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16.08.2021

Beitragspflichtigkeit und Bebaubarkeit eines Hinterliegergrundstücks

Gerade bei der Frage des Erschlossenseins und der Beitragspflicht greifen das Baurecht und das Recht der Erschließungsbeiträge ineinander: Wie das streitgegenständliche Grundstück im Einzelfall bebaut werden kann, wird zu einer weichenstellenden Vorfrage des Beitragsrechts.

 

Der Fall:

Der Antragsteller wurde für mehrere Anlieger-, aber auch das – hier streitgegenständliche – Hinterliegergrundstück zu einem Erschließungsbeitrag herangezogen. Er legte gegen den Beitragsbescheid Widerspruch ein und ersuchte das Verwaltungsgericht um Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Er berief sich dabei darauf, dass das gefangene Hinterliegergrundstück nicht bebaubar sei. In dem Beschluss über die Beschwerde gegen die erstinstanzliche Entscheidung befasste sich der Senat des Oberverwaltungsgerichts deswegen auch vertieft mit baurechtlichen Fragestellungen.

 

Die höchstrichterliche Entscheidung:

Das Oberverwaltungsgericht hat die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen. Die antragabweisende erstinstanzliche Entscheidung sei rechtmäßig, da das streitbefangene Hinterliegergrundstück sowohl erschlossen als auch beitragspflichtig sei.

 

Hinterliegergrundstück erschlossen i.S.d. § 131 Abs. 1 BauGB

Das Oberverwaltungsgericht stellte zunächst klar, dass das Grundstück erschlossen i.S.d. § 131 Abs. 1 BauGB sei.

Das Verwaltungsgericht habe zutreffend erkannt, dass sich „eine Erschließung i. S. d. § 131 Abs. 1 BauGB bereits daraus ergibt, dass der Antragsteller nicht nur Eigentümer des Hinterliegergrundstücks, sondern gleichzeitig auch Eigentümer der Anliegergrundstücke ist, über welche eine Zufahrt möglich wäre […]. Denn bei sogenannten gefangenen Hinterliegergrundstücken, die ausschließlich über das vorgelagerte Anliegergrundstück eine Verbindung zur Erschließungsanlage haben, kann allein schon die Eigentümeridentität als solche eine schutzwürdige Erwartung der übrigen Grundstückseigentümer auf Einbeziehung in den Kreis der erschlossenen Grundstücke begründen […]. Aber selbst dann, wenn bei Eigentümeridentität und fehlender Straßenanbindung noch eine einheitliche Nutzung beider Grundstücke (Hinterlieger- und Anliegergrundstück) gefordert würde […], ist das Hinterliegergrundstück als erschlossen anzusehen. Von einer einheitlichen Nutzung von Anlieger- und Hinterliegergrundstück ist auszugehen, wenn und soweit sie aus Sicht der übrigen Beitragspflichtigen die gemeinsame Grenze gleichsam verwischt und die Grundstücke als ein (größeres) Grundstück erscheinen lässt, welches den Eindruck vermittelt, es könne mit einer erschließungsbeitragsrechtlich relevanten Wahrscheinlichkeit typischerweise mit einer Inanspruchnahme der Anbaustraße auch durch das Hinterliegergrundstück gerechnet werden […]. Dabei können auch unterschiedliche Nutzungen einheitlich sein, wenn sie einander ergänzen […]. Auch diese Voraussetzungen liegen vor. Bereits aufgrund des Lichtbildes […], wird deutlich, dass die ebenfalls im Eigentum des Antragstellers stehenden Anliegergrundstücke […] mit dem streitgegenständlichen Hinterliegergrundstück eine gemeinsame Rasenfläche aufweisen und augenscheinlich einheitlich als Gartenfläche genutzt werden. Darüber hinaus ergibt sich die einheitliche Nutzung auch daraus, dass über das Hinterliegergrundstück die Versorgungsleitungen für das Anliegergrundstück … verlaufen. Insoweit liegen hier nach summarischer Bewertung ausreichende tatsächliche Umstände vor, die – jedenfalls in ihrer Gesamtschau – auch den Tatbestand einer einheitlichen Nutzung begründen.“

 

Hinterliegergrundstück auch beitragspflichtig i.S.d. § 133 Abs. 1 BauGB,

Bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Bebaubarkeit als Voraussetzung der Beitragspflicht

