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12.09.2022

Ablösevertrag: Kostenschätzung – Sicherheitszuschlag zulässig?

Zwar steigen die Baupreise für den Straßenbau nicht ganz so gravierend, wie die für Wohngebäude (vgl. destatis.de), doch ist jede Gemeinde gut beraten, wenn sie in Zeiten von Rohstoffknappheit und Fachkräftemangel mit signifikanten Kostensteigerungen zwischen Kostenvoranschlag und Schlussrechnung rechnet. Je länger sich der Bau zieht, desto teurer wird es. Deswegen hat die Frage, die dem vorgestellten Fall zugrunde liegt, hohe praktische Bedeutung: Darf die Gemeinde in der Kostenschätzung, die der Berechnung der Ablösesumme zugrunde liegt, einen „Sicherheitszuschlag“ einpreisen?

 

Der Fall:

Die beklagte Gemeinde erhebt 2018 Erschließungsbeiträge vom Kläger. Im Klageverfahren trägt dieser vor, dass der Erschließungsbeitragsbescheid unwirksam sei, da der Erschließungsbeitrag 1999 bereits abgelöst worden sei. Die Gemeinde beruft sich auf die Unwirksamkeit des Ablösungsvertrags, da in dem der Berechnung der Ablösesumme zugrundeliegenden Kostenvoranschlag ein Kostenpuffer für „Unvorhergesehenes“ enthalten war. Da dies nicht zulässig gewesen sei, sei der Vertrag unwirksam und stehe der Beitragserhebung nicht entgegen.

 

Die gerichtliche Entscheidung:

Definition und Wirkung eines Ablösevertrags

„Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht des Eigentümers eines Grundstücks für den darauf entfallenden Anteil am beitragsfähigen Erschließungsaufwand mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Ist die Erschließung demnach grundsätzlich von der Gemeinde vorzufinanzieren, so kann diese gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB schon vor Entstehung der Beitragspflicht Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag erheben. Alternativ hierzu eröffnet § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB den Gemeinden als Ausnahme von dem gesetzlichen Verbot vertraglicher Vereinbarungen über Erschließungskosten die Möglichkeit, mit dem Eigentümer eines Grundstücks vor Entstehung der Beitragspflicht einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Ablösung des gesamten Erschließungsbeitrags zu schließen. Ein solcher Ablösungsvertrag bewirkt, dass ein anderenfalls mit Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht begründetes abstraktes Schuldverhältnis zwischen der Gemeinde und dem Grundeigentümer gar nicht erst entsteht, indem schon in einem Zeitpunkt, in dem die Anlage noch nicht endgültig hergestellt und folglich die Höhe des dafür anfallenden Aufwands nicht bekannt ist, eine abschließende vertragliche Regelung über die Belastung eines Grundstücks mit Erschließungskosten getroffen wird […].“
Der zwischen den Beteiligten geschlossene Ablösungsvertrag ist vorliegend wirksam.

 

Zur Ermittlung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands: Der Aufwand darf geschätzt werden.

„Die Erschließungsbeitragssatzung der beklagten Gemeinde enthält die Regelung, „wonach der beitragsfähige Erschließungsaufwand nach den tatsächlichen Kosten ermittelt wird. Für den mutmaßlichen beitragsfähigen Erschließungsaufwand bedeutet dies, dass dieser auf der Grundlage der voraussichtlich entstehenden, geschätzten tatsächlichen Erschließungskosten zu ermitteln ist […]. In Anlehnung an die Maßgaben zur Berechnung von Vorausleistungen nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist somit auch bei der Ermittlung des Ablösebetrags nach § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB davon auszugehen, dass die Gemeinde den mutmaßlichen beitragsfähigen Erschließungsaufwand im Wege der Kostenschätzung ermitteln darf und ihr damit auch eine diesbezügliche Schätzungsbefugnis zusteht. Dies ist notwendigerweise mit einem gewissen Spielraum sowie mit einer das Ergebnis der Schätzung betreffenden Toleranz verbunden […]. Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der Kostenschätzung ist hierbei nicht eine „centgenaue“ Deckungsgleichheit mit dem erst nach Abschluss der Bauarbeiten und Eingang der letzten Unternehmerrechnung feststellbaren Aufwand. Vielmehr bedarf es einer gewissenhaften Kostenschätzung […] unter Anwendung einer sachgerechten Schätzungsgrundlage […].“

„[…] Hieran gemessen ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – davon auszugehen, dass die der betreffenden Ablösevereinbarung zugrundeliegende Schätzung der voraussichtlich entstehenden, tatsächlichen Erschließungskosten rechtlich nicht zu beanstanden ist.“

 

In der Schätzgrundlage darf ein Sicherheitsaufschlag enthalten sein

„Die Beklagte hat zu diesem Zweck die den Straßenbau sowie den Bau der Kanalisation betreffenden Kostenvoranschläge des beauftragten Ingenieurbüros herangezogen, was grundsätzlich als sachgerechte Schätzungsgrundlage zu bewerten ist […]. Zwar enthalten diese Kostenvoranschläge unter den Nrn. 59 und 66 (Straßenbau) beziehungsweise Nr. 40 (Kanalisation) jeweils den Posten „Unvorhergesehenes“ und einen diesbezüglichen Prozentsatz in Höhe von circa 3 % beziehungsweise circa 6 %. Dies hat indes nicht zur Folge, dass damit die betreffenden Kostenvoranschläge nicht als sachgerechte Schätzungsgrundlage zur gewissenhaften Schätzung der voraussichtlich entstehenden, tatsächlichen Kosten der in Rede stehenden Erschließungsanlage zu bewerten wären.

