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11.02.2021

Ausschluss der Beitragserhebung wegen Fristablaufs

Der Grundsatz:

Gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG-BY ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig, …..

Dies gilt in der Sache – mit landesrechtlich normierten Änderungen – grundsätzlich auch für alle übrigen Bundesländer; zu den Besonderheiten s. bei unseren „Tipps für die Praxis“.

 

Der Fall:

Im Jahr 2018 setzte die beklagte Stadt für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage F......weg gegenüber dem Kläger als Eigentümer eines erschlossenen Grundstücks einen Erschließungsbeitrag fest und forderte den Kläger zur Zahlung auf. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhob der Beitragspflichtige Klage zum Verwaltungsgericht.

 

Die erstinstanzliche Entscheidung:

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG schließe die Festsetzung eines Erschließungsbeitrags für die erstmalige endgültige Herstellung des F......wegs nicht aus, auch wenn mit der Herstellung im Jahr 1991 begonnen worden sei.

Denn die Vorteilslage sei erst mit dem Beschluss des Bau- und Planungsausschusses der Beklagten vom 17. Januar 2018 eingetreten. Das gemeindliche Bauprogramm der Beklagten habe ursprünglich vorgesehen, den F......weg durchgehend in einer Breite von 7,5 m bis 8,0 m herzustellen. Da im Bereich des klägerischen Grundstücks die Grunderwerbsverhandlungen gescheitert seien, sei der F......weg in diesem Streckenabschnitt nur in einer Breite von ca. 5,0 m errichtet worden. Die weitergehende gemeindliche Planung sei zunächst nicht aufgegeben worden. Vielmehr habe der Bauausschuss am 5. Februar 1992 ausdrücklich beschlossen, auf den Restausbau des F......wegs nicht zu verzichten und festgestellt, dass der F......weg in seinem damaligen Ausbauzustand noch nicht endgültig fertiggestellt sei. Erst mit Beschluss des Bau- und Planungsausschusses vom 17. Januar 2018 habe die Beklagte ihre weitergehende Planung aufgegeben und beschlossen, dass ein weiterer Ausbau des F......wegs nicht erforderlich sei. Die Höchstfrist für die Festsetzung des Erschließungsbeitrags von 20 Jahren ab Eintritt der Vorteilslage sei daher im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids noch nicht abgelaufen gewesen. Auch Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG stehe der Rechtmäßigkeit der Beitragsfestsetzung nicht entgegen, weil diese Regelung erst am 1. April 2021 in Kraft trete. Schließlich sei die Beitragsfestsetzung auch nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben verwirkt. Das Gesetz mache der erhebungsberechtigten Gemeinde darüber hinaus keine zeitlichen Vorgaben, innerhalb welcher sie die in ihrer Verantwortung liegenden Entstehungsvoraussetzungen für einen Beitragsanspruch herbeizuführen habe. Allein aus Zeitablauf könne eine Verwirkung des Rechts, Erschließungsbeiträge zu erheben, daher nicht eintreten.

 

Der Kläger ließ sich hiervon nicht überzeugen und beantragte die Zulassung der Berufung.

Er macht geltend, die Beitragsforderung sei verjährt, weil die maßgeblichen Arbeiten am F......weg bereits im Jahr 1992 abgeschlossen gewesen seien. Es sei nicht ersichtlich, was seinerzeit gegen eine Abrechnung gesprochen hätte. Dies bestätige auch der Teilschlussbericht über den Ausbau des F......wegs vom 3. Februar 1997. Es sei nicht ersichtlich, was seinerzeit gegen eine Abrechnung gesprochen hätte. Seit 1992 habe es keinen Baufortschritt mehr gegeben. Es komme nicht auf irgendeine Beschlussfassung, sondern auf die objektive Sachlage an. Die Vorteilslage sei im Jahr 1992 eingetreten. Andernfalls hätte die Beklagte es nach ihrem Belieben in der Hand, die Vorteilslage eintreten zu lassen. Auch die Beklagte sei ursprünglich von einem Eintritt der Vorteilslage im Jahr 1992 ausgegangen, sonst hätte sie nicht bereits in diesem Jahr mit der Abrechnung begonnen. Nach dem Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG zugrundeliegenden Rechtsstaatsprinzip genieße der Kläger nach über 26 Jahren einen enormen Vertrauensschutz. Die Beklagte habe mit einem Schreiben im Jahr 1995 gegenüber der Widerspruchsbehörde dokumentiert, dass sie von einer endgültig hergestellten Erschließungsanlage ausgehe, was eine konkludente Billigung des Ausbauzustandes beinhalte.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Das Berufungsgericht hatte an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb deshalb ohne Erfolg.

