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19.02.2024

Rechtswidrige Beitragsfestsetzung: Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben zugunsten des Beitragspflichtigen?

Der Fall:

Die später beklagte Gemeinde hatte im Jahr 2008 zunächst nur die Anlieger eines Teilstücks der Straße zu Beiträgen herangezogen. Nachdem es als Fehler erkannt wurde, dass nicht sämtliche Anlieger der gesamten Straße herangezogen wurden, erhob die Gemeinde im Anschluss an den Gesamtausbau der Straße im Jahr 2015 erneut Beiträge, so auch gegenüber der Klägerin, die bereits bei der früher erfolgten – unkorrekten – Beitragserhebung herangezogen worden war. Die Klägerin ließ den Bescheid bestandskräftig werden und begehrt nun von der beklagten Gemeinde die Verpflichtung zur Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides über die Heranziehung von Beiträgen. Weiter begehrt sie die Rückzahlung des darin festgesetzten Beitrages. Inzwischen ist auch die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist verstrichen.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung wendet sich die Klägerin an das Berufungsgericht. Sie trägt vor, die die dem Abgabenbescheid zugrundeliegende Satzung enthalte einen Verstoß gegen das Zitiergebot und sei damit unwirksam gewesen. Weiter wendet sie ein, dass bei der Frage der Festsetzungsverjährung von Erschließungsbeiträgen – was das Verwaltungsgericht verkannt habe – die Grundsätze von Treu und Glauben, die zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts gehörten, anzuwenden seien. Außerdem sei sie doppelt herangezogen worden.

Die obergerichtliche Entscheidung (in Auszügen):

„Soweit sie … einwendet, dass bei der Frage der Festsetzungsverjährung von Erschließungsbeiträgen – was das Verwaltungsgericht verkannt habe – die Grundsätze von Treu und Glauben, die zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts gehörten, anzuwenden seien …, verhilft ihr dies nicht zum Erfolg. …“

Das Gericht befasst sich nun mit den Auswirkungen der landesrechtlich eingeführten sog. Verjährungshöchstgrenze, wonach Beiträge nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden dürfen.

„Die Beklagte hat das Eintreten der Festsetzungsverjährung nicht treuwidrig verhindert. Insoweit stellt zwar der auch im öffentlichen Recht geltende Grundsatz von Treu und Glauben sicher, dass Beiträge nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden dürfen. Damit wäre dem rechtsstaatlichen Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit hinreichend Rechnung getragen. Einen Rückgriff auf die Grundsätze von Treu und Glauben bedarf es in diesem Zusammenhang aber nicht mehr. Denn der Gesetzgeber hat … dem Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als der Rechtssicherheit dienendes Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit bereits mit der Einführung der Regelung …hinreichend sichergestellt, dass Abgaben zum Vorteilsausgleich nicht zeitlich unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können und damit einen Ausgleich zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an der Erhebung von Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann, geschaffen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, juris Ls 1; BVerwG, Urteil vom 20. März 2014 – 4 C 11.13 –, juris Ls und Rn. 16 m. w. N.; …).“

„Aber auch ansonsten hat sich die Beklagte nicht in treuwidriger Weise vorwerfbar verhalten, indem sie im Jahre 2008 nur die nördlichen Anlieger – wie die Klägerin – anstelle sämtlicher Anlieger an der …straße … zu Beiträgen für Straßenausbauarbeiten im nördlichen Teilbereich zwischen …straße und …straße herangezogen hat.“

Der Grundsatz von Treu und Glauben bringt keine Abgabenansprüche zum Entstehen oder zum Erlöschen, er kann allenfalls verhindern, dass eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann.

