kann eine beitragsfähige Erneuerung oder Verbesserung - in Abgrenzung zu einer beitragsfreien Instandhaltungsmaßnahme - in der Regel nur dann angenommen werden, wenn die ausgebaute Teilstrecke mindestens ein Viertel der gesamten Straßenlänge umfasst (BayVGH, U.v. 18.5.2017 - 6 BV 16.2345 - juris Rn. 17 m.w.N.; B.v. 10.7.2019 - 6 CS 19.987 - juris Rn. 13). Das ist vorliegend der Fall. Bei einer Gesamtlänge der Anlage von ca. 364 m überschreitet die Ausbaustrecke mit ca. 150 m Fahrbahn und von ca. 145 m Gehweg ein Viertel der Gesamtlänge.

 

4.       Erneuerung setzt Ablauf der Nutzungsdauer voraus

Unter einer beitragsfähigen Erneuerung ist die - über eine bloße Instandsetzung hinausgehende - Ersetzung einer infolge bestimmungsgemäßer Nutzung nach Ablauf der üblichen Nutzungszeit abgenutzten Orts- straße durch eine gleichsam „neue“ Ortsstraße von gleicher räumlicher Ausdehnung, gleicher funktioneller Aufteilung der Fläche und gleichwertiger Befestigungsart zu verstehen, also eine Maßnahme, durch die eine erneuerungsbedürftige Straße bzw. Teileinrichtung nach Ablauf der für sie üblichen Nutzungsdauer in einen Zustand versetzt wird, der mit ihrem ursprünglichen Zustand im Wesentlichen vergleichbar ist. Nach ständiger Rechtsprechung beträgt die übliche Nutzungsdauer von Straßen 20 bis 25 Jahre (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2015 - 6 BV 14.586 - juris Rn. 15; U.v. 18.5.2017 - 6 BV 16.2345 - juris Rn. 15 m.w.N.).

 

5.       Erneuerungsbedarf durch Wasserrohrbruch

Nach diesen Kriterien handelt es sich bei der streitigen Straßenbaumaßnahme ohne Zweifel um eine beitragsfähige Erneuerung. Die übliche Nutzungsdauer war für den G.weg/F. straße als der maßgeblichen Ortsstraße im Sinn von Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F. bei Durchführung der Baumaßnahmen im Jahr 2016 überschritten. Nach den unbestrittenen Angaben der Beklagten war die Straße spätestens 1973 technisch fertig gestellt worden. Das erneuerte Straßenteilstück war auch tatsächlich abgenutzt. Dass es vor dem Wasserrohrbruch 2016 keine größeren Schäden aufwies, ist unerheblich. Maßgeblich ist allein der Zustand der Straße unmittelbar vor Beginn der Erneuerungsmaßnahme (vgl. BayVGH, U.v. 5.12.2007 - 6 BV 04.496 - juris). Zu diesem Zeitpunkt, also nach dem Wasserrohrbruch, war das in Hanglage befindliche Straßenteilstück durch eine großflächige Unterspülung aufgrund des Wasserrohrbruchs unstreitig zerstört und damit erneuerungsbedürftig. Die Entwicklung zur Verschlissenheit verläuft individuell unterschiedlich und hängt vom konkreten „Lebenslauf“ der Straße ab (vgl. HessVGH, B.v. 25.5.2009 - 5 D 1060/09 - juris). Ein beachtlicher Erneuerungsbedarf kann daher ohne weiteres auch kurzfristig durch einen Wasserrohrbruch ausgelöst werden.

 

6.       Nach Ablauf der Nutzungsdauer ist defektes Wasserrohr als Ursache für die Erneuerung bei fehlenden Fremd- oder Eigenverschulden unerheblich.

Wenn die übliche Nutzungsdauer - wie hier - abgelaufen ist, ist die Beitragsfähigkeit einer Erneuerungsmaßnahme daher auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Erneuerungsbedürftigkeit auf in der Straße verlegte defekte Wasserrohre zurückgeht (vgl. Driehaus in ders. <Hrsg.>, Kommunalabgabenrecht, Kommentar, Stand: März 2020, § 8 Rn. 294c). Dies gilt selbst dann, wenn - wie der Kläger behauptet - offenbleibt, ob die Erneuerungsbedürftigkeit ausschließlich oder weitgehend auf ein Verschulden der Feuerwehr zurückzuführen ist. Der Kläger trägt vor, dass das im G.weg auf der Höhe seines Anwesens verlegte Wasserrohr aufgrund einer unsachgemäßen Druckspülung oder Übung durch die örtliche Feuerwehr geplatzt sei und anschließendes mangelhaftes Schadensminimierungsmanagement den Schaden vergrößert habe. Dass bei Maßnahmen an Wasserrohren Fehler unterlaufen können, ist nicht lebensfremd und gehört zum „Lebensschicksal“ einer Straße. Sachverhalte dieser Art sind ebenso wie das Unterlassen von nicht beitragspflichtigen Reparatur- und Instandsetzungsarbeiten nach Ablauf der üblichen Nutzungsdauer im Rahmen der Feststellung des objektiven Erneuerungsbedarfs grundsätzlich irrelevant und können allenfalls im Rahmen des dem Beitragswesen immanenten Grundsatzes der Erforderlichkeit zum Tragen kommen.