Zunächst erscheint es durchaus sachgerecht, dass das beauftrage Ingenieurbüro in seinem Kostenvoranschlag mit den Posten „Unvorhergesehenes“ für sich eine gewisse finanzielle Reserve einkalkuliert hat. Denn vor dem Hintergrund, dass es bei Bauprojekten regelmäßig zu nicht ohne Weiteres vorhersehbaren Umständen und damit einhergehenden Kostensteigerungen kommt, wird damit dem nachvollziehbaren Bedürfnis Rechnung getragen, über einen gewissen finanziellen Puffer zu verfügen, um auf solch außerplanmäßige Situationen angemessen reagieren zu können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich dieser Puffer – wie vorliegend – in einem angemessenen Rahmen hält. Denn dieser beträgt […] bezogen auf die der Ablösevereinbarung […] zugrundeliegenden voraussichtlich entstehenden, geschätzten tatsächlichen Kosten […] lediglich rund 5,22 %.

Entgegen der Auffassung der Beklagten handelt es sich bei einer solchen finanziellen Reserve auch nicht um rein fiktive Kosten. Vielmehr liegt deren Einkalkulierung die empirisch gestützte Überlegung zugrunde, dass es bei Bauprojekten regelmäßig zu unvorhersehbaren Umständen und damit einhergehenden Kostensteigerungen kommt. „Unvorhersehbar“ sind somit lediglich die Umstände, auf denen solche Kostensteigerungen beruhen, nicht aber die Kostensteigerungen selbst, sodass es sich bei diesen durchaus um voraussichtlich entstehende, tatsächliche Erschließungskosten handelt. Vor diesem Hintergrund ist gegen die Berücksichtigung solcher Kostensteigerungen bei der Schätzung der voraussichtlich entstehenden, tatsächlichen Erschließungskosten zur Ermittlung des Ablösebetrags jedenfalls dann nichts zu erinnern, wenn hierfür – wie vorliegend – ein angemessener Betrag in Ansatz gebracht wird. Dabei braucht hier nicht abschließend entschieden zu werden, wo der Schätzungsspielraum der Gemeinde in solchen Fällen endet und nicht mehr von einem angemessenen, von der Schätzungsbefugnis noch gedeckten Betrag gesprochen werden kann. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall […] ist von einem noch angemessenen, von der Schätzungsbefugnis gedeckten Betrag auszugehen. Dies gilt umso mehr, als die tatsächlich entstandenen Kosten, die dem mit dem angegriffenen Bescheid festgesetzten Erschließungsbeitrag zugrunde liegen, […] die von der Beklagten geschätzten Kosten – trotz der Einbeziehung des Kostenpuffers – sogar übersteigen.“

„[…] Der Berücksichtigung einer angemessenen Kostenreserve kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, dass die Gemeinde bei der Schätzung der voraussichtlich entstehenden, tatsächlichen Erschließungskosten zur Ermittlung des Ablösebetrags nur solche Kosten berücksichtigen darf, die auch bei der endgültigen Heranziehung beitragsfähig sind. Denn dies ist zwar durchaus zutreffend […]. Indes ist damit keineswegs gesagt, dass deshalb eine angemessene Kostenreserve zur Abdeckung zu erwartender Kostensteigerungen im Rahmen der Kostenschätzung zur Bestimmung des Ablösebetrags stets außen vor zu bleiben hätte. Denn eine solche Sichtweise ließe die strukturellen Unterschiede unberücksichtigt, die naturgemäß zwischen der Kostenschätzung zur Bestimmung des Ablösebetrags und der Kostenermittlung zur Bestimmung des endgültigen Erschließungsbeitrags bestehen. Denn während erstere stets aus der Ex-ante-Perspektive stattfindet und sich auf zu diesem Zeitpunkt noch ungewisse Kosten bezieht, geschieht letztere stets aus der Ex-post-Perspektive und hat bereits definitiv feststehende Kosten zu Gegenstand, sodass hier keine Notwendigkeit mehr besteht, dem Problem etwaiger Kostensteigerungen Rechnung zu tragen. Dass bei der Kostenschätzung zur Bestimmung des Ablösebetrags nur solche Kosten berücksichtigt werden dürfen, die auch bei der endgültigen Heranziehung beitragsfähig sind, bedeutet somit lediglich, dass auch bei der Kostenschätzung zur Bestimmung des Ablösebetrags nur solche Kosten berücksichtigungsfähig sind, die […] von den in der Satzung geregelten Merkmalen der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage gedeckt sind […]. Da die in den betreffenden Kostenvoranschlägen vorgesehene Kostenreserve aber gerade der endgültigen Herstellung der Straße „Höhenweg“ einschließlich ihrer Beleuchtung und Entwässerung dient, ist sie [nicht] zu beanstanden.“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Ablösevertrag in den Rdnr. 1510 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

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