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26.02.2015

Nacherhebung eines Erschließungsbeitrags nach mehr als 30 Jahren: Verwirkung?

Entscheidend für den Beginn der Frist ist nach dieser Entscheidung der „Eintritt der Vorteilslage“.

Der Grundsatz:

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vom 5.3.2013 – 1 BvR 2457/08 - verlangt das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit Regelungen, die sicherstellen, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dieser Grundsatz gebietet, dass ein Beitragspflichtiger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile ausgleichen muss. Der durch eine Erschließungsmaßnahme erlangte Vorteil besteht in dem, was die Erschließung für die bauliche oder gewerbliche Nutzbarkeit bzw. Nutzung des Grundstücks hergibt.

 

Der Fall:

Die Gemeinde erhob im Jahr 1981 Erschließungsbeiträge für den Hauptzug einer Erschließungsanlage, die aus einer Haupt- und einer – unselbständigen - Stichstraße bestand. Die von der Gemeinde erlassenen Beitragsbescheide waren rechtswidrig, weil die Beitragspflicht für die Gesamtanlage – Hauptstraße mit der dazu gehörenden unselbständigen Stichstraße – ohne die Herstellung auch der Stichstraße noch nicht entstanden war. Gleichwohl wurden die Beitragsbescheide mangels Einlegung von Rechtsmitteln bestandskräftig. Erst im Jahr 2011 entstand die Beitragspflicht für die Gesamtanlage, weil zu diesem Zeitpunkt auch die Stichstraße endgültig hergestellt worden war. Ein Beitragspflichtiger ergriff Rechtsmittel gegen den ihn betreffenden Beitragsbescheid; er unterlag damit erstinstanzlich vor dem Verwaltungsgericht. In seinem Antrag auf Zulassung der Berufung wandte er sich gegen die Auffassung des Verwaltungsgerichts, die rechtswidrige Heranziehung im Jahr 1981 hindere nicht die - nochmalige - Erhebung eines Erschließungsbeitrags, auch nicht unter den rechtlichen Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und der Verwirkung.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Das Oberverwaltungsgericht ließ die Berufung nicht zu. Das Verwaltungsgericht sei unter Bezugnahme auf die ständige ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung zutreffend davon ausgegangen, dass selbst bei einer im Einzelfall schutzwürdigen Vertrauensbetätigung des Beitragspflichtigen regelmäßig - und so auch hier - das Interesse der Allgemeinheit, für die erbrachte Leistung die nach dem Gesetz entstandene Gegenleistung fordern zu können, dessen Interesse, von einer nochmaligen Erhebung von Erschließungsbeiträgen verschont zu bleiben, überwiegt.

 

Der Beitragsanspruch ist weder verjährt noch verwirkt:

„Dem setzt der Kläger mit dem Einwand, die Bürger dürften nicht zeitlich unbegrenzt - hier nach 30 Jahren - für in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge zu einem Beitrag veranlagt werden, nichts Durchgreifendes entgegen. Zwar ist es richtig, wovon sich im rechtlichen Ausgangspunkt auch das Verwaltungsgericht hat leiten lassen (…), dass das Rechtsstaatsgebot über den reinen Vertrauensschutz hinaus in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor schützt, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können.

Die Zulassungsbegründung übergeht allerdings völlig, dass das Verwaltungsgericht im Weiteren angenommen hat, die Erschließung des klägerischen Grundstücks als der rechtserhebliche vorteilsbegründende Vorgang sei in tatsächlicher Hinsicht allein durch den vor 1981 erfolgten Ausbau der Stichstraße noch gar nicht abgeschlossen gewesen, da die Stichstraße erschließungsbeitragsrechtlich ein unselbständiges Anhängsel des erst - deutlich - später technisch fertiggestellten Hauptzugs der I.----Straße sei. Die bloße rechtsirrige Erwartung des Beitragsschuldners, der maßgebliche Vorteil sei bereits vor langer Zeit eingetreten, werde durch das Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit aber nicht geschützt.

Im Ergebnis Entsprechendes gilt, soweit das Verwaltungsgericht auch eine Verwirkung aufgrund der rechtswidrigen Beitragserhebung im Jahr 1981 verneint hat. In der bundesverwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass ein Anspruch nicht bereits zu einem Zeitpunkt verwirkt werden kann, zu dem er noch nicht entstanden ist. … Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, eine Verwirkung komme vorliegend angesichts des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht erst im Jahr 2011 nicht in Betracht (…), ohne dass sich der Kläger hiermit im Rahmen der Zulassungsbegründung näher auseinandergesetzt hätte.“

 

Unsere Hinweise:

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen sowie die einschlägige höchst- und obergerichtliche Rechtsprechung zur sog. Verjährungshöchstfrist bei Rdnr. 440 und zum Ausschluss der Beitragserhebung wegen Zeitablaufs zum Vertrauensschutz bzw. zur Verwirkung bei Rdnrn. 1127 f.. Zur Abgrenzung unselbständiger von selbständigen Stichstraßen s. Rdnrn. 10 ff.


Unsere Tipps für die Praxis:

Exklusiv für die Bezieher des Matloch/Wiens Erschliessungsbeitragsrechts. Die Tipps für die Praxis tragen dazu bei, die schwierige Materie in den Alltag zu integrieren.

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