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07.11.2023

Formfehler in der Satzung: Vertrauensschutz?

Der Fall:

Die Gemeinde setzte gegenüber dem Beitragspflichtigen (und späteren Kläger) im Jahr 2016 eine Vorausleistung auf den späteren Straßenausbaubeitrag fest. Den Bescheid stützte die Gemeinde (und spätere Beklagte) zunächst auf ihre Beitragssatzung aus dem Jahre 2002, in der Fassung einer Nachtragssatzung von 2015, rückwirkend in Kraft getreten zum 1. Juni 2015. Im Jahr 2021 beschloss die Gemeinde dann eine neue Beitragssatzung, die rückwirkend zum 1. Januar 2013 in Kraft trat und die Satzung von 2015 ersetzte. Sie unterschied sich von der vorherigen Satzung hinsichtlich der zitierten Normen, indem sie nun auf die einschlägige Norm des Kommunalabgabengesetzes in der jeweils geltenden Fassung Bezug nimmt. Diesem Zitiergebot hatte die vorangegangene Satzung nicht genügt. Aus Sicht des Klägers war der Bescheid aus mehreren Gründen fehlerhaft¸ u.a. wegen des Fehlers hinsichtlich der Zitierpflicht, der erst seit der Satzungsänderung im Jahr 2021 genügt wurde, was für den Beitragspflichtigen eine verfassungsrechtlich unzulässige echte Rückwirkung bedeute und zur Unwirksamkeit führe. Der Vertrauensschutz gebiete, dass der Kläger nicht mit einer Beitragsforderung überzogen werde. Widerspruch und Anfechtungsklage in erster Instanz blieben erfolglos. Das Berufungsgericht hatte das Wort.

Die obergerichtliche Entscheidung:

Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Zur Überzeugung des Berufungsgerichts hatte das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid aus dem Jahr 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sei rechtmäßig gewesen und habe den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Zweifel an der Rechtmäßigkeit der rückwirkend zum 1. Januar 2013 in Kraft getretenen Beitragssatzung der Beklagten vom 30. September 2021 bestünden nicht.

Das Gericht führt zu den Grundsätzen einer echten bzw. unechten Rückwirkung aus: „Die Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten beinhaltet hinsichtlich der mit ihr … eröffneten Möglichkeit der Erhebung von Vorausleistungen eine echte, hier jedoch zulässige, Rückwirkung. Eine Rechtsnorm entfaltet „echte" Rückwirkung („Rückbewirkung von Rechtsfolgen"), wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -, juris Rn. 65 und vom 31. Mai 1960 - 2 BvL 4/59 -, juris Rn. 29). Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm hingegen erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung"), liegt eine „unechte" Rückwirkung vor (vgl. BVerfG, Beschluss vom 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -, juris Rn. 66; OVG Schleswig, Urteil vom 29. April 2021 - 2 LB 10/19 -, juris Rn. 122 m. w. N.). Bei dieser Betrachtungsweise greift die rückwirkende Straßenausbaubeitragssatzung der Beklagten vom 30. September 2021 zwar in einen bereits abgeschlossenen – und mangels bislang wirksamer Abgabensatzung beitragsfreien – Tatbestand ein (…). Die Rechtsfolgen der Straßenausbaubeitragssatzung vom 30. September 2021 werden zum Maßnahmebeginn am 7. Oktober 2015 als für das tatbestandliche Entstehen der einer Ermessensentscheidung unterliegenden Vorausleistungserhebung rückbewirkt. Diese echte Rückwirkung ist hier aber ausnahmsweise zulässig.“

Kein Vertrauensschutz

„Einem etwaigen Vertrauen des Klägers, wegen der Unwirksamkeit der ursprünglichen Straßenausbaubeitragssatzung … von der Abgabenpflicht verschont zu bleiben, fehlt von vornherein die Schutzwürdigkeit, weil er jedenfalls seit der Verabschiedung dieser Satzung und deren Bekanntmachung mit einer Belastung durch die entsprechenden Straßenausbaubeiträge rechnen musste (…). Der Verweis des Klägers auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Stattgebender Kammerbeschluss vom 12. November 2015 - 1 BvR 2961/14 u.a. -, juris) führt nicht weiter. Denn auch dieses hat klargestellt, dass das Rückwirkungsverbot im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze findet. Es gilt nicht, soweit sich kein Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte oder ein Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig war (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 55 m. w. N.). Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit echter Rückwirkungen ist u. a. dann gegeben, wenn die Betroffenen schon im Zeitpunkt, auf den die Rückwirkung bezogen wird, nicht auf den Fortbestand einer gesetzlichen Regelung vertrauen durften, sondern mit deren Änderung rechnen mussten (vgl. BVerfG, a. a. O., Rn. 56 m. w. N.; vgl. auch BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 1961- 2 BvL 6/59 -, juris Rn. 52 m. w. N.). In diesem Sinne gibt es keinen Vertrauensschutz darauf, dass eine an einem Formfehler leidende Rechtsvorschrift nicht korrigiert wird, so dass der Betroffene von den vom Normgeber vorgesehenen Abgaben weiterhin verschont bleibt. Vielmehr musste der Kläger jederzeit mit einer Satzungskorrektur rechnen.“

Die Daten der vorgestellten Entscheidung finden Sie in unseren Tipps für die Praxis. In Ihrem Matloch/Wiens finden Sie Erläuterungen zur Rückwirkung von Beitragssatzungen im Erschließungsbeitragsrecht bei Rdnr. 440 ff.,1011 und zum Straßenausbaubeitragsrecht bei Rdnr. 2139 ; zum Vertrauensschutz Rdnrn. 1127, 1129 u.a


Unsere Tipps für die Praxis:

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