Die Vorteilslage konnte nicht bereits im Jahr 1992 entstehen, weil die Anlage zu dieser Zeit noch nicht ausreichend hergestellt war.

„Die beklagte Stadt war – wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat – nicht gehindert, für die Herstellung des F......wegs Erschließungsbeiträge nach Art. 5a KAG in Verbindung mit §§ 128 ff. BauGB zu erheben. Dem steht nicht entgegen, dass mit der Herstellung der Erschließungsanlage bereits im Jahr 1991 begonnen worden war und nach 1992 keine weiteren Baumaßnahmen mehr durchgeführt worden sind. Denn der 1992 erreichte Bauzustand mit der Engstelle im Bereich des klägerischen Grundstücks blieb hinter dem ursprünglichen gemeindlichen Bauprogramm zurück, weshalb – entgegen der Ansicht des Klägers – bis zur Änderung des gemeindlichen Bauprogramms im Jahr 2018 die Erschließungsbeitragspflicht nicht entstehen konnte und auch die Vorteilslage nicht eingetreten ist.“

 

Zur endgültigen Herstellung bedarf es der Verwirklichung des gemeindlichen Bauprogramms.

„Das Entstehen der – sachlichen – Beitragspflicht setzt die endgültige Herstellung der Erschließungsanlage voraus (vgl. § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB). Die Merkmale der endgültigen Herstellung sind von der Gemeinde durch Satzung zu regeln (§ 132 Nr. 4 BauGB). Das gilt sowohl für die Teileinrichtungen der Erschließungsanlage, zu denen insbesondere die Fahrbahn zählt, als auch die bautechnische Ausgestaltung der Teileinrichtungen. Welche flächenmäßigen Teileinrichtungen in welchem Umfang die Gesamtfläche der jeweiligen Straße in Anspruch nehmen sollen, kann in der Erschließungsbeitragssatzung festgelegt werden, muss es aber nicht und wird es in der Regel – so auch im vorliegenden Fall – nicht, weil die Flächenaufteilung von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Es genügt, dass die Gemeinde das in einem formlosen, auf die konkrete Einzelanlage bezogenen Bauprogramm bestimmt. Eine ausdrückliche Entscheidung empfiehlt sich, ist aber nicht zwingend notwendig. Das Bauprogramm kann sich auch (mittelbar) aus Beschlüssen des Gemeinderats oder seiner Ausschüsse sowie den solchen Beschlüssen zugrundeliegenden Unterlagen und selbst aus der Auftragsvergabe ergeben (…). Es kann solange mit Auswirkungen auf das Erschließungsbeitragsrecht geändert werden, wie die Straße noch nicht einem für sie aufgestellten Bauprogramm entspricht, d.h. noch nicht endgültig im Sinne des § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB hergestellt worden ist (…). Um im Rechtssinn „endgültig hergestellt“ zu sein, muss also die Erschließungsanlage in vollem Umfang programmgemäß fertiggestellt sein. Das verlangt mit Blick auf die flächenmäßigen Teileinrichtungen, dass sie nicht nur auf der gesamten im Bauprogramm dafür vorgesehenen Fläche angelegt sind, sondern auch auf der gesamten Fläche die bautechnischen Anforderungen des Ausbauprogramms nicht unterschreiten. Solange sie dahinter zurückbleiben, scheidet eine endgültige Herstellung aus, es sei denn, die Gemeinde gibt – durch das zuständige Gemeindeorgan – ihr weitergehendes Programm auf (...).“

 

Erst das im Jahr 2018 geänderte Bauprogramm führte zu einer ausreichenden Herstellung, die Vorteilslage trat nicht zu einem früheren Zeitpunkt ein.

