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20.06.2011

Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten und besondere Vorteile bei nicht gefangenen Hinterliegergrundstücken

Die unentgeltliche Übertragung eines Grundstücks zur Vermeidung oder Verminderung einer Beitragspflicht ist rechtsmissbräuchlich. Als Rechtsfolge des Gestaltungsmissbrauchs ist der vormalige Eigentümer heranzuziehen. Im Übrigen ist im vorliegenden Fall die Eigentümerin des nicht gefangenen Hinterliegergrundstücks auch nicht wegen des Vorhandenseins einer Zufahrt über das Anliegergrundstück beitragspflichtig.

 

Der Fall:

 

Die Klägerin ist Eigentümerin des an der W.straße anliegenden und mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebauten Grundstücks Fl.Nr. 1025. Hieran grenzen im Nordwesten das mit einem Gebäude bebaute Grundstück Fl.Nr. 1025/23 und das unbebaute Grundstück 1025/39 an. Diese beiden Grundstücke liegen an der J.-H.-Straße an. Eigentümer der Fl.Nr. 1025/23 ist der Ehemann der Klägerin, der Beigeladene. Dieser war vormals auch Eigentümer der Fl.Nrn. 1025 und 1025/39. Die Fl.Nr. 1025/39 hat er mit Vertrag vom 14. Januar 2005 an seine Tochter, die Fl.Nr. 1025 mit Vertrag vom 12. August 2005 an die Klägerin übertragen.

Die Gemeinde (Beklagte) hat die erstmalig im Jahr 1962 hergestellte J.-H.-Straße in zwei Bauabschnitten erneuert. Mit Bescheid vom 21. November 2005 zog sie die Klägerin für das Grundstück Fl.Nr. 1025 zu einem Straßenausbaubeitrag in Höhe von 8.357,96 Euro heran. Widerspruch und Klage vor dem Verwaltungsgericht blieben erfolglos. Der Verwaltungsgerichtshof hat der Klage stattgegeben und den angefochtenen Bescheid aufgehoben.

 

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

 

1. Das Gericht hat die unentgeltlichen Übertragungen der Grundstücke an Ehefrau und Tochter als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten betrachtet

„Die vom Beigeladenen vorgenommenen unentgeltlichen Übertragungen der Grundstücke Fl.Nr. 1025 an seine Ehefrau – die Klägerin – und der Fl.Nr. 1025/39 an seine Tochter stellen sich als Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten mit der Folge dar, dass für das Beitragsverfahren von der Unwirksamkeit dieser Übertragungen auszugehen ist und deshalb nur der Beigeladene, nicht aber die Klägerin zu dem streitigen Beitrag hätte herangezogen werden dürfen.

Ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 b) KAG i.V.m. § 42 AO) liegt vor, wenn mit der Eigentumsübertragung einzig die Vermeidung (oder Verminderung) einer Beitragspflicht verfolgt wird, sie zur Erreichung des erstrebten wirtschaftlichen Ziels unangemessen ist und sie durch wirtschaftliche oder sonstige beachtliche außersteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist (BayVGH vom 14.7.2005 Az. 6 B 02.2128 <juris> unter Hinweis auf BFH vom 19.6.1991, BStBl II 1991, 904; vom 17.12.2003 BStBl II 2004, 648; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge 8. Aufl. 2007, § 17 RdNr. 103 unter Hinweis auf BVerwG vom 14.1.1997 Buchholz 401.0 § 42 AO Nr. 1 Satz 1; VGH BW vom 28.2.2008 Az. 2 S 1946/06 <juris>). Ob ein Missbrauch in diesem Sinne gegeben ist, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. Der Beigeladene war von der Beklagten mit Bescheid vom 25. Juni 2002 für das Grundstück Fl.Nr. 1025 u. a. (alt) zu Vorauszahlungen auf den Straßenausbaubeitrag herangezogen worden. Mit Vermessungsantrag vom 7. Oktober 2002 hat er dann die Teilung des Grundstücks Fl.Nr. 1025 dahingehend beantragt, dass die Zufahrt von der J.-H.-Straße herausgemessen wird. Das dadurch neu entstandene Grundstück erhielt die Fl.Nr. 1025/39; als Eigentümer wurde der Beigeladene eingetragen. Im Jahr 2005 übertrug der Beigeladene das Grundstück Fl.Nr. 1025/39 mit einer Verkehrsfläche von 64 m², seiner Tochter, das Grundstück Fl.Nr. 1025 der Klägerin. Das Verwaltungsgericht hat die maßgeblichen Umstände, vor allem den zeitlichen Zusammenhang zwischen der Heranziehung des Beigeladenen zu Vorauszahlungen und den Grundstücksübertragungen sowie den offensichtlich fehlenden wirtschaftlichen Zweck, ausführlich gewürdigt und zu Recht den Schluss gezogen, dass die Übertragungen der Vermeidung einer Beitragspflicht des Beigeladenen dienten.“

