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07.06.2021

Erschlossensein eines gewerblichen Grundstücks trotz bauaufsichtlich genehmigtem Betretungshindernis

Besonders konfliktträchtig ist es regelmäßig, wenn zwischen einer Erschließungsanlage und dem Grundstück ein Hindernis liegt: eine Mauer, ein steiler Hang, ein Gebäude, etc. Im vorliegenden Fall kumulieren sich mehrere Faktoren: Die abzurechnende Anlage ist die (unerwünschte) Zweiterschließung, das Grundstück ist ein (auf Zufahrt angewiesenes) Gewerbegrundstück und die (sehr alte) Mauer ist auch noch bauaufsichtlich genehmigt.

 

Der Fall:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines 6.000 qm großen Grundstücks, das von der abzurechnenden Erschließungsanlage zum zweiten Mal erschlossen wird. Das Grundstück liegt in einem faktischen Mischgebiet, wird gewerblich genutzt und ist mit einer Halle bebaut. Um eine ebene Nutzfläche auf dem ursprünglich hängigen Gelände zu ermöglichen, wurde von einem früheren Eigentümer in den 50er Jahren auf dem Grundstück – mit entsprechender Genehmigung der Bauaufsicht – eine 6 m hohe öffnungslose Mauer errichtet, die ein Betreten des Grundstücks von der abzurechnenden Anlage aus ausschließt. Als die Gemeinde die Klägerin zu einem Erschließungsbeitrag i.H.v. ca. 60.000 EUR heranzieht, erhebt sie Klage.

 

Die höchstrichterliche Entscheidung:

Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag auf Berufung gegen das überwiegend klageabweisende Urteil abgelehnt. Die Beitragserhebung der Gemeinde sei rechtmäßig.

 

Auch eine Zweiterschließung ist eine Erschließung

Das Grundstück ist erschlossen i.S.d. §§ 131 Abs. 1, 133 Abs. 1 BauGB.

„Unbeachtlich ist zunächst die vorhandene Verkehrsanbindung an die [ersterschließende Straße]. Erschließungsbeiträge werden für die „erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage“ erhoben, nicht für die „erstmalige Erschließung“ eines Grundstücks. Deshalb ist es ohne weiteres möglich, dass ein Grundstück für mehrere Anbaustraßen gleichzeitig oder zeitlich aufeinanderfolgend beitragspflichtig wird. Es muss bei der Prüfung des Erschlossenseins durch eine hinzutretende Anbaustraße die dem betreffenden Grundstück bereits durch eine bestehende Anbaustraße vermittelte Bebaubarkeit hinweggedacht werden (ständige Rechtsprechung […]).“

 

Herauffahrenkönnen hier nicht erforderlich

„Entgegen der Auffassung der Klägerin ist für die Annahme des Erschlossenseins nicht erforderlich, dass [von der abzurechnenden Anlage] auf ihr gewerblich genutztes Grundstück mit Kraftfahrzeugen heraufgefahren werden kann. Erschlossen ist ein Grundstück, wenn ihm die Anlage in erschließungsbeitragsrechtlicher Weise, d.h. in einer auf die bauliche oder vergleichbare Nutzbarkeit der Grundstücke gerichtete Funktion die Zugänglichkeit vermittelt (ständige Rechtsprechung […]). Die Frage des Erschlossenseins eines Grundstücks hängt in erster Linie davon ab, welche Anforderungen an die Form der Erreichbarkeit zu stellen sind. Dies wird wesentlich vom Bebauungsrecht bestimmt. Fehlen besondere planerische Festsetzungen, richten sich die bebauungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen für Grundstücke in beplanten wie unbeplanten Gebieten im Grundsatz nach dem jeweiligen festgesetzten oder faktischen Gebietscharakter. Liegt das […] in einem faktischen Mischgebiet, genügt das Heranfahren- und Betretenkönnen […]. Ein Herauffahrenkönnen ist nicht erforderlich, da der ein Erschlossensein begründende Erschließungsvorteil nicht verlangt, dass die Erschließungsanlage dem Grundstück eine Bebaubarkeit für alle nach § 6 Abs. 2 BauNVO zulässigen Nutzungsarten ermöglicht […]. Dabei ist es unerheblich, welche dieser zulässigen Nutzungsarten tatsächlich verwirklicht sind; denn für die Frage des Erschlossenseins ist eine normative Betrachtung geboten, die auf die abstrakte Bebaubarkeit abstellt […].“

 

Betretungshindernis durch die Mauer steht dem Erschlossensein nicht entgegen

„Dem Erschlossensein steht schließlich nicht entgegen, dass ein Betreten des (Anlieger-) Grundstücks [von der abzurechnenden Anlage] her deshalb ausgeschlossen ist, weil der Rechtsvorgänger der Klägerin im Jahr 1954 an der Grundstücksgrenze zur Straße eine 6 m hohe Mauer errichtet und das Gelände aufgefüllt hat. Es handelt sich […] um ein selbst geschaffenes (künstliches) tatsächliches Zugangshindernis auf dem Anliegergrundstück, das nach der ständigen Senatsrechtsprechung ohne Auswirkung auf das Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht bleibt […]. Gerade in Fällen der Zweiterschließung ist es beitragsrechtlich beispielsweise ohne Belang, ob ein Eigentümer sein Grundstück durch die Errichtung eines Gebäudes, eines Zaunes oder Ähnlichem gegen eine bestimmte Anbaustraße gleichsam verschlossen hat. Denn es kann nicht im Belieben des Anliegers stehen, auf diese Weise – zu Lasten der übrigen Anlieger – darüber zu entscheiden, ob sein Grundstück an der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands auch für diese Straße teilnimmt und in der weiteren Folge der sachlichen Beitragspflicht unterliegt […]. Auf die Frage, wie hoch der Aufwand für eine Beseitigung des selbst geschaffenen Zugangshindernisses wäre, kommt es in diesem Zusammenhang nicht an.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist es schließlich unbeachtlich, dass die Errichtung der Mauer und die Aufschüttung des hängigen Geländes schon geraume Zeit zurückliegt und damals bauaufsichtlich genehmigt worden war. Insbesondere beinhaltet die damalige Baugenehmigung durch die Beklagte keinen Verzicht auf etwaige Erschließungsbeiträge im Fall einer Zweiterschließung. […]“

 

Keine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung

„Ohne Erfolg bleibt die Rüge, für das klägerische (Buch-) Grundstück hätte zumindest eine Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung gewährt werden müssen. Denn die Beklagte hat sich [in] ihrer Erschließungsbeitragssatzung dafür entschieden, eine solche Vergünstigung auf Wohngrundstücke zu beschränken, was rechtlich nicht zu beanstanden ist […] und das gewerblich genutzte Grundstück der Klägerin ausnimmt.“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten höchstrichterlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Erschlossensein in den Rdnrn. 826 ff.. 


Unsere Tipps für die Praxis:

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