„Entgegen dem Vorbringen des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht weiter zutreffend angenommen, dass das Hinterliegergrundstück i. S. d. § 133 Abs. 1 Satz 2 BauGB bebaubar ist. § 133 Abs. 1 BauGB verlangt mit seinen Tatbestandsmerkmalen "bebaut oder gewerblich genutzt werden dürfen" (Satz 1) bzw. "Bauland" mit der Folge, dass die "Grundstücke ... zur Bebauung anstehen" (Satz 2) nicht, dass allen Erreichbarkeitsanforderungen namentlich des landesrechtlichen Bauordnungsrechts bereits bei Entstehung der Beitragspflicht vollauf genügt ist und angesichts dessen der Aufnahme der baulichen (oder gewerblichen) Nutzung nichts mehr im Wege steht […]. Vielmehr ist ein durch eine Anbaustraße gemäß § 131 Abs. 1 BauGB erschlossenes Hinterliegergrundstück dann, wenn es (nur noch) in der Hand des Eigentümers liegt, mit Blick auf diese Anlage die Erreichbarkeitsanforderungen zu erfüllen, von denen das (bundesrechtliche) Bebauungsrecht und das (landesrechtliche) Bauordnungsrecht die bauliche oder gewerbliche Nutzung des Grundstücks abhängig machen, als bebaubar anzusehen […]. Schließlich hat es in den Fällen der Eigentümeridentität, d. h. in Fällen, in denen – wie hier – das Anlieger- und das Hinterliegergrundstück im Eigentum derselben Person stehen, der Eigentümer regelmäßig selbst in der Hand, durch geeignete Maßnahmen etwaige Hindernisse solcher Art zu beseitigen; ob er davon Gebrauch macht, ist beitragsrechtlich unerheblich […].

Wenn es insoweit allein in der Verfügungsmacht des Eigentümers steht, die für eine aktuelle Bebaubarkeit des Grundstücks aufgestellten bundesrechtlichen wie landesrechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen, ist im Wege einer Prognose zu ermitteln, ob ein Bauvorhaben auf dem Grundstück errichtet werden dürfte, sofern der Eigentümer die von seiner Seite erforderlichen Schritte unternimmt […].“

 

Inzidente baurechtliche Prüfung

An diesem Maßstab messend kam das Oberverwaltungsgericht zu dem Schluss, dass das streitbefangene Hinterliegergrundstück jedenfalls z.B. mit Garagen, Gebäuden ohne Aufenthaltsräume, gebäudeähnlichen Solaranlagen bzw. mit Nebenanlagen i. S. d. § 14 BauNVO bebaut werden könne.

„Soweit der Antragsteller vorbringt, dass auf dem Grundstück keine Nebenanlagen i. S. d. § 14 BauNVO zulässig seien, da diese der Hauptanlage stets funktionell zugeordnet und ihr räumlich-gegenständlich untergeordnet sein müssen, übersieht er, dass es nicht zwingend erforderlich ist, dass Haupt- und Nebenanlage auf demselben Grundstück liegen; vielmehr ist die Lage in demselben Baugebiet ausreichend […]. Aufgrund der gemeinsamen Gartenfläche, die das Grundstück mit den angrenzenden, ebenfalls im Eigentum des Antragstellers stehenden Grundstücken […] bildet, ist es auch nach der Abrundungssatzung der Antragsgegnerin nicht ausgeschlossen, dass auf dem Hinterliegergrundstück den anderen Grundstücken dienende etwaige Nebenanlagen, wie beispielsweise größere Holzlagerschuppen oder ähnliche bauliche Anlagen, die den angrenzenden Wohnhäusern untergeordnet sind und nicht als unterwertig anzusehen sein müssen, errichtet werden können.

Zudem ist nicht erkennbar, dass, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts, die Errichtung von Garagen i. S. d. § 12 Abs. 2 BauNVO i. V. m. § 34 Abs. 2 BauGB vorliegend ausgeschlossen sein könnte. Soweit der Antragsteller hierzu vorträgt, es fehle bei der Errichtung von Garagen oder Stellplätzen an einem zwingenden Zusammenhang mit einer Hauptanlage auf einem anderen Baugrundstück im Baugebiet, aus deren Nutzung sich die Erforderlichkeit der Nebenanlage ergebe, bezieht er sich […] auf die Zulässigkeit der Ausweisung gesonderter Stellplätze bzw. Garagen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 4 BauGB. Ein solcher Fall liegt hier indes nicht vor. […] Dies gilt umso mehr als – anders als der Antragsteller meint – bei der Zulässigkeit von Garagen gemäß § 12 Abs. 2 BauNVO gerade nicht auf den grundstücksbezogenen, sondern auf den gebietsbezogenen Bedarf abzustellen ist. Die Grenzen des insoweit maßgeblichen Baugebietes sind dabei nicht zwingend identisch mit den Grenzen einer bestimmten Gebietsausweisung in einem Bebauungsplan und brauchen erst recht nicht mit den bei der Beurteilung der planungsrechtlichen Zulässigkeit von Stellplatz- und Garagenbauvorhaben im unbeplanten Innenbereich in aller Regel eher eng zu ziehenden Grenzen der näheren Umgebung übereinzustimmen. […].“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten höchstrichterlichen Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zur Beitragspflicht in den Rdnrn. 1001 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

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