 

7.       Der Aufwand war auch erforderlich

Für die Beurteilung der Erforderlichkeit (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 KAG) ist der Gemeinde ein weiter Ermessensspielraum zuzubilligen. Durch das Merkmal der Erforderlichkeit wird lediglich eine äußerste Grenze markiert, die erst überschritten ist, wenn die von der Gemeinde gewählte Lösung „sachlich schlechthin unvertretbar“ ist (ständige Rechtsprechung; vgl. BayVGH, U.v. 1.12.2016 - 6 BV 16.856 - juris - Rn. 30 m.w.N.). Dabei kommt es auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten an. Denn ab diesem Zeitpunkt ist die Beitragspflicht der Anlieger dem Grunde und der Höhe nach kraft Gesetzes unveränderbar.

Die sachliche Beitragspflicht entstand gemäß § 3 Abs. 1 der Ausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 28. April 2009 mit (dem tatsächlichen und rechtlichen) Abschluss der Maßnahme und Feststellbarkeit des Gesamtaufwands. Nach Aktenlage war dies mit Eingang der letzten Unternehmerrechnung Ende Oktober 2016 der Fall. Zu diesem Zeitpunkt bestanden keine substantiierten Kenntnisse, dass die Feuerwehr, wie der Kläger vermutet, den Wasserrohrbruch und damit den Erneuerungsbedarf der Straße schuldhaft verursacht sowie den Schaden vergrößert hat. Gleiches gilt für das behauptete Verschulden der Gemeinde. Im maßgeblichen Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten bestanden also für die Beklagte keine greifbaren Anhaltspunkte für eigenes oder fremdes Verschulden. Es bestand daher zu diesem Zeitpunkt auch kein Anlass für Aufklärungsmaßnahmen seitens der Beklagten, die eine Verschiebung des Entstehungszeitpunkts zur Folge hätten haben können (vgl. OVG NW, U.v. 23.01.2001 - 3 A 2373/93 - juris). Die Beklagte nahm an, der Einbruch der Straße sei auf einen Wasserrohrbruch ohne Fremd- oder Eigenverschulden zurückzuführen (zur Unbeachtlichkeit des Ausbaumotivs vgl. BayVGH, B.v. 21.07.2009 - 6 ZB 06.3102 - juris). Die Zulassungsschrift formuliert diesbezüglich nur Vermutungen ohne substantiierte Darlegungen wie zum Beispiel der Benennung des angeblichen Zeugen für ein Verschulden der Feuerwehr, zumal eine Kenntnis der Gemeinde von einem Verschulden der Feuerwehr zu oben genannten Entstehungszeitpunkt erforderlich gewesen wäre. Eine Verschiebung des Entstehenszeitpunkts der sachlichen Beitragspflichten im Hinblick auf gebotene gemeindliche Aufklärungsmaßnahmen ist daher nicht anzunehmen. Dies gilt auch im Hinblick darauf, dass die Gemeinde zunächst davon ausging, dass es sich um einen Versicherungsfall handle, für den eine Versicherung aufkomme und nicht - auch - die Anlieger. Die unstreitig öffentlich vom Bürgermeister geäußerte Ansicht, dass die Kosten der Maßnahme von der gemeindlichen Haftpflichtversicherung gedeckt würden, kann rechtlich auch nicht als Vorausverzicht auf die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen oder als hierauf gerichtete Zusicherung gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG gewertet werden (vgl. BayVGH, U.v. 30.11.2006 - 6 B 03.2332 - juris Rn. 31 f.).

 

8.       Anbringung von Granitsteinen nicht sachlich unvertretbar.

Die Zulassungsschrift zeigt schließlich nicht auf, dass die Anschaffung neuer Granitsteine sachlich unvertretbar gewesen wäre. Soweit der Kläger die Anlage eines 40 cm breiten Randstreifens an der Ostseite des Gewegs ebenfalls als reparaturbedingte Kosten ausgeschlossen haben möchte, handelt es sich jedenfalls um eine beitragsfähige Verbesserung des Gewegs nach Art. 5 Abs. 1 Satz 3 KAG a.F., denn durch diese Maßnahme wird der G.weg vorteilhaft verändert. Eine beitragsfähige Verbesserung ist dadurch gekennzeichnet, dass sich der Zustand der Ortsstraße nach dem  Ausbau in irgendeiner Hinsicht (insbesondere räumlicher Ausdehnung, funktionaler Aufteilung der Gesamtfläche, Art der Befestigung) von ihrem ursprünglichen Zustand im Herstellungszeitpunkt in einer Weise unterscheidet, die positiven Einfluss auf ihre Benutzbarkeit hat (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2015 - 6 BV 14.584 - BayVBl 2016, 348 ff. m.w.N.). Der Kläger trägt selbst vor, dass dieser Streifen dazu dient, die Stabilität der Sockel der Grundstückseinfassungen zu gewährleisten, welche als Folge des Wasserrohrbruchs abzusacken drohten. Damit ist die Stützmauer für die dauerhafte Sicherung des Gewegs vorteilhaft, notwendig und erforderlich.

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren ausführlichen Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie umfangreiche Erläuterungen zum Ermittlungsraum und Teilstreckenausbau bei Rdnrn. 2150ff sowie hinsichtlich der Erneuerung bei Rdnrn. 2025ff.


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