 

2. Zum Ausbaubeitrag ist der vormalige Eigentümer vor Teilung und Übertragung heranzuziehen

„Als Rechtsfolge dieses Gestaltungsmissbrauchs ist allerdings entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht die Klägerin als (neue) zivilrechtliche Eigentümerin des Grundstücks Fl.Nr. 1025 zum Ausbaubeitrag heranzuziehen, sondern der Beigeladene als (vormaliger) Eigentümer des ursprünglichen (Gesamt-) Grundstücks vor Teilung und Übertragung (vgl. BayVGH vom 10.9.2009 Az. 6 CS 09.551 <juris>; vom 14.10.2005 Az. 6 B 02.2128 <juris>; VGH BW a.a.O.). Stellt nämlich die Eigentumsübertragung einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten dar, hat das zur Folge, dass für das Beitragsverfahren von der Unwirksamkeit dieser Übertragungen und damit einer Eigentümeridentität – hier bezüglich der Grundstücke Fl.Nrn. 1025 und 1025/39 – auszugehen ist (vgl. Driehaus, a.a.O., § 17 RdNr. 103).“

 

Weiter hat das Obergericht untersucht, ob eine Beitragspflicht der Klägerin für das Grundstück FlNr. 1025 im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht vorliegt, was den Rechtsmissbrauch ausschließen würde.

 

3. Besonderer Vorteil eines nicht gefangenen Hinterliegergrundstücks

„Eine Beitragspflicht der Klägerin – die den Rechtsmissbrauch ausschließen würde –lässt sich auch nicht damit begründen, dass die ausgebaute Straße von dem Grundstück Fl.Nr. 1025 aus tatsächlich in Anspruch genommen wird. Allerdings steht außer Frage, dass von der J.-H.-Straße her tatsächlich eine Zufahrt über das in fremdem Eigentum stehende Anliegergrundstück Fl.Nr. 1025/39 vorhanden ist und die Zufahrt etwa zu Warenanlieferungen benutzt wird, obwohl das Grundstück Fl.Nr. 1025 unmittelbar an eine „eigene“ Straße, nämlich die W.straße, angrenzt. Ein solches „nicht gefangenes“ Hinterliegergrundstück unterliegt indes der Beitragspflicht nur unter bestimmten Voraussetzungen. Zwar setzt im Straßenausbaubeitragsrecht – im Unterschied zum Erschließungsbeitragsrecht – die Teilnahme eines Hinterliegergrundstücks an der Aufwandsverteilung im Falle einer Eigentümerverschiedenheit nicht die Erfüllung der Erreichbarkeitsanforderungen voraus, die das Bauplanungs- und Bauordnungsrecht für die Bebaubarkeit eines Hinterliegergrundstücks aufstellen. Doch ist nach ständiger Rechtsprechung eine rechtlich verlässliche Benutzbarkeit der Zufahrt bzw. des Zugangs über das Anliegergrundstück erforderlich (vgl. zuletzt BayVGH vom 10.9.2010 Az. 6 ZB 09.2998 <juris> RdNr. 6; vom 2.8.2001 Az. 6 B 96.3626 <juris> RdNr. 28; vom 18.11.2004 Az. 6 ZB 02.2002 <juris> RdNr. 5; vom 12.5.2006 Az. 6 CS 05.2599 <juris> RdNr. 14; so auch Driehaus, a.a.O., § 35 RdNr. 24: „hinreichend gesicherte“ Inanspruchnahmemöglichkeit).“

 

4. Das bloße Vorhandensein einer Zufahrt reicht nicht aus

„Entgegen der Ansicht der Beklagten reicht bei einem nicht gefangenen Hinterliegergrundstück das bloße Vorhandensein einer Zufahrt über das Anliegergrundstück für die Annahme einer vorteilsrelevanten Inanspruchnahmemöglichkeit nicht aus.

Die Zufahrt über das Anliegergrundstück Fl.Nr. 1025/39 ist nicht hinreichend rechtlich gesichert. Unstreitig ist weder eine Dienstbarkeit bestellt, noch schuldrechtlich ein Nutzungsrecht vereinbart. Die von der Beklagten behauptete Duldung der Überfahrt durch die Eigentümerin des Anliegergrundstücks genügt nicht. Schließlich kann auch aus dem Verwandtschaftsverhältnis zwischen den Grundstückseigentümerinnen eine verfestigte Anspruchsposition nicht hergeleitet werden, aus der heraus das Anliegergrundstück in rechtlich verbindlicher Weise als Zufahrt für das Hinterliegergrundstück genutzt werden darf (vgl. BayVGH vom 18.11.2004 Az. 6 ZB 02.1002 <juris>).“

 

Weiterleitende Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In ihrem Matloch/Wiens finden Sie Erläuterungen zu Fragen des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten unter RdNrn. 1318, 2163.


Unsere Tipps für die Praxis:

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