„Gemessen daran wurde der F......weg erst mit der Aufgabe der ursprünglichen Planung durch den Beschluss des Bau- und Planungsausschusses vom 17. Januar 2018 „endgültig hergestellt“, wovon das Verwaltungsgericht zutreffend ausgegangen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt war die 1991/1992 angelegte Straße hinter dem ursprünglichen gemeindlichen Bauprogramm zurückgeblieben, weil sie im Bereich des klägerischen Grundstücks wegen des gescheiterten Grunderwerbs nicht mit der durchgehend vorgesehenen Breite von 7,5 bis 8,0 m hatte gebaut werden können. Eine Umplanung mit Verringerung der Ausbaubreite vor dem klägerischen Grundstück hatte der Bauausschuss am 5. Februar 1992 aufgrund einer Stellungnahme des Tiefbauamtes ausdrücklich abgelehnt. Der vom Kläger angeführte Teilschlussbericht über den Ausbau des F......wegs vom 3. Februar 2007 stellt schon als verwaltungsinterne Mitteilung keine konkludente Änderung des Bauprogramms für den F......weg durch das zuständige Gemeindeorgan, nämlich den für den Gemeinderat handelnden beschließenden Ausschuss, dar. Gleiches gilt für die Stellungnahme des Bauamts der Beklagten vom 10. Mai 1995 an die Regierung von Niederbayern im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens. Die Änderung des Bauprogramms für den F......weg erfolgte erst am 17. Januar 2018, als der Bau- und Planungsausschuss der Beklagten aufgrund einer entsprechenden Stellungnahme des Tiefbauamts das weitergehende Bauprogramm aufgab. Erst damit wurde der F......weg endgültig hergestellt. Stichhaltige Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte bereits zuvor ihre weitergehende Planung konkludent aufgegeben haben könnte, sind nicht ersichtlich.“

 

Für den Eintritt der Vorteilslage bedarf es der endgültigen technischen Fertigstellung der Anlage.

„Aus denselben Gründen kann die Beitragserhebung auch nicht an der Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG scheitern. Nach dieser Vorschrift ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig. Ob eine Erschließungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt und die Vorteilslage folglich eingetreten ist, beurteilt sich nicht nach – kaum greifbaren – allgemeinen Vorstellungen von einer „Benutzbarkeit“ und „Gebrauchsfertigkeit“ der Anlage oder einer „ausreichenden Erschließung“ der angrenzenden Grundstücke. Beurteilungsmaßstab ist vielmehr die konkrete Planung der Gemeinde für die jeweilige Anlage. Die Vorteilslage tritt nach ständiger Rechtsprechung des Senats bei einer Anbaustraße vielmehr (erst) dann ein, wenn sie endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht ...). Auch insoweit ist demnach der Beschluss des Planungs- und Bauausschusses vom 17. Januar 2018 maßgebend, mit dem die Beklagte ihre weitergehende Planung aufgegeben hat. Erst damit ist die Vorteilslage eingetreten und die Ausschlussfrist des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG in Gang gesetzt worden.“

 

Kein Vertrauensschutz

Weitere zeitliche Grenzen oder Vorgaben macht das Erschließungsbeitragsrecht den erhebungsberechtigten Gemeinden nicht (…), so dass der bloße Zeitablauf nicht zu einer Verwirkung führen kann. Ein etwaiges Vertrauen der Anlieger darauf, dass der F......weg ein beitragsfreies Provisorium bleibt oder jedenfalls keine Erschließungsbeiträge erhoben werden, ist nicht schutzwürdig.

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens sind die einschlägigen Rechtsfragen umfangreich erläutert bei Rdnrn. 440 ff. und 1140 .


Unsere Tipps für die Praxis:

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