Aufgabe:
An der abzurechnenden A-Straße liegt ein 7.000 qm großes Grundstück. Es ist unbeplant und wird nicht nur von der A-Straße erschlossen, sondern liegt auch an der – rechtwinklig in die A-Straße einmündenden – Z-Straße. Der der A-Straße zugewandte, vordere Teil des Grundstücks ist mit einem Wohnhaus bebaut, der hintere Teil weist ein gewerbliches Gebäude sowie ausschweifende Lagerflächen aus. Die Zufahrt zum Grundstück erfolgte bisher immer – sowohl für den Wohn- als auch für den Gewerbeteil des Grundstücks – einheitlich über die Z-Straße. Die Eigentümerinnen des Grundstücks haben weder Bedarf noch Interesse an der A-Straße.
Die Eigentümerinnen wissen, dass sie um den Erschließungsbeitrag nicht herumkommen, tragen aber vor, das Grundstück sei rechnerisch zu teilen. Es sei nur der vordere (Wohn-)Teil des Grundstücks erschlossen, der hintere (Gewerbe-)Teil jedoch nicht.
Liegen die Voraussetzungen der rechnerischen Teilung des Grundstücks vor?
Wenn das Grundstück rechnerisch zu teilen ist: Was für Auswirkungen hat das dann auf die Abrechnung?
Wenn das Grundstück rechnerisch nicht zu teilen ist: Was für Auswirkungen hat das auf die Abrechnung?
Variante: Eine der Eigentümerinnen des Grundstücks sitzt im Gemeinderat und erfährt so, dass die A-Straße ausgebaut werden soll. Daraufhin – noch während der Planungsphase für die Straße – lassen die Eigentümerinnen das Grundstück entsprechend der gewerblichen und privaten Nutzung grundbuchrechtlich in zwei Grundstücke teilen. Ist das zulässig?
1. Liegen die Voraussetzungen der rechnerischen Teilung vor?
Ausgangspunkt jeder Prüfung des Erschlossenseins ist immer der Buchgrundstücksbegriff, d.h. erst einmal ist davon auszugehen, dass das gesamte Grundstück erschlossen ist. Abweichungen vom Buchgrundstücksbegriff sind immer Ausnahmen und damit nur selten und in begrenzten Fällen anzuwenden.
Eine Ausnahme käme hier aber in Betracht: Eine rechnerische Teilung aufgrund begrenzter Erschließungswirkung. Bei diesem Fall besteht jedoch die besondere Tücke, dass er im unbeplanten Bereich (§ 34 BauGB) spielt.
Bei beplanten Grundstücken kommt eine begrenzte Erschließungswirkung dann in Betracht, wenn die planende Gemeinde im Bebauungsplan deutlich zum Ausdruck bringt, dass das einheitliche Grundstück eigentlich wie zwei Grundstücke genutzt werden soll (vgl. hierzu ausführlich M/W Rdnr. 806a ff.). Im unbeplanten Bereich gibt es jedoch mangels Bebauungsplans keine „Absicht der planenden Gemeinde“, auf die man sich stützen könnte.
Aus der Rechtsprechung lassen sich jedoch drei Voraussetzungen für die Anwendung der begrenzten Erschließungswirkung im unbeplanten Innenbereich ableiten:
a) Es muss sich um ein übergroßes Grundstück handeln.
b) Das Grundstück muss mehrfach erschlossen sein.
c) Die Aufteilung des Grundstücks in zwei eigenständige Grundstücke muss offensichtlich und eindeutig sein.
Voraussetzungen a) und b) können vorliegend unproblematisch bejaht werden. Schwierig wird Voraussetzung c) – die Offensichtlichkeit und Eindeutigkeit.
Klassisch ist der Fall, „dass bei einem zwischen zwei Anbaustraßen „durchlaufenden" Grundstück die Erschließungswirkung der Anbaustraße dann begrenzt ist, wenn das Grundstück an jeder der Anbaustraßen selbstständig und ungefähr gleichgewichtig – sozusagen „spiegelbildlich" – bebaubar ist. […]. Die Erschließungswirkung der Straßen erstreckt sich dann, sofern nicht besondere Umstände zu einer anderen Abgrenzung führen, bis zu einer angenommenen Grenze, die durch die Mittellinie zwischen den das Grundstück erschließenden Parallelstraßen gebildet wird […].“ (NdsOVG v. 24.1.2024 – 9 LC 85/18)
Das haben wir hier aber nicht. Wir haben ein „normales“ Eckgrundstück.
Da es sich bei der begrenzten Erschließungswirkung immer nur um eine ganz enge Ausnahmesituation handeln kann, ist entscheidend, „ob sich die Erschließungswirkung einer Anbaustraße nach den tatsächlichen Gegebenheiten erkennbar eindeutig nur auf eine Teilfläche des Grundstücks beschränkt […]. Im unbeplanten Innenbereich stellt sich daher – mangels Festsetzungen in einem Bebauungsplan – die Frage, ob die „tatsächlichen Gegebenheiten“, d. h. in erster Linie die vorhandenen baulichen Anlagen, eine derartige Verfestigung der Zuordnung der einen Teilfläche des betroffenen Grundstücks zu der einen Anbaustraße und der anderen Teilfläche zu einer anderen Anbaustraße bewirken, dass sich der Eindruck aufdrängt, sie begründeten bei dem formal ungeteilten Grundstück erkennbar eindeutig eine sachliche Teilung.“ (NdsOVG v. 24.1.2024 – 9 LC 85/18) Eine bloße unterschiedliche Nutzung reicht dabei nicht aus.
