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26.06.2023

Erschlossensein des Hinterliegers: Wie muss die Zuwegung gesichert sein?

Findet eine Gemeinde in ihrem Abrechnungsgebiet einen Hinterlieger und stellt sie fest, dass es eine gesicherte Zuwegung zum Hinterliegergrundstück gibt, dann ist das oft ein Moment des Aufatmens. Aber so einfach ist das leider nicht immer. Denn die Zuwegung muss nicht nur gesichert sein – sie muss auch auf die richtige Art gesichert sein.

Der Fall:

Die Gemeinde verlangt vom Kläger einen Erschließungsbeitrag in Höhe von ca. 9.500 EUR. Das klägerische Grundstück liegt nicht direkt an der abgerechneten Anlage an, sondern ist ein Hinterlieger. Es ist über das Anliegergrundstück – ein in fremdem Eigentum stehendes Wegegrundstück – mit der abgerechneten Anlage verbunden und es gibt auch eine Grunddienstbarkeit auf dem Anliegerwegegrundstück, die dem Kläger ein Geh- und Fahrtrecht einräumt. Das Landesbauordnungsrecht verlangt jedoch für das Erschlossensein eine Baulast. Der Kläger geht deswegen gegen den Beitragsbescheid vor und wendet ein, dass das Fehlen der bauordnungsrechtlich notwendigen Sicherung dem Erschlossensein entgegensteht.

Die gerichtliche Entscheidung:

Die Klage blieb erfolglos.

§ 131 Abs. 1 und § 133 Abs. 1 BauGB: Der Unterschied zwischen Erschlossensein und Beitragspflicht

Das OVG legt zunächst dar, dass durch eine Anbaustraße Grundstücke erschlossen werden, „denen diese Anlage die wegemäßige Erschließung vermittelt, die das Bauplanungsrecht als gesicherte Erschließung für die bestimmungsgemäße Nutzung verlangt.“ Zudem sei weiter gesetzlich geregelt, „dass erschlossene Grundstücke im Geltungsbereich eines Bebauungsplans oder innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile der Beitragspflicht unterliegen, wenn und soweit sie baulich, gewerblich oder in vergleichbarer Weise genutzt werden dürfen.“

Diese Systematik, die sich aus den § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB und § 133 Abs. 1 BauGB ergibt, ist ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Dabei betrifft § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB nur die sog. Verteilungsphase. „Das Merkmal „erschlossen“ dient in diesem Zusammenhang der Abgrenzung zwischen den einer baulichen (oder erschließungsbeitragsrechtlich vergleichbaren) Nutzung nicht entzogenen Grundstücken, die von einer bestimmten beitragsfähigen Erschließungsanlage zumindest einen latenten Vorteil haben und denen deshalb Kostenanteile der Anlage zugeschrieben werden, und den Grundstücken, die keinen beitragsrechtlich relevanten Erschließungsvorteil haben.“ § 133 Abs. 1 BauGB bezieht sich hingegen auf die sog. Heranziehungsphase und beantwortet die Frage, ob einem Grundstück, das im Sinne des § 131 Abs 1 Satz 1 BauGB erschlossen ist, „ein aktueller Erschließungsvorteil vermittelt wird, der es rechtfertigt, von dessen Eigentümer schon jetzt einen Beitrag zu verlangen […]“.

„Vor dem Hintergrund dieser Systematik ist zwar grundsätzlich von einer Deckungsgleichheit des Erschlossenseins […] einerseits und der Beitragspflicht […] andererseits auszugehen. In bestimmten Konstellationen kann sich jedoch aus [der Beitragspflicht] ein zeitliches „Fälligkeits“-Hindernis ergeben, das vorübergehend eine Beitragserhebung für ein [nach § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB] erschlossenes Grundstück ausschließt. Dies ist dann der Fall, wenn das fragliche Grundstück nach Maßgabe der bauplanungs- und bauordnungsrechtlichen Bestimmungen zwar abstrakt bebaubar ist, eine Benutzung der Erschließungsanlage jedoch noch durch ausräumbare rechtliche oder tatsächliche Hindernisse ausgeschlossen ist. Solange ein solches Hindernis nicht ausgeräumt ist, fehlt es am Erschlossensein […] mit der Folge, dass das betreffende Grundstück noch nicht der Beitragspflicht unterliegt.“ Damit ist ein Grundstück erschlossen i.S.d. § 133 Abs. 1 BauGB erst dann, wenn ein Hindernis nicht nur ausräumbar, sondern auch tatsächlich ausgeräumt ist.

Voraussetzungen des Erschlossenseins des Hinterliegers i.S.d. § 131 Abs. 1 BauGB

Das klägerische Grundstück ist ein Hinterliegergrundstück, das durch diese Anbaustraße im Sinne des § 131 Abs. 1 BauGB erschlossen wird.