„Zwar gebietet es der Grundsatz von Treu und Glauben, dass im Abgabenverhältnis jeder auf die berechtigten Belange des anderen Teiles angemessen Rücksicht nimmt und sich zu seinem eigenen früheren Verhalten nicht in Widerspruch setzt. Gleichwohl dürfen sich daraus keine abgabenrechtlichen Folgen ergeben, ohne dass der Sachverhalt vorliegt, an den das Gesetz diese Rechtsfolgen knüpft. Denn der Grundsatz von Treu und Glauben bringt keine Abgabenansprüche zum Entstehen oder zum Erlöschen, er kann allenfalls verhindern, dass eine Forderung oder ein Recht geltend gemacht werden kann. Ist aber – wie im Streitfall – Festsetzungsverjährung eingetreten, darf die Geltung von Treu und Glauben nicht dazu führen, dass zu Lasten des Abgabenpflichtigen ein erloschener Anspruch der Behörde aus dem Abgabenschuldverhältnis wiederauflebt, unabhängig davon, ob dem Abgabenpflichtigen der Eintritt der Verjährung vorwerfbar ist oder nicht (vgl. zur Steuer und zum Ganzen: BFH, Urteil vom 11. November 2020 – XI R 11/18 –, juris Ls 3 und Rn. 32 m. w. N.). Dies gilt gleichsam bei einem Verschulden der Behörde. Auch ein solches kann jedenfalls im Regelfall nicht dazu führen, dass ein Abgabenbescheid nach Eintritt der Festsetzungsverjährung noch zugunsten des Abgabenpflichtigen zu ändern ist (vgl. zum Ganzen: BFH, Urteil vom 19. August 1999 – III R 57/98 –, juris Ls 2 und Rn. 12 m. w. N.).

Einen derartigen Ausnahmefall, der zu einer Durchbrechung der Festsetzungsverjährung führte, hat die Klägerin nicht dargelegt. Dazu macht sie nur sinngemäß geltend, dass die Festsetzungsverjährung nicht von ihr, sondern von der Beklagten zu vertreten sei. Als nördliche Anliegerin zahle sie im Ergebnis „doppelt“ und habe dies erst zu einem Zeitpunkt erfahren, als die Festsetzungsverjährung bereits lange eingetreten gewesen sei.“

Die Klägerin hätte innerhalb der Rechtsmittelfristen den Eintritt der Bestandskraft der Bescheide verhindern können.

„Dass die Beklagte die öffentliche Einrichtung „…straße“ in den Jahren 2008 und 2015 anders als das Verwaltungsgericht eingeschätzt und damit unrichtig bestimmt hat, stellt keinen atypischen gegen Treu und Glauben verstoßenden Fehler dar. Anders ausgedrückt, die Beklagte hat nicht, indem sie die Ausdehnung der öffentlichen Einrichtung bzw. das Abrechnungsgebiet unrichtig bestimmt hat, unredlich und unanständig und unter Missachtung der im konkreten Fall einschlägigen im Verkehr erforderlichen Sorgfalt gehandelt bzw. das gerechtfertigte Vertrauen der Abgabenpflichtigen missbraucht (vgl. zu den rechtsethischen Anforderungen der Norm: nur Böttcher in: Ermann BGB, Kommentar, 17. Auflage 2023, § 242 BGB, Rn. 3 f. m. w. N.). Vielmehr handelt es sich bei der Fehlbestimmung der öffentlichen Einrichtung um einen klassischen Fehler im Ausbaubeitragsrecht, der zum Standardprüfungsprogramm der Rechtmäßigkeit einer Ausbaubeitragsmaßnahme gehört. Insoweit hätte die Klägerin – wie es einige Anlieger anlässlich der Heranziehung zu Beiträgen für die im Jahre 2015 abgenommene Straßenausbaumaße im südlichen Teilbereich der …straße (…) getan haben – den Eintritt der Festsetzungsverjährung bereits dadurch verhindern können, indem sie selbst in den Jahren 2008 sowie 2009 und damit in unverjährter Zeit Widerspruch und Anfechtungsklage gegen den Ausbaubeitragsbescheid vom 4. November 2008 eingelegt hätte. …“.

Unsere Hinweise:

Die vorgestellte Entscheidung befasst sich über die Frage der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben noch mit weiteren Rechtsfragen, so ausführlich mit der Bedeutung des Ablaufs der Festsetzungsverjährungsfrist und der Möglichkeit, bei eingetretener Bestandskraft ein Wiederaufgreifen des Verwaltungsverfahrens möglich scheinen zu lassen. Wir kommen auf diese Teile der Entscheidung gesondert zurück.

Die im Fall genannten Beiträge wurden im Bereich des Straßenausbaubeitragsrecht erhoben, die vorgestellten Rechtsausführungen sind gleichermaßen im Erschließungsbeitragsrecht anwendbar.

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie zum Grundsatz von Treu und Glauben ausführlich Erläuterungen mit der einschlägigen Rechtsprechung bei Rdnrn. 1127 ff.

Unsere Tipps für die Praxis:

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