Alle Treffer anzeigen
Dieses Fenster schliessen
29.04.2020

Antrag auf Rücknahme eines bestandskräftigen Erschließungsbeitragsbescheids

Der Fall:

Eine Gemeinde erließ einen Bescheid, mit dem sie gegenüber dem Beitragspflichtigen einen Erschließungsbeitrag festsetzte. Der Bescheid enthielt eine ordnungsgemäße Rechtsbehelfsbelehrung, wurde aber nicht angefochten. Daher trat Bestandskraft ein. Erst zu einem späteren Zeitpunkt gelangte der Beitragspflichtige zu der Auffassung, der Beitragsbescheid sei rechtswidrig, weil er gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeitverstoße. Der Beitragspflichtige  beantragte daraufhin bei der Gemeinde, den Bescheid trotz eingetretenen Bestandskraft aufzuheben. Dem kam die Gemeinde nicht nach. Die Klage des Beitragspflichtigen blieb in erster Instanz erfolglos, der Kläger beantragte deshalb unter Verweis auf die grundsätzliche Bedeutung die Zulassung der Berufung.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Keine grundsätzliche Bedeutung:

„Die … Frage, ob das Ermessen der Behörde … dann auf Null reduziert ist, wenn der bestandskräftige Verwaltungsakt gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit verstößt und deshalb materiell rechtswidrig ist", führt nicht auf eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; sie lässt sich auch ohne Durchführung eines Berufungsverfahrens aufgrund der höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung zweifelsfrei beantworten.“ …

Unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Rücknahme gemäß § 130 Abs. 1 AO bestehen kann, weil das Rücknahmeermessen auf Null reduziert ist, ist in der Rechtsprechung geklärt:

„Eine Ermessensreduzierung auf Null ist danach anzunehmen, wenn die Aufrechterhaltung eines bestandskräftigen Verwaltungsakts aufgrund von Besonderheiten des Einzelfalls "schlechthin unerträglich" wäre oder Umstände gegeben sind, die die Berufung auf die Unanfechtbarkeit als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. …

Letzteres ist insbesondere der Fall, wenn die Behörde bewusst einen rechtswidrigen Verwaltungsakt allein in der Hoffnung erlässt, er werde mangels Anfechtung bestandskräftig und könne dann durchgesetzt werden. …

Eine Pflicht zur Rücknahme kann sich darüber hinaus aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 GG ergeben, wenn sich eine Verwaltungspraxis und damit eine Selbstbindung der Verwaltung dahin gebildet hat, dass in Fällen bestimmter Art der Verwaltungsakt zurückgenommen wird und eine Abweichung von einer solchen Praxis im konkreten Falle nicht auf sachgerechten Erwägungen beruht.

Ob diese Voraussetzungen einer Ermessensreduzierung auf Null vorliegen, hängt stets von den tatsächlichen Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalles ab und entzieht sich einer rechtsgrundsätzlichen Beantwortung. …

Hieraus ergibt sich ohne Weiteres, dass ein unter Verstoß gegen das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit ergangener Beitragsbescheid nicht allein deswegen ungeachtet der Einzelfallumstände zurückzunehmen ist. Denn das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit steht in der Sache lediglich für eine einfachgesetzliche Verjährungs- bzw. Ausschlussfristregelung. Es soll - unter Abwägung mit dem staatlichen Interesses an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten - das Interesse der Bürger schützen, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. …

Ein Verstoß gegen dieses Gebot geht seinem Gewicht nach somit nicht über den Schweregrad anderer einfach-rechtlicher Rechtsverstöße hinaus. Es bleibt auf der Ebene der Prüfung des Rücknahmeermessens Raum für die Berücksichtigung weiterer - je nach Lage der Dinge gegen eine Rücknahme sprechender - Einzelfallgesichtspunkte. Diese sind einer weiteren verallgemeinernden Klärung indes nicht zugänglich.

Losgelöst davon wirft die vom Kläger gestellte Frage auch deswegen keinen weitergehenden grundsätzlichen Klärungsbedarf auf, weil gleichfalls geklärt ist, dass selbst Verfassungsverstöße nicht zwangsläufig eine Ermessensreduzierung auf Null nach sich ziehen.“

Dem Bürger ist es auch bei einem Verfassungsverstoß zuzumuten, hiergegen mit den gegebenen Rechtsmitteln, notfalls mit der Verfassungsbeschwerde vorzugehen:

„Die in § 130 Abs. 1 AO vorgesehene Möglichkeit, rechtswidrige Verwaltungsakte zurückzunehmen, dient nicht dazu, die Folgen eines nicht eingelegten oder nicht weiterverfolgten Rechtsbehelfs auszugleichen. Geht ein Kläger nicht mit den gegebenen Rechtsmitteln und notfalls im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde gegen den ursprünglichen Beitragsbescheid vor, ist die Ablehnung der nachträglichen Korrektur regelmäßig ermessensfehlerfrei, sofern nicht unter Berücksichtigung aller Umstände die Durchführung eines Widerspruchs- bzw. Klageverfahrens billigerweise unzumutbar erscheint.“


Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiensfinden Sie zum streitgegenständlichen Thema ausführliche Erläuterungen sowie die einschlägige Rechtsprechung Thema bei Rdnrn. 1130 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.

Das Passwort erhalten Sie mit der aktuellen Ergänzungslieferung. Sie finden es auf der Rückseite des Vorworts. Wenn sie Cookies auf Ihrem PC aktivieren, genügt die einmalige Eingabe des Passwortes.


Sie sind nicht Bezieher des Matloch/Wiens und möchten die Tipps für die Praxis lesen? Dann klicken Sie bitte auf Service


Bitte Ihr Passwort eingeben: