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25.03.2024

Rechtsfriede durch Verjährung – Fluch und Segen für beide Seiten

Der Fall: 

Die später beklagte Gemeinde hatte im Jahr 2008 zunächst nur die Anlieger eines Teilstücks der Straße zu Beiträgen herangezogen. Nachdem es als Fehler erkannt wurde, dass nicht sämtliche Anlieger der gesamten Straße herangezogen wurden, erhob die Gemeinde im Anschluss an den Gesamtausbau der Straße im Jahr 2015 erneut Beiträge, so auch gegenüber der Klägerin, die bereits bei der früher erfolgten – unkorrekten – Beitragserhebung herangezogen worden war. Die Klägerin ließ den Bescheid bestandskräftig werden und begehrt nun von der beklagten Gemeinde die Verpflichtung zur Rücknahme des bestandskräftigen Bescheides über die Heranziehung von Beiträgen. Weiter begehrt sie die Rückzahlung des darin festgesetzten Ausbaubeitrages. Inzwischen ist auch die vierjährige Festsetzungsverjährungsfrist verstrichen. 

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung wendet sich die Klägerin an das Berufungsgericht. Sie trägt vor, die dem Abgabenbescheid zugrundeliegende Satzung enthalte einen Verstoß gegen das Zitiergebot und sei damit unwirksam gewesen. Weiter wendet sie ein, dass bei der Frage der Festsetzungsverjährung von Erschließungsbeiträgen – was das Verwaltungsgericht verkannt habe – die Grundsätze von Treu und Glauben, die zu den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts gehörten, anzuwenden seien. Außerdem sei sie doppelt herangezogen worden. 

Die obergerichtliche Entscheidung (in Auszügen): 

Das Oberverwaltungsgericht kommt im Rahmen der Rechtsanwendung zum Ergebnis, dass § 169 Abs. 1 Satz 1 AO die Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung im Fall des Ablaufs einer Verjährungsfrist ausschließt.  

„Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen (UA Seite 6 bis 7), dass der Klägerin bereits deshalb kein Anspruch auf Rücknahme des unanfechtbaren Ausbaubeitragsbescheides vom 4. November 2008 gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 KAG iVm. § 116 Abs. 1 Satz 1 LVwG zusteht, weil zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits die vierjährige Festsetzungsverjährung – hier mit Ablauf des 31. Dezember 2012 – eingetreten war (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2, § 15 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 KAG iVm. § 169 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1, § 170 Abs. 1 AO). Insoweit verweist § 11 Abs. 1 Satz 2 KAG auf die sinngemäße Anwendung der Abgabenordnung und diese bestimmt in § 169 Abs. 1 Satz 1, dass eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig sind, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Abweichend von § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO beträgt die Festsetzungsfrist gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 KAG vier Jahre und beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist (§ 170 Abs. 1 AO). 

Die Regelung der Festsetzungsfrist gilt nicht nur für die Behörde, die nach deren Ablauf Abgaben nicht mehr festsetzen darf, sondern gleichermaßen für die Abgabenpflichtigen. Auch sie können Anträge auf Rücknahme rechtwidriger unanfechtbarer Verwaltungsakte nur innerhalb der Festsetzungsfrist stellen. Insoweit bewirkt ein solcher Antrag auf Aufhebung des rechtwidrigen unanfechtbaren Verwaltungsaktes – wie die Klägerin ihn bei der Beklagten am 20. November 2018 und damit fast sechs Jahre nach der am 31. Dezember 2012 abgelaufenen Festsetzungsfrist gestellt hat – nur eine Ablaufhemmung (vgl. § 171 Abs. 3 AO), wenn er innerhalb der Festsetzungsfrist gestellt worden ist (vgl. Thiem/Böttcher, KAG, 26. Lfg., Erl. § 15, Rn. 5, 7 und 31; Habermann in: Habermann/Arndt, KAG SH/ 01.2017, § 15, Rn. 8).“ 

Hintergrund hierfür sind Rechtssicherheit und Rechtsfriede, die durch den Eintritt der Verjährung geschaffen werden sollen. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) KAG ist Art. 169 AO auch für bayerische Kommunalabgaben anwendbar.  

