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16.01.2023

Säumniszuschläge trotz rechtswidrigem Beitragsbescheid

Erschließungsbeiträge – wie andere Beiträge auch – sind nach dem Willen des Gesetzgebers zu zahlen, egal ob der Bürger diese für rechtswidrig hält oder nicht. Widerspruch und Klage haben deswegen keine aufschiebende Wirkung, nur bei grober und offensichtlicher Rechtswidrigkeit kann die Zahlung durch Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes abgewendet werden. Zahlt der Bürger jedoch unentschuldigt nicht, verwirkt er Säumniszuschläge.

Was passiert aber mit den Säumniszuschlägen, wenn sich nachträglich herausstellt, dass der Bürger recht hatte und der Beitrag rechtswidrig war?

Der Fall (leicht abgewandelt und vereinfacht):

2012 erhält die Klägerin von der Gemeinde zwei Beitragsbescheide. Sie legt fristgerecht Widerspruch ein und beantragt die Aussetzung der Vollziehung der Beiträge. Die Gemeinde besteht auf den Vollzug der Bescheide, hilft den Widersprüchen nicht ab und legt sie der zuständigen Widerspruchsbehörde vor. Im März 2013 weist letztere die Widersprüche zurück und die Klägerin erhebt Klage. Im Oktober 2013 kündigt die Gemeinde die Zwangsvollstreckung wegen der offenen Beitragsforderungen sowie 855 EUR verwirkter Säumniszuschläge an. Daraufhin zahlt die Klägerin

sowohl Beiträge als auch Säumniszuschläge. Die Jahre gehen ins Land und es ergeht 2015 eine Entscheidung des BVerfG, aus der sich ergibt, dass die streitbefangenen Bescheide rechtswidrig sind.

Im Januar 2016 beantragte die Klägerin erfolglos bei der Gemeinde den Erlass der Säumniszuschläge. Sie erhob auch gegen diesen ablehnenden Bescheid Klage. Oktober 2016 hebt die Gemeinde die ursprünglichen Beitragsbescheide auf und das Klageverfahren, das seit 2013 läuft, wird für erledigt erklärt.

Nun rechnet die Klägerin auch mit dem Erlass der Säumniszuschläge, da sie auf Forderungen basieren, die unstreitig rechtswidrig waren. Die Gemeinde weigert sich aber nach wie vor und besteht auf die Säumniszuschläge.

Die gerichtliche Entscheidung:

Das OVG gab der Gemeinde recht. Die Voraussetzungen für eine sachliche Unbilligkeit lagen nicht vor.

Voraussetzungen für einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen

„Voraussetzung für einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen ist […], dass die Erhebung einer Abgabe oder abgabenrechtlichen Nebenleistung zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung unbillig erscheint. So verhält es sich, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Bei der Billigkeitsprüfung müssen demgemäß solche Umstände außer Betracht bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Eine für den Abgabepflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt in der Regel keine Billigkeitsmaßnahme […].“

Gesetzgeber besteht auf unverzügliche Zahlung der Beitragsschuld

„Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Anforderung öffentlicher Abgaben entfalten keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO). Bestehen an der Rechtmäßigkeit der Abgabenfestsetzung ernstliche Zweifel oder hätte die Vollziehung für den Abgabenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge, so soll die Behörde die Vollziehung aussetzen (§ 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO). Tut sie das nicht, kann auf Antrag das Gericht tätig werden und nach demselben Maßstab vorläufigen Rechtsschutz gewähren (§ 80 Abs. 5, Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 VwGO). Das Gesetz mutet danach dem Adressaten der Abgabenfestsetzung zu, die Abgabe selbst bei Erhebung von Widerspruch und Klage vorläufig erst einmal zu zahlen, es sei denn, er erlangt eine behördliche Aussetzung der Vollziehung oder gerichtlichen vorläufigen Rechtsschutz.“

Rechtmäßigkeit der Säumniszuschläge hängt nicht von der Rechtmäßigkeit des Bescheids ab

