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08.08.2022

Ablösevertrag: Darf die Gemeinde nachfordern, wenn der Ablösebetrag zu niedrig war?

Die beiden beliebtesten Methoden, einen Straßenbau vorzufinanzieren sind die Vorausleistung nach § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB und die Ablösung nach § 133 Abs. 3 Satz 5. Anders als die Vorausleistung hat die Ablösung jedoch einen endgültigen Charakter. Das ist in der Regel ein Vorteil, kann aber auch ein Nachteil sein, wenn sich die Ablösesumme als zu niedrig erweist und die Gemeinde nacherheben möchte – wie im vorliegenden Fall.

Der Fall:

Die Gemeinde schließt 1999 mit dem klagenden Bürger eine Ablösevereinbarung über den Erschließungsbeitrag i.H.v. umgerechnet rund 19.900 EUR. Als die Gemeinde 2018 die tatsächlichen Kosten ermittelt, stellt sie fest, dass auf das Grundstück ein Erschließungsbeitrag in Höhe von rund. 23.000 EUR entfallen würde.

Darf die Gemeinde einen Erschließungsbeitrag erheben und die Kostendifferenz von 3.100 EUR nachverlagen?


Die gerichtliche Entscheidung:

Wirksame Ablösevereinbarung verhindert die Entstehung des Beitragsschuldverhältnisses.

Die Gemeinde darf nur dann einen Erschließungsbeitrag erheben, wenn der Ablösevertrag unwirksam geworden ist. Denn es gilt:

„Gemäß § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB entsteht die Beitragspflicht des Eigentümers eines Grundstücks für den darauf entfallenden Anteil am beitragsfähigen Erschließungsaufwand mit der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage. Ist die Erschließung demnach grundsätzlich von der Gemeinde vorzufinanzieren, so kann diese gemäß § 133 Abs. 3 Satz 1 BauGB schon vor Entstehung der Beitragspflicht Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag erheben. Alternativ hierzu eröffnet § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB den Gemeinden als Ausnahme von dem gesetzlichen Verbot vertraglicher Vereinbarungen über Erschließungskosten die Möglichkeit, mit dem Eigentümer eines Grundstücks vor Entstehung der Beitragspflicht einen öffentlich-rechtlichen Vertrag über die Ablösung des gesamten Erschließungsbeitrags zu schließen. Ein solcher Ablösungsvertrag bewirkt, dass ein anderenfalls mit Entstehen der sachlichen Erschließungsbeitragspflicht begründetes abstraktes Schuldverhältnis zwischen der Gemeinde und dem Grundeigentümer gar nicht erst entsteht, indem schon in einem Zeitpunkt, in dem die Anlage noch nicht endgültig hergestellt und folglich die Höhe des dafür anfallenden Aufwands nicht bekannt ist, eine abschließende vertragliche Regelung über die Belastung eines Grundstücks mit Erschließungskosten getroffen wird […].“


Voraussetzungen für eine wirksame Ablösevereinbarung

„[…] Voraussetzung für das wirksame Zustandekommen eines [Ablösevertrags] ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB, dass – wie hier – eine Ablösung des Erschließungsbeitrags im Ganzen und vor Entstehen der Beitragspflicht für ein später der Beitragspflicht unterliegendes Grundstück erfolgt […]. Darüber hinaus liegen der Vereinbarung Ablösungsbestimmungen der Gemeinde zugrunde, die festlegen, wie der mutmaßliche Erschließungsaufwand ermittelt und verteilt werden soll […]. Die Notwendigkeit, vor dem Abschluss von Ablösungsverträgen (ausreichende) Ablösungsbestimmungen zu erlassen, bedeutet zugleich, dass die Ablösungsverträge nur in Übereinstimmung mit den Ablösungsbestimmungen geschlossen werden dürfen und dass ein Ablösungsvertrag, dessen Ablösebetrag in Abweichung von den anzuwendenden Bestimmungen ermittelt worden ist, nichtig ist. Auch diese Vorgaben sind gewahrt […]. Dieses Erfordernis ergibt sich aus dem mit der Regelung des § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB verfolgten Ziel, im Interesse der dem Erschließungsbeitragsrecht immanenten Grundsätze der Abgabengerechtigkeit und Abgabengleichheit eine möglichst gleichmäßige Handhabung aller Ablösungsfälle sicherzustellen. Macht aber das Gesetz die Befugnis zum Abschluss von Ablösungsverträgen mit Rücksicht auf die vorbezeichneten Grundsätze von der Erfüllung dieser einzig auf die Ermittlung der Höhe der Ablösebeträge ausgerichteten Voraussetzungen abhängig, verlangt es zugleich die Offenlegung der Ablösebeträge […].Denn ohne eine solche Offenlegung können die genannten Ermächtigungsschranken praktisch nicht greifen, weil sich ohne eine Offenlegung nicht überprüfen lässt, ob der Betrag etwa willkürlich oder aber in inhaltlicher Übereinstimmung mit den Ablösungsbestimmungen ermittelt worden ist […]. Soweit sich schließlich die Unwirksamkeit einer Ablösevereinbarung beziehungsweise ein auf deren Anpassung gerichteter Anspruch auch daraus ergeben kann, dass zwischen dem vereinbarten Ablösebetrag und dem das Grundstück betreffenden Erschließungsbeitrag ein grobes Missverhältnis besteht, liegt ein solches hier nicht vor […].“


Wirksame Ablösungsbestimmungen waren vorhanden

Vorliegend lagen dem Ablösevertrag von 1999 wirksame Ablösebestimmungen zugrunde.

