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03.11.2022

Prozessrecht: Der Rechtsweg beim Gesamtpreisvertrag

In der Praxis spielt der Gesamtpreisvertrag eine große Rolle. Die Gemeinde verkauft in einem neu beplanten Wohngebiet ein Grundstück an einen Käufer und regelt zeitgleich mit dem Kauf die Kostentragung für die Erschließung. Oft passiert das mittels Ablösevertrag, in Baden-Württemberg hingegen ist die Lage etwas anders.

Der Fall:

Eine Gemeinde in Baden-Württemberg verkauft dem Kläger im März 2017 ein Grundstück für rund 310.000 EUR als voll erschlossen. Im Preis enthalten sind 53.000 EUR Erschließungskosten, die u.A. auch die straßenrechtliche Erschließung umfassten. Im September 2017 forderte der Kläger von der Gemeinde 31.000 EUR zurück, da die Gemeinde die Höhe der Erschließungskosten falsch ermittelt habe. Als die Gemeinde die Zahlung verweigert, beschreitet der Kläger den Verwaltungsrechtsweg. Die Gemeinde hingegen ist der Meinung, der Kläger hätte die Klage zu den Zivilgerichten erheben müssen.

Die obergerichtliche Entscheidung:

Der VGH BW gab der Gemeinde recht.

Grundsätze zur Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Grundsätzlich gilt: Der Verwaltungsrechtsweg ist „in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind.

Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn - wie hier - eine ausdrückliche gesetzliche Rechtswegzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Entscheidend ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt, und nicht, ob dieser sich auf eine zivilrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft […]. Dabei kommt es regelmäßig darauf an, ob die Beteiligten zueinander in einem hoheitlichen Verhältnis der Über- und Unterordnung stehen und sich der Träger hoheitlicher Gewalt der besonderen Rechtssätze des öffentlichen Rechts bedient. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit kann aber auch auf einem Gleichordnungsverhältnis beruhen. Gleichordnungsverhältnisse sind öffentlich-rechtlich, wenn die das Rechtsverhältnis beherrschenden Rechtsnormen nicht für jedermann gelten, sondern Sonderrecht des Staates oder sonstiger Träger öffentlicher Aufgaben sind, das sich zumindest auf einer Seite nur an Hoheitsträger wendet. Für die Abgrenzung eines öffentlich-rechtlichen von einem privatrechtlichen Vertrag kommt es daher auf dessen Gegenstand und Zweck an. Die Rechtsnatur des Vertrages bestimmt sich danach, ob der Vertragsgegenstand dem öffentlichen oder dem bürgerlichen Recht zuzurechnen ist […].“

Gesamtpreisvertrag ist in Baden-Württemberg ein privatrechtlicher Vertrag

„Nach diesen Grundsätzen liegt hier keine öffentlich-rechtliche, sondern eine privatrechtliche Streitigkeit vor, für die gemäß § 13 GVG der Zivilrechtsweg eröffnet ist. Der Kläger stützt seinen Anspruch der Sache nach nicht auf eine öffentlich-rechtliche Rechtsgrundlage, sondern auf einen privatrechtlichen Grundstückskaufvertrag. Er begehrt die Rückzahlung eines Teils des Grundstückskaufpreises.“

Der Grundstückskaufvertrag von März 2018 ist gerade kein sog. typengemischter Vertrag, „der neben kaufvertragsrechtlichen Regelungen auch – rechtlich unzulässige – Vertragsbestimmungen im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 BauGB bzw. des § 26 KAG enthalte, mit denen ein Erschließungsbeitrag abgelöst werden solle, oder jedenfalls Regelungen, mit denen sich die Beklagte Erschließungskosten als öffentlich-rechtliche Leistung habe versprechen lassen wollen.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist dem notariellen Vertrag nicht zu entnehmen, dass die Beklagte der Sache nach einen Erschließungsbeitrag im Sinne des § 20 Abs. 2 KAG geltend machen wollte. Die kaufvertragliche Regelung stellt auch keine Umgehung der öffentlich-rechtlichen Vorschriften über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen oder eine verdeckte Ablösungsvereinbarung dar. Mit dem notariellen Grundstückskaufvertrag haben die Beteiligten vielmehr eine rein privatrechtliche Vereinbarung abgeschlossen.“

Nach dem KAG BW entsteht der Erschließungsbeitrag auch bei gemeindeeigenen Grundstücken mit der sachlichen Beitragspflicht.

„Nach § 24 i.V.m. § 16 Satz 1 KAG sind Anschluss- und Erschließungsbeiträge bei Grundstücken, die im Eigentum des Beitragsberechtigten (hier der Gemeinde) stehen, in der Höhe, wie sie bei einem Dritten entstehen würden, intern zu verrechnen, sobald die Voraussetzungen erfüllt sind, unter denen die Beitragsschuld bei einem Dritten entstehen würde. Die (sachliche) Beitragsschuld für solche Grundstücke gilt nach § 24 i.V.m. § 16 Satz 2 KAG in dem Zeitpunkt als entstanden (und zugleich als erloschen), in dem sie bei einem Dritten entstehen würde […]. Damit hat Baden-Württemberg eine von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitrag nach dem Baugesetzbuch abweichende Regelung getroffen. Nach dieser Rechtsprechung […] kann für ein im Sinne von § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB erschlossenes Grundstück, das noch im Eigentum der Gemeinde steht, zwar eine sachliche Beitragspflicht der Gemeinde nicht entstehen, da niemand sein eigener Schuldner sein kann; jedoch entsteht die sachliche Beitragspflicht, wenn die Gemeinde das Eigentum an dem Grundstück auf einen anderen überträgt.

Nach baden-württembergischem Landesrecht kann die Beitragsschuld nach dem Zeitpunkt, zu dem sie gemäß § 24 i.V.m. § 16 Satz 2 KAG als entstanden gilt, nicht nochmals zur Entstehung gelangen und damit auch nicht mehr nach § 26 KAG abgelöst werden […]. Denn Ablösungsvereinbarungen nach § 26 KAG dürfen nur vor der Entstehung der sachlichen Beitragsschuld abgeschlossen werden, wie sich aus § 26 Abs. 3 KAG ergibt, wonach die Ablösung beitragsbefreiende Wirkung hat […].“

Offenlegungsgebot gilt nicht bei rein privatrechtlichen Verträgen.

„Die Beklagte konnte das Grundstück im Jahr 2017 deshalb als „erschlossen“ zu einem entsprechenden Kaufpreis veräußern, ohne den Anteil der Erschließungskosten am Kaufpreis offenlegen zu müssen […]. Weist die Gemeinde - wie hier die Beklagte - im Kaufvertrag dennoch einen bestimmten Betrag als Erschließungskosten aus, so kann dies nicht […] als (verdeckte) Ablösungsvereinbarung im Sinne des § 26 KAG verstanden werden; vielmehr hat die Ausweisung der Erschließungskosten in diesem Fall nur informatorischen Charakter […].“


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