Zu prüfen wäre somit zunächst, ob die Trennung von Privatem und Gewerbe eindeutig ist. Vermischen sich die beiden Nutzungen (z.B. da der Parkplatz des Gewerbebetriebs der Hof des Wohngebäudes ist)? Wenn das der Fall ist, dann fehlt es schon deswegen an der Eindeutigkeit. Wenn man aber eine ganz eindeutige Trennung bejahen kann, dann dürfte eine begrenzte Erschließungswirkung wohl trotzdem scheitern, und zwar an der gemeinsamen Erschließung über die Z-Straße. Wenn ein Grundstück eine einheitliche Zufahrt hat, dann kann man nicht davon ausgehen, dass die beiden Grundstücksteile so getrennt zu sehen sind, als wären es zwei völlig selbstständige Grundstücke.
Wenn man weiterprüfen wollte, dann wäre noch zu fragen gewesen, ob die Umgebungsbebauung eine Trennung nahelegt. Wenn die umliegenden Grundstücke ähnlich groß und einheitlich genutzt werden, spricht das ebenfalls gegen eine rechnerische Teilung, da nicht nur die tatsächliche Nutzung des fraglichen Grundstücks eine Rolle spielt, sondern auch die Nutzungsmöglichkeit, die nach § 34 BauGB von der Umgebungsbebauung (Stichwort „einfügen“) geprägt ist.
2. Wenn das Grundstück rechnerisch zu teilen ist: Was für Auswirkungen hat das dann auf die Abrechnung?
Dann wäre das Grundstück so zu behandeln, als wären es zwei einzelne Buchgrundstücke. Es stellt sich dann die Frage des Hinterliegererschlossenseins des gewerblichen Teils (vgl. hierzu M/W Rdnrn. 853 ff.). Bejaht man das Hinterliegererschlossensein, dann ist eine rechnerische Teilung nicht möglich. Verneint man es, dann ist der hintere Grundstücksteil nicht erschlossen und der vordere profitiert sowohl von der Eckgrundstücksermäßigung als auch von dem fehlenden Artzuschlag.
3. Wenn das Grundstück rechnerisch nicht zu teilen ist: Was für Auswirkungen hat das auf die Abrechnung?
Dann ist zu prüfen, ob das Grundstück insgesamt als gewerblich zu sehen ist, was i.d.R. zutreffen dürfte (vgl. M/W Rdnr. 922). In diesem Fall kommt – wenn sie nur Wohngrundstücken vorbehalten ist – eine Eckermäßigung nicht in Betracht (vgl. M/W Rdnr. 931), der Artzuschlag dürfte jedoch auch nicht anfallen, da der erhöhte Ziel- und Quellverkehr über die Z-Straße abgewickelt wird (vgl. M/W Rdnr. 920).
4. Variante: Darf das Grundstück geteilt werden?
Für die Frage, welche Grundstücke erschlossen sind, kommt es auf den Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht an. Wird das Grundstück zuvor geteilt, dann ist das zunächst einmal wirksam. Fraglich ist aber, ob möglicherweise ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) vorliegt (vgl. M/W Rdnr. 1318).
Ob ein solcher angenommen werden kann, ist anhand von Indizien festzustellen. Eine rechtliche Gestaltung ist unangemessen, wenn Beitragspflichtiger zur Erreichung eines zulässigen Ziels einen ungewöhnlichen Weg wählt, auf dem nach den Wertungen des Gesetzes das Ziel nicht erreichbar sein soll. Wenn ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang zwischen der Ankündigung der Gemeinde, Beiträge zu erheben und einem Grundstücksteilungsantrag liegt, dann spricht das erst einmal für einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten.
Aber man muss auch fragen: Liegt ein ungewöhnlicher Vorgang vor? Oder gibt es einen wirtschaftlich sinnvollen Grund für die Grundstücksteilung?
Letzteres wird man hier bejahen müssen, da zwei sehr unterschiedliche Nutzungen getrennt werden sollen und es durchaus betriebswirtschaftlich sinnvoll sein kann, das Privat- und das Gewerbegrundstück zu teilen.
Es wird zudem auch kein selbständig nicht bebaubarer und somit auch wirtschaftlich kaum selbstständig verwertbarer Grundstücksteil geschaffen und es erfolgt auch keine Übertragung auf Dritte – beides Indizien, die sonst typisch für Fälle des Missbrauchs von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten sind.
Die Grundstücksteilung war somit wirksam – und eine sehr clevere und rechtlich völlig unbedenkliche Vorgehensweise.
Weitere Details zur begrenzten Erschließungswirkung im unbeplanten Bereich finden Sie in Ihrem Matloch/Wiens in der Rdnr. 808a.