„Die grundsätzliche Pflicht, die Abgabe auch dann zu begleichen, wenn gegen den Abgabenbescheid Widerspruch oder Klage erhoben worden ist, wird dadurch flankiert, dass bei Nichtzahlung Säumniszuschläge anfallen. Diese haben den Zweck, den aus der Nichtzahlung resultierenden Zinsverlust der öffentlichen Hand auszugleichen und den Abgabenpflichtigen zur Zahlung zu bewegen. Nach der gesetzlichen Regelung des [LandesKAG] i.V.m. § 240 Abs. 1 Satz 1 AO setzt die Entstehung des Säumniszuschlags allein voraus, dass die Abgabe wirksam festgesetzt und auf diese trotz Fälligkeit nicht geleistet wurde. Darüber hinaus ergibt sich aus § 240 Abs. 1 Satz 4 AO, dass bereits verwirkte Säumniszuschläge von einer späteren Änderung oder Aufhebung des Abgabenbescheids unberührt bleiben. Daraus folgt, dass keine unmittelbare Abhängigkeit zwischen Abgabe und Säumniszuschlägen besteht, die bei einem Erfolg im Hauptsacheverfahren gegen den Abgabenbescheid immer zugleich die verwirkten Säumniszuschläge entfallen ließe. Vielmehr bleiben die entstandenen Säumniszuschläge unberührt und können grundsätzlich auch dann erhoben werden, wenn sich die Abgabenerhebung später als unrechtmäßig erweist. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen diese Bestimmung bestehen nicht […]. Das Bestehenbleiben der Säumniszuschläge auch bei einem Klageerfolg findet seine Rechtfertigung gerade in dem mit dem Säumniszuschlag verfolgten Zweck und ist den Betroffenen auch deshalb zumutbar, weil sie unter bestimmten Umständen die Aussetzung des Abgabenbescheides erlangen und damit auch den Säumniszuschlägen entgehen können.“

Ein Billigkeitserlass ist deswegen nur ausnahmsweise möglich

„Soweit der Gesetzgeber den Betroffenen zumutet, Säumniszuschläge auch dann zu zahlen, wenn sich der - nicht ausgesetzte - Abgabenbescheid im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweist, darf das nach dem eingangs Ausgeführten grundsätzlich nicht durch eine Billigkeitsentscheidung überwunden werden. Deshalb sind verwirkte Säumniszuschläge nur dann im Wege des Billigkeitserlasses wegen sachlicher Unbilligkeit zu beseitigen, wenn (1.) das Rechtsmittel des Abgabenschuldners gegen die Abgabenfestsetzung in der Hauptsache Erfolg hatte und (2.) der Abgabenschuldner alles Zumutbare getan hat, um die Aussetzung der Vollziehung des Abgabenbescheides zu erreichen und (3.) ihm diese, obwohl an sich möglich und geboten, versagt wurde […]. Maßstab für Letzteres ist nach der Rechtsprechung des Senats, ob zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides bestanden (§ 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt., i.V.m. § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO), die Rechtswidrigkeit des Abgabenbescheides also überwiegend wahrscheinlich war. Demgegenüber kommt es nicht darauf an, wie die Rechtslage (nunmehr) im Zeitpunkt der Entscheidung über den Billigkeitserlass zu bewerten ist […].