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts […] wird ein durch ein baulich genutztes oder nutzbares Anliegergrundstück von der abzurechnenden Anbaustraße getrenntes Hinterliegergrundstück grundsätzlich nicht durch diese Erschließungsanlage im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB […] erschlossen. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn die Eigentümer der übrigen erschlossenen Grundstücke nach den im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflichten bestehenden tatsächlichen Verhältnissen schutzwürdig erwarten können, dass auch das Hinterliegergrundstück an der Verteilung des für die abzurechnende beitragsfähige Erschließungsanlage angefallenen umlagefähigen Aufwands teilnimmt. Das ist der Fall, wenn die tatsächlichen Verhältnisse den übrigen Beitragspflichtigen den Eindruck vermitteln, es könne mit einer erschließungsbeitragsrechtlich (noch) relevanten Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme der Anbaustraße (auch) durch das Hinterliegergrundstück gerechnet werden, die dessen Belastung mit einem Erschließungsbeitrag rechtfertigt. Dies trifft etwa auf den hier nicht gegebenen Fall zu, wenn Anlieger- und Hinterliegergrundstück, die derselben Person gehören, über ihre gemeinsame Grenze hinaus einheitlich genutzt werden […]. Eine schutzwürdige Erwartung der übrigen erschlossenen Grundstückseigentümer ist aber auch dann zu bejahen, wenn das Hinterliegergrundstück (hier des Klägers) durch eine dauerhafte, rechtlich gesicherte Zufahrt mit der Erschließungsanlage verbunden ist […].

Nach diesen Maßstäben können hier […] die Eigentümer der übrigen erschlossenen Grundstücke schutzwürdig erwarten, dass auch das streitgegenständliche Hinterliegergrundstück des Klägers an der Verteilung des umlagefähigen Erschließungsaufwands teilnimmt. Dieses Grundstück wird jedenfalls (auch) durch die streitgegenständliche Erschließungsanlage im Sinne des [§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB] erschlossen, weil es über eine dauerhafte und durch die im Jahr 1979 zu seinen Gunsten eingetragene Grunddienstbarkeit (Geh- und Fahrrecht) rechtlich gesicherte Zufahrt über das Anliegergrundstück […] verfügt.“

Gesicherte Erschließung im Sinne des BauGB

„Für eine gesicherte Erschließung im Sinne des Bauplanungsrechts ist nicht erforderlich, dass die Zufahrt zum öffentlichen Straßennetz öffentlich-rechtlich durch Baulast gesichert ist, sondern es genügt, wenn sie dinglich – wie hier – durch eine Grunddienstbarkeit gesichert ist […]. Denn im Gegensatz zum Bauordnungsrecht der Länder regelt das Bauplanungsrecht nicht, auf welche Weise die Sicherstellung der Zufahrt zu erfolgen hat.“

Was passiert, wenn die Beitragspflicht wegen nicht ausräumbarer bauordnungsrechtlicher Zugangshindernisse nie entstehen kann?

„Auch scheiden Hinterliegergrundstücke, die die bauplanungsrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen erfüllen, über den Wortlaut hinausgehend aus dem Kreis der im Sinne von [§ 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB] erschlossenen Grundstücke aus, wenn aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls anzunehmen ist, die Erfüllung der landesrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen sei schlechthin auf Dauer ausgeschlossen. Denn bereits bei der Aufwandsverteilung müssen Grundstücke unberücksichtigt bleiben, die auf Dauer nicht Gegenstand einer Beitragspflicht sein können, weil sie „unfähig“ sind, die Voraussetzungen des [§ 133 Abs. 1 BauGB] zu erfüllen. Sinn und Zweck der Verteilungsregelung in [§ 131 Abs. 1 BauGB] kann es nicht sein, Grundstücke in den Kreis der bei der Aufwandsverteilung zu berücksichtigenden Grundstücke einzubeziehen, die auf Dauer von der Erfüllung der Voraussetzungen des [§ 133 Abs. 1 BauGB] ausgeschlossen sind. Andernfalls wäre die Gemeinde auf Dauer gehindert, die auf diese Grundstücke entfallenden Anteile am umlagefähigen Aufwand durch Beiträge zu decken, und müsste sie letztendlich selbst tragen. Dies entspricht aber grundsätzlich nicht der Interessenlage, die nach dem Willen des Gesetzgebers im Regelfall dadurch gekennzeichnet ist, dass die Gemeinde die ihr durch die Herstellung von beitragsfähigen Erschließungsanlagen entstandenen Kosten möglichst uneingeschränkt – soweit im Gesetz nicht ausnahmsweise etwas anderes geregelt ist – umzulegen hat […].“

Ausräumbare Hindernisse stehen jedoch dem Erschlossensein i.S.d. § 131 Abs. 1 BauGB nicht entgegen.

