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28.11.2011

Beitragsablösung vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes?

Es kommt immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten über die Frage, ob die Erhebung von Erschließungsbeiträgen bei „altrechtlichen Verträgen“ ausgeschlossen ist.

 

Der Fall:

 

Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 5 Baugesetzbuch (BauGB) kann der Erschließungsbeitrag durch eine vertragliche Vereinbarung zwischen Gemeinde und Beitragspflichtigem abgelöst werden. Kommt eine Ablösung zustande, so führt sie zur vorzeitigen Tilgung des Beitrags, die im Gegensatz zu einer Vorausleistung endgültiger Natur ist. Auch das vor dem Inkrafttreten des BauGB am 1.7.1987 geltende Bundesbaugesetz (BBauG) enthielt eine Bestimmung gleichen Inhalts. Auch schon vor dem Inkrafttreten des BBauG am 30.6.1961 war es nicht unüblich, dass zwischen Gemeinden und Straßenanliegern Verträge zur Abgeltung der damals nach landesrechtlichen Bestimmungen zu entrichtenden Straßenbaukosten geschlossen wurden. Da aber nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Ablösungscharakter solcher „altrechtlicher“ Verträge nur unter engen Voraussetzungen anerkannt wird, kommt es immer wieder zu Rechtsstreitigkeiten über die Frage, ob die Erhebung von Erschließungsbeiträgen ausgeschlossen ist.

Der nachfolgend vorgestellten, noch unveröffentlichten obergerichtlichen Entscheidung lag eine solche Streitigkeit zugrunde: Die später zu einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag herangezogene Klägerin hatte im Jahr 1960 von der beklagten Gemeinde eine Bauparzelle in dem damals neu zu erschließenden Baugebiet erworben. Der Kaufvertrag enthält u.a. folgende Regelung:

„XI.

... Käufer verpflichtet sich, für die Herstellung der Wohnstrassen, die durch die Stadt ... selbst erfolgt, einschließlich der sonstigen gesamten Erschließungskosten, insbesondere jene der Vermessung, einen von der Stadt nach Fertigstellung erst zu berechnenden anteiligen Pauschalbetrag zu bezahlen. Unter die Erschließungskosten fallen auch jene der Wasserzu- und -ableitung und der sanitären Anlagen. …

 

XIV.

Zu vorstehender Ziffer XI wird ergänzt:

Außer den Pauschalposten für Strassen- und Weganteilsablösung von 1.100,-- DM werden die Erschließungskosten für Straßenherstellung, Wasserzu- und -ableitung und Erstellung der sanitären Anlagen auf den Höchstsatz von 2.500,-- DM begrenzt.“

 

Der Kaufpreis zuzüglich eines Pauschalbetrages von 1.100,00 DM für Straßen- und Wegeanteile, insgesamt 4.974,20 DM, war sofort zur Zahlung fällig. Im November 1961 zahlte die Klägerin an die Gemeinde Erschließungskosten in Höhe von 2.500 DM. In dem neuen Siedlungsgebiet wurden die Straßen zunächst als einfache Kieswege ausgeführt. 1969 ließ die Gemeinde die Zufahrt zu der Siedlung herstellen, ohne Beiträge zu fordern. 1972/73 wurden die Straßen mit einer etwa 6 cm starken Bitumentragschicht auf Frostschutzkies, einer Straßenentwässerung im Mischsystem, einer Beleuchtung und Gehsteigen versehen. Eine ursprünglich vorgesehene Asphaltfeinbetonschicht wurde nicht aufgebracht. Entsprechend den im Jahr 1973 getroffenen Absprachen überwiesen sämtliche betroffenen Siedler jeweils einen Betrag von 1.043,25 DM an die Gemeinde, die vereinbarungsgemäß 10% der damaligen Baukosten selbst übernahm. Beitragsbescheide wurden nicht erlassen. Nachdem über 30 Jahre lang nur übliche Unterhaltungsarbeiten durchgeführt worden waren, ließ die Gemeinde im Jahr 2005 umfangreiche Arbeiten an Fahrbahn, Gehsteig, Straßenentwässerung und Straßenbeleuchtung im Baugebiet durchführen. Anschließend setzte sie Erschließungsbeiträge fest. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit dem Argument, sie habe den im Vertrag von 1960 vereinbarten Höchstbetrag für die Herstellung der Straße bezahlt. Die Vereinbarung sei eindeutig und nicht auslegungsbedürftig. Der Heranziehungsbescheid sei daher rechtswidrig. Das erstinstanzlich zuständige Verwaltungsgericht folgte dieser Argumentation und hob den Beitragsbescheid auf.

 

Die obergerichtliche Entscheidung

 

Eine Ablösung liegt nur vor, wenn das Entstehen der Beitragspflicht für alle Zeiten ausgeschlossen sein sollte. Die Ablösungsabsicht muss dem Vertrag eindeutig zu entnehmen sein.

