Gegenstand Ihrer Gemeinderatssitzung sind Überlegungen zu Planung und Bau einer Straße mit Fahrbahn mit 2 Gehwegen. Die Gemeinde stellt sodann die Straße zunächst nur mit einem Gehweg her. Erst zu einem späteren Zeitpunkt soll der zweite Gehweg hergestellt werden.
Im Gemeinderat stehen sich 3 Fraktionen unversöhnlich gegenüber:
Fraktion „keine Bürger-Abzocke“ möchte überhaupt keine Beiträge erheben.
Fraktion „Freunde der Gemeindekasse“ möchte so viel Beitrag wie möglich erheben.
Fraktion „Halbe Sache“ möchte nur Fahrbahn + 1 Gehweg abrechnen - den 2. Gehweg aber nicht.
Fraktion „keine Bürger-Abzocke“
Für die komplette Erschließungsanlage möchte sie nach deren Herstellung überhaupt keine Erschließungsbeiträge erheben. Suchen Sie nach einem Weg. Denken Sie dabei an die Planung.
Fraktion „Freunde der Gemeindekasse“
Für die Erschließungsanlage möchte sie so viel wie möglich an Beiträgen erheben. Suchen Sie nach einem Weg. Denken Sie dabei an die Planung.
Fraktion „Halbe Sache“
Für Fahrbahn und Gehweg Nr. 1 möchte sie Beiträge erheben, nicht aber für den später hergestellten zweiten Gehweg. Suchen Sie nach einem Weg. Denken Sie dabei an die Planung.
Die Gemeinde plant von vornherein zwei Gehwege, baut aber einen davon nicht. Da die Erschließungsanlage damit noch nicht endgültig hergestellt ist, kann die sachliche Beitragspflicht (§ 133 Abs. 2 BauGB) nicht entstehen. Also tut die Gemeinde nichts: Sie erlässt keinen Beitragsbescheid und wartet lieber ab, bis eine der inzwischen zahlreichen Beitragserhebungsausschlussfristen verstrichen ist. In diesem Fall z.B. die in Bayern geltende 25-jahrsfrist (Art. 5 a Abs. 7 S. 2 KAG-BY), die mit dem „Beginn der Herstellung“ zu laufen beginnt. Eine Lösung für Fraktion „keine Bürger-Abzocke“. Halten Sie das für vertretbar? Was hätte sie stattdessen tun können? Lesen Sie Teil 2 .
Die Gemeinde hätte die Erschließungsanlage ohne den 2. Gehweg im Wege der Kostenspaltung abrechnen können. § 127 Abs. 3 BauGB möglich es, den Erschließungsbeitrag für den Grunderwerb, die Freilegung und für Teile von Erschließungsanlagen selbständig zu erheben. Mit der – im Ermessen der Gemeinde stehenden - Kostenspaltung werden die fertiggestellten Teilmaßnahmen endgültig abgerechnet. Ein Fall für die Fraktion „Halbe Sache“.
Die Gemeinde hat es mit ihrer Planung in der Hand, auf das beitragsrechtliche Ergebnis Einfluss zu nehmen.
Plant die Gemeinde mit 2 Gehwegen, dann entsteht die sachliche Beitragspflicht erst mit dem Bau auch des 2. Gehwegs; die Gemeinde hat es aber in der Hand, in Ausübung des ihr zukommenden Ermessens Vorausleistungen zu erheben: Gemäß § 133 Abs. 3 BauGB können für ein Grundstück, für das eine Beitragspflicht noch nicht oder nicht in vollem Umfang entstanden ist, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag bis zur Höhe des voraussichtlichen endgültigen Erschließungsbeitrags verlangt werden, wenn … mit der Herstellung der Erschließungsanlagen begonnen worden ist. Voraussetzung ist aber, dass die endgültige Herstellung der Erschließungsanlagen innerhalb von vier Jahren zu erwarten ist. Ein Vorschlag für Fraktion „Freunde der Gemeindekasse“
Achtung: Bei der Erhebung von Vorausleistungen gibt es einen „Pferdefuß“: Ist die Beitragspflicht sechs Jahre nach Erlass des Vorausleistungsbescheids noch nicht entstanden, kann die Vorausleistung zurückverlangt werden, wenn die Erschließungsanlage bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht benutzbar ist. Der Rückzahlungsanspruch ist ab Erhebung der Vorausleistung mit 2 vom Hundert über dem Basiszinssatz nach § 247 des Bürgerlichen Gesetzbuchs jährlich zu verzinsen.
Achtung: Noch ein „Pferdefuß“: Es droht gegebenenfalls Ärger, wenn zwischen Erhebung der Vorausleistung und der späteren endgültigen Beitragserhebung das Eigentum an dem betroffenen Grundstück wechselt: Die Vorausleistung ist mit der endgültigen Beitragsschuld zu verrechnen, auch wenn der Vorausleistende nicht beitragspflichtig ist.
Plant die Gemeinde von vornherein die Erschließungsanlage mit lediglich einem Gehweg, dann entsteht mit dem baulichen Ergebnis die sachliche Beitragspflicht – die Gemeinde kann die Beiträge erheben.
Plant die Gemeinde dann zu einem späteren Zeitpunkt den 2. Gehweg hinzu, erweitert also die bestehende (= endgültig hergestellte) Erschließungsanlage, dann ist dieser2. Gehweg nicht mehr beitragsfähig Fraktion – ein Tipp für die Fraktion „Halbe Sache“. Liegt die Gemeinde in einem der Bundesländer, in denen die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen zulässig ist, dann kann in dieser Konstellation der 2. Gehweg gegebenenfalls als Straßenausbaubeitrag abgerechnet werden. Schauen Sie doch mal in das für Ihr Bundesland geltende Kommunalabgabengesetz.
In Ihrem Matloch/Wiens Erschließungsbeitragsrecht finden Sie zu der oben genannten 25-Jahrs-Frist umfangreiche Erläuterungen bei Rdnrn. 1140 ff., zum Entstehen der sachlichen Beitragspflicht bei Rdnrn. 1100 ff.
Bei den dargestellten Lösungsansätzen:
Denken Sie bitte daran, dass das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht gem. § 133 Abs. 2 BauGB noch an anderen Umständen scheitern kann – z.B. im Falle des Fehlens einer gültigen Beitragssatzung.