Die Gemeinde hat es in der Hand, ob sie die Vorauszahlungen, die mit Bescheiden bis 31. Dezember 2017 bekanntgegeben wurden und bei denen bis zum 31. Dezember 2017 eine endgültige Abrechnung noch nicht stattgefunden hatte, endgültig behalten darf:
Sie kann die Vorauszahlung behalten, wenn bis 31. Dezember 2024 die Vorteilslage entstanden ist und sie die fiktive Abrechnung des endgültigen Beitrags vorgenommen hat (Art. 19 Abs. 8 Satz 2 KAG). Die Vorteilslage ist entstanden, wenn die Anlage endgültig technisch fertiggestellt ist, der Grunderwerb muss jedoch nicht abgeschlossen sein. Dazu ist erforderlich, dass die Gemeinde das Bauprogramm vollständig realisiert hat. Es ist der Gemeinde jedoch nicht verwehrt, das Bauprogramm nachträglich zu ändern, indem es unter Aufgabe der ursprünglichen Planung das Bauprogramm reduziert bzw. auch ausweitet. Die Gemeinde kann auf einzelne Teileinrichtungen verzichten oder hinsichtlich des Umfangs der Maßnahme (z.B. längenmäßige Ausdehnung) ein Weniger genügen lassen. Es muss aber eine abrechenbare Anlage bleiben. Die Gemeinden können durch die endgültige technische Fertigstellung und fiktive Abrechnung eine Rückzahlung verhindern, was aus Sicht der Gemeinde sinnvoll ist und wozu die Gemeinden nach Art. 62 GO verpflichtet sind. Art. 62 GO verpflichtet die Gemeinden, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen zu beschaffen. Für die fiktive Abrechnung sind die Verhältnisse maßgebend zu dem die sachliche Beitragspflicht nach dem KAG in der Fassung vom 31. Dezember 2017 und der gemeindlichen Straßenausbaubeitragssatzung entstanden wäre. Änderungen der Grundstücksverhältnisse (Änderung des Abrechnungsgebiets, geänderte Nutzbarkeit der Grundstücke) zwischen der Vorauszahlung und der fiktiven Abrechnung sind im Rahmen der fiktiven Abrechnung zu berücksichtigen.
Die fiktive Abrechnung hat wie die bis zum 31. Dezember 2017 praktizierte Abrechnung des endgültigen Beitrags zu erfolgen. Die unterschiedliche Bezeichnung beruht darauf, dass bei der fiktiven Abrechnung die Weitergeltung der gemeindlichen Straßenausbaubeitragssatzung, die bis zum 31. Dezember 2017 galt, für Zwecke der Abrechnung fingiert werden muss. Fehler der fiktiven Abrechnung sind unschädlich. Sie führen nicht dazu, dass die Gemeinde die Vorauszahlung vollständig nach Art. 19 Abs. 8 KAG zurückzahlen muss. Die Vorauszahlung ist mit der fiktiven Beitragsschuld zu verrechnen, auch wenn der Vorauszahlende nicht beitragspflichtig geworden wäre. Ergibt die fiktive Abrechnung, dass die Vorauszahlung den endgültigen Beitrag übersteigt, ist der Unterschiedsbetrag auf Antrag des Vorauszahlenden zu erstatten (Art. 19 Abs. 8 Satz 3 KAG). Eine Frist für diese Antragstellung besteht nicht. Empfänger der Rückzahlung ist der Adressat des Vorauszahlungsbescheids und zwar unabhängig davon, ob ein Eigentumswechsel stattgefunden hat oder wer ursprünglich die Vorauszahlung geleistet hat. Ist der Adressat des Vorauszahlungsbescheids verstorben, geht das Antragsrecht auf den Rechtsnachfolger über (§ 1922 BGB).
Die fiktive Abrechnung stellt für die Grundstückseigentümer keinen anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Der Grundstückseigentümer muss seine Rechte im Wege eines Antrags auf Teilrückzahlung der Vorauszahlung geltend machen, soweit die Vorauszahlung den fiktiven Beitrag übersteigt. In diesem Rahmen kann er Einwendungen gegen die Berechnung des fiktiven Beitrags erheben (z.B. ihm stünde eine höhere Rückzahlung zu, weil der fiktive Beitrag für sein Grundstück niedriger wäre). Über diese Anträge hat die Gemeinde durch Bescheid zu entscheiden. Dabei handelt es sich um Verwaltungsakte im Bereich des Kommunalrechts (Art. 15. Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGVwGO), sodass ein fakultatives Widerspruchsverfahren möglich ist. Gegen einen ablehnenden Bescheid der Gemeinde kann der Grundstückseigentümer aber auch sofort Klage auf Erstattung eines höheren Betrages erheben. Eine isolierte Anfechtung der fiktiven Beitragsabrechnung scheidet aus. Ob außer den Antragstellern auf Rückzahlung jedem Vorauszahlenden eine fiktive Abrechnung mitgeteilt werden muss, ist im Gesetz nicht geregelt. Es ist jedoch ratsam, auch die Vorauszahlenden, die keinen Antrag gestellt haben, über das Ergebnis der Abrechnung und das Antragsrecht zu informieren.
Schafft die Gemeinde nicht die Voraussetzungen zum endgültigen Behalten der Vorauszahlung, muss sie gemäß Art. 19 Abs. 8 Satz 1 KAG ab 1. Januar 2025 auf Antrag den Vorauszahlungsbescheid aufheben und die Vorauszahlung frühestens ab 1. Mai 2025 zurückzahlen. Der Antrag auf vollständige Rückzahlung ist bis 31. Dezember 2025 zu stellen (Art. 19 Abs. 8 Satz 4 KAG). Eine Erstattung nach Art. 19 Abs. 9 KAG durch den Freistaat Bayern findet nicht statt, da Ursache für die Rückzahlung nicht die Aufhebung des Straßenausbaubeitrags ist, sondern das Versäumnis der Gemeinde die Voraussetzungen des Art. 19 Abs. 8 Satz 2 KAG zu schaffen.
Soweit vom Freistaat Bayern Leistungen aus dem Härtefallfonds an die Vorauszahlenden gewährt wurden, gehen die Erstattungsansprüche der Vorauszahlenden gegenüber der Gemeinde in Höhe des Härteausgleichs auf den Freistaat Bayern über (Art. 19a Abs. 10 Satz 1 KAG). Die Härtefallkommission für Straßenausbaubeiträge wird dann entsprechende Anträge auf Rückerstattung gegenüber den Gemeinden stellen.
Unsere Hinweise:
Näheres finden Sie in Ihrem Matloch/Wiens unter RdNr. 2203. Soweit unter RdNr. 2203 eine isolierte Anfechtung der fiktiven Abrechnung für möglich gehalten wird, wird die Kommentierung mit der nächsten Aktualisierung des Kommentars angepasst.