Weiterhin stellt die Entscheidung das Verhältnis von Verjährungs- und eventuellen Ausschlussfristen klar: 

„Entgegen der Auffassung der Klägerin verdrängt der seit dem 11. Juni 2021 in Kraft getretene § 15 Abs. 2 KAG (vgl. Art. 5 des Gesetzes zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften und des Kommunalabgabengesetzes vom 25. Mai 2021; GOVBl. vom 10. Juni 2021, S. 563), wonach die Festsetzung von Abgabenansprüchen zur Abgeltung von Vorteilen ungeachtet ihrer Entstehung oder Verjährung spätestens nach 20 Jahren seit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Vorteilslage eingetreten ist, ausgeschlossen ist, auch nicht die in § 15 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 KAG geregelte vierjährige Festsetzungsfrist. 

Dass die Verjährung von der Regelung unberührt bleibt, ergibt sich schon aus dem Wortlaut „ungeachtet ihrer […..] Verjährung“. Die darin als Ausschlussfrist geregelte zeitliche Obergrenze von 20 Jahren soll Belastungsklarheit für Fallkonstellationen schaffen, in denen die sachliche Beitragspflicht rechtlich – etwa mangels Widmung der Straße bzw. einer im Zeitpunkt der Herstellung der Straße unwirksamen Erschließungs- oder Ausbaubeitragssatzung – noch nicht entstanden ist und damit die (Festsetzungs)Verjährung nicht zu laufen beginnt, die Vorteilslage aber tatsächlich eingetreten ist und schon lange Zeit zurückliegt. Die Regelung zur Verjährung, bei der Belastungsklarheit besteht, soll sie indes nicht überflüssig machen. Dazu hatte das Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 3. November 2021 – 1 BvL 1/19 –) vorgegeben bzw. klargestellt, dass aus dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit (Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG) folge, dass auch die Möglichkeit zur Erhebung von Abgaben nach Eintritt der tatsächlichen Vorteilslage zeitlich begrenzt werden muss (vgl. Ls 1 und Rn. 64) und damit entsprechende landesgesetzliche Regelungen zu einer Höchstfrist angemahnt (vgl. Rn. 92; vgl. zum Ganzen auch: Thiem/Böttcher, KAG, 28. Lfg., Erl. § 15, Rn. 55 ff. m. w. N.). Soweit die Abgabenansprüche – wie hier – bereits innerhalb der Ausschlussfrist von 20 Jahren seit Entstehen der (tatsächlichen) Vorteilslage – hier rechtlich mit Abnahme der Ausbaumaßnahme am 7. August 2008 – verjährt sind, findet § 15 Abs. 2 LVwG keine Anwendung. Belastungsklarheit, Rechtssicherheit und Rechtsfrieden sind dann schon über die Verjährungsvorschrift des §15 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 KAG gewährleistet. Insoweit liegt auch keine Ungleichbehandlung vor. Die Festsetzungsverjährung gilt für die abgabenerhebende Gemeinde und den abgabenpflichtigen Bürger gleichermaßen.“ 

Erneut gilt in Bayern nichts Anderes: Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 b) bb) Tiret 1 KAG formuliert zwar „über Abs. 1 Satz 1 hinaus“, bezweckt ist jedoch wie in Schleswig-Holstein ein Nebeneinander von Verjährungs- und Ausschlussfrist. Ziel des Bayerischen Gesetzgebers war: „Die Neuregelung erweitert diesen Ausschluss einer Abgabenerhebung um die Fälle einer Beitragserhebung, in denen – ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld – seit Eintritt der Vorteilslage 20 Jahre verstrichen sind.“ (BayLT, Drs. 17/370 S. 12) 

Unsere Hinweise:

Die vorgestellte Entscheidung befasst sich unter anderem mit der Wirkung der Verjährung, dem Verhältnis von Ausschlussfrist und Verjährung sowie dem Grundsatz von Treu und Glauben. 

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie ab der Randnr. 1139 weitere Hinweise zu Verjährungs- und Ausschlusstatbeständen.  


Unsere Tipps für die Praxis:

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