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26.01.2011

Die einzelne Erschließungsanlage: Natürliche Betrachtungsweise bei Vorausleistung?

Eine Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag darf nur die Kosten berücksichtigen, die auch bei der endgültigen Heranziehung beitragsfähig sein werden.

 

Der Fall:

Der Kläger wendet sich der Höhe nach gegen die Festsetzung von Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung einer Straße. Diese Straße verläuft im Bereich zweier Bebauungspläne. Beide Bebauungspläne sehen jeweils eine in südöstliche Richtung abzweigende, etwa 45 m lange Stichstraße vor. Nachdem die Gemeinde mit dem Ausbau der Straße begonnen hatte, zog sie den Kläger zu Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag heran. Der Kläger ergriff Rechtsmittel, und führte zur Begründung aus, dass er als Anwohner der Straße nicht auch zu den Kosten für die beiden Stichstraßen, an die seine Grundstücke nicht grenzten, herangezogen werden könne; die beiden Stichstraßen seien nicht Bestandteile der F. Straße, sondern dienten allein dem Zweck, eine Zufahrt in das östlich gelegene künftige Bebauungsgebiet zu gewährleisten. Die Gerichte hatten die Frage zu entscheiden, ob die Stichwege als unselbständige Bestandteile der Hauptstraße zu betrachten seien. Nur für diesen Fall musste sich der Kläger als Anlieger der Hauptstraße auch an den Kosten der Stichwege beteiligen; bei einer Einstufung der Wege als „selbständig“ hätte die Gemeinde die Vorausleistung für das klägerische Grundstück nur für die Hauptstraße erheben können.

 

Die obergerichtliche Entscheidung:

Bei der Ermittlung der Höhe der festzusetzenden Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag darf die Gemeinde nur die Kosten berücksichtigen, die auch bei der endgültigen Heranziehung zum Erschließungsbeitrag beitragsfähig sein werden.

„Der hier streitige Aufwand für die Herstellung der beiden Stichstraßen kann daher nur dann über die Erhebung von Vorausleistungen vorfinanziert werden, wenn die Stichstraßen als Teil der Erschließungsanlage F. Straße anzusehen, also weder selbstständig noch Bestandteil einer anderen weiterführenden Erschließungsanlage sind. Ob diese Voraussetzung erfüllt ist und daher auch in der Höhe rechtmäßige Festsetzungen der Vorausleistung vorliegen, beurteilt sich nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit der Vorausleistungserhebung. Maßgebend ist also, von welchem Anlagenverständnis (bezogen auf den späteren Zeitpunkt der vollständigen Umsetzung der gemeindlichen Planungen) die Beklagte bei Erlass der Vorausleistungsbescheide ausgehen durfte. Mit anderen Worten musste die Beklagte bei Erlass der Vorausleistungsbescheide bewerten, wie sich die Erschließungsanlage F. Straße im Verhältnis zu den sie umgebenden anderen Erschließungsanlagen darstellen wird, wenn das seinerzeitige Bauprogramm der Gemeinde G. realisiert worden ist. Bei einem solchen Verständnis des maßgeblichen Zeitpunkts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Vorausleistungserhebung kommt es nicht auf die Sach- und Rechtslage, insbesondere den Anlagenbegriff, bei Entstehen der sachlichen Beitragspflicht an.“

 

Ob dasjenige, was sich im Rahmen der maßgeblichen natürlichen Betrachtungsweise als zusammengehöriger Teil des Straßennetzes einer Gemeinde darstellt, auch die beitragsfähige Erschließungsanlage im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB bildet, lässt sich nicht völlig losgelöst vom Bauprogramm der Gemeinde entscheiden:

„Denn erst das Bauprogramm bestimmt darüber, welche Gestalt das gemeindliche Straßennetz bzw. welche Längenausdehnung eine Straße haben soll oder ob eine zunächst angelegte Stichstraße endgültig so bleiben oder aber in absehbarer Zeit weitergebaut werden soll. Plant eine Gemeine beispielsweise die erstmalige Herstellung einer 800 m langen Straße und lässt sie zunächst nur die ersten 500 m herstellen, so kann nicht auf der Grundlage des tatsächlichen Erscheinungsbildes angenommen werden, bei der 500 m langen Teilstrecke handele es sich um die abrechenbare Erschließungsanlage im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB; vielmehr ist zusätzlich das Bauprogramm der Gemeinde in den Blick zu nehmen, was dann zu der Annahme führt, dass sich die abrechenbare Erschließungsanlage im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB über eine Länge von 800 m erstrecken wird. Ähnlich verhält es sich in den Fällen, in denen an einer Straße Stichwege angelegt sind. Soll es nach den gemeindlichen Planungen endgültig bei diesen Stichwegen bleiben, so beurteilt sich nach dem tatsächlichen Erscheinungsbild, ob sie unselbstständiger Bestandteil der Hauptstraße sind oder eine selbstständige Anlage bilden. Sieht das Bauprogramm hingegen vor, dass das Vorhandensein von Stichwegen lediglich vorübergehend ist, z. B. mit einem zeitweisen Baustopp zusammenhängt, und sollen die Stichwege nach den Planungen der Gemeinde in absehbarer Zeit weitergebaut werden, so ist bei der Beurteilung des Anlagenbegriffs kein Raum für eine Betrachtungsweise, die - nach Art einer Momentaufnahme - nur auf den augenblicklichen Zustand abstellt und das Erscheinungsbild nach Vollendung der gemeindlichen Planungen unberücksichtigt lässt. Denn Erschließungsanlage im Sinne von § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB ist dasjenige, was sich nicht nur nach einem vorübergehenden Zustand, sondern bei endgültiger Realisierung der erkennbaren gemeindlichen Planungen als zusammengehöriger Bestandteil des Straßennetzes der Gemeinde darstellt.

 

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen, die einschlägige Rechtsprechung und eine Vielzahl von Einzelbeispielen zur „natürlichen Betrachtungsweise“ bei Rdnrn. 701 f., zur Abgrenzung selbständiger von unselbständigen Stichwegen bei Rdnrn 10 ff.

 

 


Unsere Tipps für die Praxis:

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