 „Ein solcher Ausnahmefall, bei dem aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls schlechthin auf Dauer ausgeschlossen ist, dass die landesrechtlichen Erreichbarkeitsanforderungen, […] erfüllt werden können, liegt hier […] nicht vor.“ Der Eigentümer hat es hier selbst in der Hand, die Zufahrt entsprechend den Anforderungen des Landesbaurechts sichern zu lassen. Das Landesbaurecht fordert eine Zufahrtsbaulast, der Eigentümer hat aber „nur“ eine Grunddienstbarkeit. Aber „auf Grundlage der dinglichen Sicherung der Zufahrt durch die eingetragene Grunddienstbarkeit hat es der Grunddienstbarkeitsberechtigte grundsätzlich selbst in der Hand, die Zufahrt auch öffentlich-rechtlich im Wege einer Zufahrtsbaulast zu sichern. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs […] ist anerkannt, dass der Eigentümer eines durch Grunddienstbarkeit belasteten Grundstücks – als Nebenpflicht aus dem durch die Grunddienstbarkeit geschaffenen gesetzlichen Schuldverhältnis – verpflichtet ist, eine deckungsgleiche Baulast zu übernehmen, wenn die vorzunehmende beiderseitige Interessenabwägung einen Vorrang des Grunddienstbarkeitsberechtigten ergibt […]. Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind bei der vorliegenden Konstellation keine individuellen Besonderheiten ersichtlich, die gegen einen rechtlichen Anspruch des Klägers auf Einräumung einer Baulast sprechen und die daraus folgend die Eintragung einer Baulast dauerhaft ausschließen könnten. Zweck der zu Lasten des [Anliegergrundstücks] eingetragenen Grunddienstbarkeit war es ja gerade, die bisher bestehende Zufahrt des klägerischen Grundstücks und damit seine Bebaubarkeit dauerhaft abzusichern.

Unabhängig davon sind auch bereits keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Eigentümer des [Anliegergrundstücks] nicht zur Bestellung einer Baulast bereit wäre. […] Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Baulast im Verhältnis zur Grunddienstbarkeit keine nennenswerte zusätzliche Belastung des Anliegergrundstücks bewirkt. Sie begründet zwar ein öffentlich-rechtliches Verhältnis zur Bauaufsichtsbehörde und ist der privaten Dispositionsbefugnis entzogen. Dieser Nachteil wirkt sich wirtschaftlich aber erst nach einem Verzicht des Begünstigten auf die Grunddienstbarkeit aus. Da […] ein solcher Verzicht auf die Grunddienstbarkeit unter den hier gegebenen Umständen praktisch ausgeschlossen sein dürfte - der Kläger hat selbst eingeräumt, die Zufahrt über die streitgegenständliche Erschließungsanlage etwa für die Anlieferung von Heizöl zu nutzen –, wäre die Einräumung einer Baulast nicht mit einer wirtschaftlich relevanten Belastung für den Eigentümer des [Anliegergrundstücks] verbunden. Dementsprechend ist unter den hier gegebenen Umständen die Bestellung einer Grunddienstbarkeit einer öffentlich-rechtlichen Sicherung in Form der Bestellung einer Baulast gleichzusetzen.“

Voraussetzungen für die Beitragspflicht des Hinterliegers i.S.d. § 133 Abs. 1 BauGB

Das streitgegenständliche Grundstück unterliegt auch der Beitragspflicht.

Nach § 133 Abs. 1 BauGB sind diejenigen Grundstücke beitragspflichtig, für die eine bauliche oder gewerbliche Nutzung festgesetzt ist, sobald sie bebaut oder gewerblich genutzt werden dürfen.

Da es – wie oben dargelegt - bislang an der Bestellung einer Zufahrtsbaulast fehlt, wird den bauordnungsrechtlichen Anforderungen […] zwar nicht genügt. § 133 Abs. 1 BauGB verlangt jedoch „nicht ausnahmslos, dass allen Erreichbarkeitsanforderungen - namentlich des landesrechtlichen Bauordnungsrechts - bereits vollauf genügt wird und angesichts dessen der Aufnahme der baulichen (oder gewerblichen) Nutzung nichts mehr im Wege steht. Vielmehr reicht es aus, wenn ein Hinterliegergrundstück derart „bebaubar“ ist, dass lediglich noch Hindernisse bestehen, die durch entsprechende Schritte des Eigentümers des Hinterliegergrundstücks ausgeräumt werden können. Bei wertender Betrachtungsweise wird in dieser Konstellation dem Eigentümer des Hinterliegergrundstücks ein ausreichender Erschließungsvorteil vermittelt, der es rechtfertigt, von ihm schon jetzt unmittelbar den Erschließungsbeitrag zu verlangen. Es reicht danach aus, dass es auf Grundlage einer bestellten Grundschuld in der Verfügungsmacht des Grundstückseigentümers steht, die für eine aktuelle Bebaubarkeit des Grundstücks aufgestellten - bundesrechtlichen wie landesrechtlichen - Voraussetzungen zu erfüllen […].

Im vorliegenden Fall kann der Kläger […] die Zuwegung zu seinem Hinterliegergrundstück öffentlich-rechtlich im Wege einer Baulast absichern […]“ Damit hat er die Erfüllung der bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen selbst in der Hand. Das Grundstück erfüllt somit auch die Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 BauGB.

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zur Sicherung der Zufahrt bei Hinterliegergrundstücken in der Rdnr. 853 .


Unsere Tipps für die Praxis:

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