„Eine vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes abgeschlossene Vereinbarung zwischen der Gemeinde und einem Grundstückseigentümer hindert das Entstehen einer Beitragspflicht auf der Grundlage des Bundesbaugesetzes/Baugesetzbuchs nur dann, wenn zwischen den Vertragspartnern damals eindeutig und übereinstimmend verabredet wurde, dass das Entstehen einer Beitragspflicht für alle Zeiten und ohne Rücksicht auf die jeweilige Rechtslage ausgeschlossen sein soll (...). Diese Voraussetzung ist nur erfüllt, wenn die Vereinbarung unter Berücksichtigung der beachtlichen Umstände einzig die Deutung zulässt, die Vertragspartner hätten das spätere Entstehen einer Beitragspflicht schlechthin ausschließen, die Beitragspflicht also damit für alle Zeiten ablösen wollen (...). Nur in einem so gelagerten Fall konnte das Bundesbaugesetz/Baugesetzbuch in einen derart abgeschlossenen Tatbestand nicht mehr eingreifen (...). Demnach müsste dem Vertrag eine Ablösungsabsicht eindeutig zu entnehmen sein. Der Ablösungsgedanke müsste im Vertrag klar und eindeutig zum Ausdruck kommen. Wenn das nicht geschehen ist, muss davon ausgegangen werden, dass die Beteiligten vertragliche Vereinbarungen auf der Grundlage des damaligen bayerischen Landesrechts getroffen haben (...).“

 

Lässt sich der Vertrag nicht eindeutig als Ablösungsvereinbarung auslegen, ist die Gemeinde an der späteren Erhebung von Erschließungsbeiträgen nicht gehindert.

„Dem Grundstückskaufvertrag, den die Klägerin und ihre Mutter am 20. September 1960 mit der beklagten Stadt geschlossen haben, fehlt es an der erforderlichen Eindeutigkeit für eine solche Ablösungsvereinbarung. Aus dem Vertrag kann nicht auf einen übereinstimmenden Ablösungswillen geschlossen werden. Dem Wortlaut der maßgeblichen Nrn. XI und XIV ist nicht zu entnehmen, dass zwischen den Vertragspartnern damals eindeutig und übereinstimmend verabredet wurde, dass das Entstehen einer Beitragspflicht für alle Zeiten und ohne Rücksicht auf die jeweilige Rechtslage ausgeschlossen sein soll. Gegen ein solches Verständnis spricht schon die Formulierung in Nr. XI Satz 2, wonach der Käufer sich verpflichtet, für die Herstellung der Wohnstraßen einschließlich der sonstigen gesamten Erschließungskosten „einen von der Stadt nach Fertigstellung erst noch zu berechnenden anteiligen Pauschalbetrag zu bezahlen“. In teilweisem Widerspruch zu einer solchen Abrechnung nach Fertigstellung werden in Nr. XIV zwar der „Pauschalposten für Strassen- und Weg­anteilsablösung“ mit 1.100 DM beziffert und zudem die „Erschließungskosten … auf den Höchstsatz von 2.500 DM begrenzt“. Dass die Vertragsparteien damit übereinstimmend das spätere Entstehen einer Beitragspflicht schlechthin ausschließen wollten, lässt sich jedoch auch im Wege der Auslegung unter Berücksichtigung der beachtlichen Umstände nicht mit der erforderlichen Eindeutigkeit entnehmen. Die Tatsache, dass die Klägerin den in Nr. XIV genannten Höchstsatz von 2.500 DM später, wie alle anderen Siedler, gezahlt hat und in den Nrn. XI und XIV von „Erschließungskosten“ die Rede ist, mag zwar als Indiz dafür verstanden werden, dass die Klägerin ihre Verpflichtungen als Straßenanliegerin vollständig und mit endgültiger Wirkung habe erfüllen wollen. Gegen eine eindeutige und übereinstimmende Ablösungsvereinbarung spricht aber schon, dass weder in Nr. XI noch in Nr. XIV des Vertrags ein bestimmter oder auch nur bestimmbarer Betrag für die Straßenherstellung festgelegt ist. Denn sowohl der im Vertrag genannte „Pauschalbetrag“ wie auch der „Höchstsatz“ von 2.500 DM beziehen sich nicht nur auf die Kosten für die Straßenherstellung, sondern ausdrücklich auch noch auf weitere „Erschließungskosten“, nämlich diejenigen „der Wasserzu- und -ableitung und der sanitären Anlagen“. Ein fester und abschließender Betrag für die Kosten der Straßenherstellung lässt sich daraus schon deshalb nicht ableiten, weil die rechnerische Aufteilung zwischen den einzelnen Positionen offen bleibt. Zudem ist mit dem „Höchstsatz“ von 2.500 DM nach Nr. XIV nur eine Kostenobergrenze vereinbart, deren Unterschreiten der Vertrag keineswegs ausschließt. Auch ein weiteres Kennzeichen für einen Ablösungsvertrag, nämlich die Vereinbarung der sofortigen Fälligkeit des Ablösungsbetrags, fehlt. Sofort zur Zahlung fällig war lediglich der Kaufpreis zuzüglich des Pauschalbetrags von 1.100 DM für Straßen- und Gehwegeanteile (...); der Höchstsatz von 2.500 DM war hingegen von dieser Fälligkeitsvereinbarung gerade nicht erfasst.

... Nach alledem handelt es sich bei dem Vertrag ... um einen reinen Straßenkostensicherungsvertrag, für den sich das neue Erschließungsrecht keine rückwirkende Kraft beimisst, wenn es einen nach seinem Inkrafttreten entstandenen Sachverhalt anderen Abgaben unterwirft, als früher vorgesehen war. ... Demnach ist die Beklagte durch den Vertrag nicht gehindert, Vorausleistungen auf den Erschließungsbeitrag zu erheben.“

 

 

Unsere Hinweise:

 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie die Erläuterungen zum Ablösungsvertrag sowie die Darstellung der einschlägigen Rechtsprechung bei Rdnrn. 1530 ff., zur Ablösung vor Inkrafttreten des BBauG bei Rdnr. 1550 .

 


Unsere Tipps für die Praxis:

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