An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Mit der Regelung des § 240 Abs. 1 Satz 4 AO […] hat der Gesetzgeber die Möglichkeit in Kauf genommen, dass Abgabenpflichtige zunächst im vorläufigen Rechtsschutzverfahren unterliegen und Säumniszuschläge entstehen, die Klage später aber doch Erfolg hat. Dieses Prozessrisiko ergibt sich typischerweise schon aus der geringeren Prüfungstiefe im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gegenüber dem Hauptsacheverfahren. Jedenfalls einem nicht der Härtefallregelung des § 80 Abs. 4 Satz 3 Hs. 2 VwGO unterfallenden Abgabenpflichtigen wird damit vom Gesetzgeber – in zumutbarer Weise – auferlegt, eine Einschätzung zu treffen, ob überwiegende Erfolgsaussichten schon bei der überschlägigen Prüfung im Eilverfahren bestehen oder ob es sicherer erscheint, die geforderte Abgabe zunächst zu entrichten und für den Fall eines Obsiegens im Klageverfahren den gezahlten Betrag zuzüglich Prozesszinsen zurückzuerhalten […] Diese gesetzgeberische Entscheidung würde unterlaufen, wenn man bei der Prüfung der Frage, ob eine Vollziehungsaussetzung möglich und geboten war, auf den Zeitpunkt der Entscheidung über den Billigkeitsantrag abstellen würde. Denn dann müssten regelmäßig der bessere Erkenntnisstand des Hauptsacheverfahrens oder auch eine zwischenzeitliche Änderung bzw. Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Erlasswege berücksichtigt werden. Dies wäre nicht sachgerecht. Die mit der fehlenden Akzessorietät zwischen den Säumniszuschlägen und der abgabenrechtlichen Hauptforderung typischerweise verbundenen Härten sind vom Gesetzgeber gewollt und deshalb nicht im Wege des Billigkeitserlasses zu beseitigen. Hierzu besteht nur dann Anlass, wenn sich die dem oben beschriebenen Regelungssystem zugrunde liegende Annahme, dass der Bürger dann, wenn an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides ernstliche Zweifel bestehen oder dessen sofortige Vollziehung für ihn eine Härte im Sinne des § 80 Abs. 4 Satz 3 VwGO zur Folge hätte, die behördliche Aussetzung der Vollziehung oder jedenfalls gerichtlichen Eilrechtsschutz erreichen kann, im Einzelfall als unzutreffend erwiesen hat […]. Ein Abstellen auf den Zeitpunkt der Billigkeitsentscheidung liefe zudem dem Zweck der Säumniszuschläge zuwider, der u. a. darin besteht, die rechtswidrige Nichtbeachtung der Pflicht zur vorläufigen Zahlung zu sanktionieren […]. Es ist nicht sanktionsfrei in das Belieben des Adressaten eines Abgabenbescheides gestellt, diese Zahlungsverpflichtung unbeachtet zu lassen. Zahlt der Veranlagte trotz fehlender behördlicher oder gerichtlicher Vollziehungsaussetzung nicht, hat er es grundsätzlich selbst zu verantworten, wenn er Säumniszuschläge entrichten muss […].“

Voraussetzungen für den Erlass lagen hier nicht vor

„Die Klägerin hat zwar letztlich mit ihrer Klage gegen die [Beitragsbescheide] in der Weise Erfolg gehabt, als die Beklagte sie in Ansehung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts […] klaglos gestellt hat. […]

Die Klägerin hat aber schon nicht alles Zumutbare getan, um die Aussetzung der Vollziehung der [B]escheide zu erreichen.

Zwar hat die Klägerin […] bei der Beklagten einen Aussetzungsantrag gestellt […]. Insoweit hat die Klägerin indessen nicht weiter nachgesetzt und insbesondere keinen Eilantrag nach § 80 Abs 5, Abs. 4 Satz 3, Abs. 6 VwGO gestellt. Soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, dies sei ihr wegen der bis dahin bestehenden Rechtsprechung [mangels Erfolgsaussichten] nicht zumutbar gewesen, mag das ungeachtet der Möglichkeit, nach einem erfolglosen verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren Verfassungsbeschwerde zu erheben […], zutreffend sein. Jedenfalls hat die Klägerin aber schon deshalb nicht alles Zumutbare zur Erlangung einer Aussetzung der Vollziehung getan, weil sie nach dem Bekanntwerden des genannten Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts [von] 2015 – die [B]escheide waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufgehoben und ihr Klageverfahren lief noch – keinen erneuten Aussetzungsantrag gestellt hat, obwohl ein solcher Antrag nicht mehr aussichtslos gewesen wäre. […]“

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zur Wirksamkeit von Ablöseverträgen in der Rdnr. 1735.


Unsere Tipps für die Praxis:

Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.

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