„Zum unverzichtbaren Mindestinhalt von Ablösungsbestimmungen gehört eine Aussage darüber, wie der zu vereinbarende Ablösebetrag im Einzelfall errechnet werden soll. Dazu genügt es, wenn die Bestimmungen die Kriterien für die Faktoren festlegen, die die Höhe des Ablösebetrags entscheidend beeinflussen, das heißt bestimmen, wie der mutmaßliche Erschließungsaufwand – entweder nach Einheitssätzen oder auf der Grundlage der voraussichtlich entstehenden, geschätzten tatsächlichen Kosten – ermittelt und verteilt werden soll. Die Gemeinde kann in diesem Zusammenhang die Regelungen über die Art der Ermittlung und Verteilung des beitragsfähigen Aufwands aus ihrer Beitragssatzung in die Ablösungsbestimmungen übernehmen. Sie kann dies auch in der Weise tun, dass in den Ablösungsbestimmungen auf Satzungsvorschriften Bezug genommen wird. Eine solche Bezugnahme braucht nicht unbedingt ausdrücklich zu erfolgen. Es genügt, wenn sich der Wille der Gemeinde, auf den Inhalt der Satzungsvorschrift Bezug zu nehmen, hinreichend deutlich aus den Ablösungsbestimmungen ergibt. Das ist etwa noch der Fall, wenn die Ablösungsbestimmungen – wie hier die einschlägige Regelung in […] der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen […] – lediglich festlegen, der Betrag einer Ablösung nach § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB solle sich nach der Höhe des voraussichtlich entstehenden Beitrags richten […].“


Ablösebestimmungen wurden auch beachtet

„Nach [der Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten] bestimmt sich der Ablösebetrag im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB nach der Höhe des voraussichtlich entstehenden Beitrags. Mit dieser auf den voraussichtlich entstehenden Beitrag bezugnehmenden Formulierung kommt zum Ausdruck, dass zur Bestimmung des Ablösebetrags zunächst der mutmaßliche beitragsfähige Erschließungsaufwand in der Art ermittelt wird, die für die Beitragserhebung vorgesehen ist und auf der Grundlage des so ermittelten mutmaßlichen Erschließungsaufwands unter Anwendung des für eine Beitragserhebung maßgeblichen, in der Satzung vorgesehenen Verteilungsmaßstabs der Ablösungsbetrag errechnet wird […].“

All dies hat die Gemeinde vorliegend beachtet. Dennoch kam es zu einer Abweichung von endgültigem Erschließungsbeitrag und Ablösebetrag. Diese Differenz macht die Ablösevereinbarung jedoch nicht unwirksam.


Erstens: Missbilligungsgrenze ist nicht erreicht.

„Zwar ist das Bundesverwaltungsgericht in seiner älteren Rechtsprechung davon ausgegangen, dass das Erschließungsbeitragsrecht dem Ausmaß einer von den Vertragspartnern hinzunehmenden Differenz zwischen der Höhe eines Ablösungsbetrags und der Höhe eines (ohne die Ablösung) auf ein Grundstück entfallenden Erschließungsbeitrags eine absolute Grenze ohne Rücksicht darauf setze, ob diese Differenz auf ablösungstypische Risiken zurückgehe. Der Ablösungsbetrag sei als ein vorgezogener Erschließungsbeitrag in das Regelungssystem des gesetzlichen Erschließungsbeitragsrechts eingebettet. Aus der gesetzlichen Beitragserhebungspflicht sowie dem Gebot der Abgabengerechtigkeit folge eine Missbilligungsgrenze, welche überschritten werde, wenn der Betrag, der dem Grundstück als Erschließungsbeitrag zuzuordnen sei, mindestens das Doppelte oder höchstens die Hälfte des vereinbarten Ablösungsbetrags ausmache. Im ersten Fall stehe der Gemeinde ein Nacherhebungsrecht, im zweiten dem Grundeigentümer ein Rückzahlungsanspruch zu […]. Doch zum einen ist diese Missbilligungsgrenze vorliegend bei weitem noch nicht erreicht, da der endgültige Erschließungsbeitrag in Höhe [23.000] Euro den vereinbarten Ablösebetrag in Höhe von [19.000] Eur allein um [3.100] Euro und damit lediglich um rund 15,6 % übersteigt.“


Zweitens: Kein Wegfall der Geschäftsgrundlage

„Und zum anderen hat das Bundesverwaltungsgericht diese Rechtsprechung inzwischen aufgegeben und geht stattdessen davon aus, dass sich die Grenze, bis zu der ein Auseinanderfallen von Ablösungsbetrag und Erschließungsbeitrag hinzunehmen ist, vielmehr im Einzelfall nach den Grundsätzen über den Wegfall der Geschäftsgrundlage anhand einer Abwägung aller sich im Zusammenhang mit Ablösungsverträgen ergebenden Umstände und gegenläufigen Interessen bestimmt […]. Dass die Voraussetzungen für einen solchen Wegfall der Geschäftsgrundlage vorliegend gegeben wären, hat indes weder die Beklagte vorgetragen, noch sind dahingehende Anhaltspunkte für die Kammer ersichtlich.“


Drittens: Wegfall der Geschäftsgrundlage ermöglicht keinen Bescheidserlass

„Im Übrigen hätte [der Wegfall der Geschäftsgrundlage] auch nicht zur Folge, dass die Beklagte ein sich hieraus ergebendes Nacherhebungsrecht unmittelbar durch Erschließungsbeitragsbescheid durchsetzen darf. Vielmehr bedarf es der Geltendmachung des Anpassungsverlangens gegebenenfalls im Wege der auf Vertragsanpassung gerichteten Leistungsklage."


Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Ablösevertrag in den Rdnr. 1510 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

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