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06.03.2025

Oh Schreck! – Die Unternehmerrechnung ist weg! Darf der Aufwand geschätzt werden?

Der Fall:

Bei der Ermittlung des umlagefähigen Aufwands stieß die Gemeinde auf ein Problem: Für bereits viele Jahre zurückliegende Baumaßnahmen waren die Unternehmerrechnungen nicht mehr auffindbar. Daraufhin schätzte die Gemeinde die Kosten. Kam sie damit vor Gericht durch? 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Das Gericht stellte folgende Grundsätze auf:

„Die [gesetzlichen] Regelungen (…) verpflichten die Gemeinde grundsätzlich zu einer ‚cent-genauen‘ Kostenermittlung. Dieser Grundsatz gilt jedoch nicht ausnahmslos, da es Fälle gibt, in denen eine „cent-genaue“ Kostenermittlung praktisch unmöglich ist, ohne dass deshalb der Schluss gerechtfertigt ist, die Gemeinde könne den Aufwand überhaupt nicht geltend machen. Dabei muss berücksichtigt werden, dass auch im Abgabenrecht das Bedürfnis nach Verwaltungspraktikabilität dem Grundsatz der „cent-genauen“ Kostenermittlung eine Grenze setzt. Dies führt dazu, dass die Gemeinden dann, wenn und soweit eine rechnerisch genaue Kostenermittlung nicht oder allenfalls mit unvernünftigem und in diesem Sinne unvertretbarem Verwaltungsaufwand möglich wäre, berechtigt sind, die beitragsfähigen Kosten bzw. Teile dieser Kosten mit Hilfe gesicherter Erfahrungssätze zu schätzen. Diese Schätzungsbefugnis der Gemeinden ist notwendigerweise mit einem gewissen Spielraum, d.h. mit einer sowohl den Weg der Schätzung als auch deren Ergebnis betreffenden Toleranz, verbunden. Kommen insoweit mehrere Varianten in Betracht, muss die Gemeinde die für die Anlieger günstigere wählen. Sind der Gemeinde für vor langer Zeit auf ihre Kosten durchgeführte Herstellungs- oder Freilegungsarbeiten die Rechnungen nicht mehr zugänglich oder auffindbar, dann ist die Gemeinde deshalb ausnahmsweise berechtigt, die tatsächlich entstandenen Kosten auf der Grundlage gesicherter Erfahrungssätze zu schätzen.“

Im konkreten Fall stellte das Gericht fest, dass die Voraussetzungen für eine Schätzung gegeben sind:

„Die Voraussetzungen für eine Schätzung liegen hier vor. Die Antragsgegnerin hat hierzu vorgebracht, ihr lägen für den vorliegenden Abrechnungsabschnitt keine vollständigen Unternehmerrechnungen mehr vor. (…) Die Unauffindbarkeit der Rechnungen genügt hier, um eine Befugnis zur Schätzung zu vermitteln. (…) Überdies ist überhaupt nicht ersichtlich, warum die Antragsgegnerin wider besseres Wissen behaupten sollte, nicht mehr über weitere Rechnungen zu verfügen. Es dürfte wesentlich aufwändiger gewesen sein, die umlagefähigen Aufwendungen zu schätzen, statt sie bereits vorhandenen Rechnungen zu entnehmen. Somit ist äußerst fernliegend, dass die Antragsgegnerin den Weg der Schätzung gewählt hat, um unberechtigterweise höhere Beiträge erheben zu können. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Durchführung der Herstellungsmaßnahmen ist es auch nachvollziehbar, dass Rechnungen oder Leistungsaufstellungen überhaupt nicht mehr oder nur noch äußerst fragmentarisch, etwa in Gestalt zweier Deckblätter, vorhanden sind.“

Auch die Schätzung selbst wird vom Gericht gebilligt:

„Anhaltspunkte für eine Schätzung können die üblichen Preise bieten, die in der fraglichen Zeit für die Herstellung vergleichbarer Erschließungsanlagen oder Teileinrichtungen verlangt worden sind. Dafür kommt auch eine Rückrechnung ausgehend von den aktuellen Baupreisen mithilfe der vom Statistischen Landesamt ermittelten Baupreisindizes in Betracht.“

Im Folgenden legt das Gericht im Einzelnen dar, welchen Aufwand die Gemeinde aus dem nachgewiesenen Aufwand anderer Erschließungsanlagen unter Berücksichtigung des jeweiligen Baupreisindexes für die abgerechnete Anlage ermittelt hat, und billigt diese Vorgehensweise.

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. Der Grundsatz der „centgenauen“ Kostenermittlung und die Voraussetzungen für eine ausnahmsweise zulässige Kostenschätzung wird in Ihrem Matloch/Wiens vor allem in Rn. 603 kommentiert.


Unsere Tipps für die Praxis:

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